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Politik

Frauen ziehen den radikalen Islam groß

14. März 2017

Südostasien war lange bekannt für seine religiöse Toleranz, doch radikal-islamische Gruppen werden stärker. Auch viele Frauen verbreiten und verteidigen die islamistischen Ideen - oft unsichtbar, aber hocheffizient.

Symbolbild Mädchen Frauen Salafismus
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Es gibt diesesAnti-Porno-Gesetz in Indonesien: Seit Oktober 2008 wird in dem Inselstaat alles unter Strafe gestellt, was öffentlich sexuelle Lust erregen könnte. Dazu gehören knappe T-Shirts und Röcke ebenso wie traditionelle Tänze, bei denen die Hüfte zu stark geschwungen wird. Das Gesetz war ein weiterer Sieg für die in Indonesien und im Rest Südostasiens immer stärker werdenden radikal-islamischen Strömungen. "Es gab damals riesige Demonstrationen von komplett verschleierten Frauen", erinnert sich die Ethnologin Susanne Schröter, die die islamischen Gesellschaften Südostasiens erforscht. "Demonstrationen für das Gesetz." Von Frauen, die den Ganzköperschleier stolz vor sich hertragen und sich als Kriegerinnen des Salafismus verstehen.

Demonstrationen und Aufmärsche religiöser Hardliner werden in Indonesien immer häufiger. Bild: REUTERS/Beawiharta

Gottes Wille geschehe

"Frauen spielen eine sehr wichtige Rolle in der Verbreitung des Salafismus in Südostasien", sagt Schröter. Das klingt verwirrend. Denn der Salafismus verehrt den Islam des 7. Jahrhunderts, als der Prophet Mohammad auf Erden wandelte und den in den Augen der Salafisten reinsten Islam verkörperte. Damals war die Welt noch in Ordnung. Heute herrscht überall Unmoral und Chaos. Die salafistische Ideologie versucht, dem Moralverfall Herr zu werden und propagiert deshalb eine strikte Trennung der Geschlechter. Für Frauen gibt es daher ein besonders umfangreiches Regelwerk, was sie dürfen und was nicht. Das Verhüllen des Körpers gehört genauso dazu, wie die räumliche Trennung von den Männern. Frauen zu Frauen. Was können Frauen innerhalb eines derart repressiven Systems ausrichten?

Mit Muttermilch den Salafismus nähren

Eine ganze Menge! EineStudie des Institute for Policy Analysis of Conflict (IPAC)beschreibt, dass die Rolle der Frau für die radikal-islamische Ideologie bereits in den 1980ern von den Extremisten der Gruppe "Darul Islam" (DI) als zentral begriffen wurde. Um die islamischen Gesetze in einem Land verankern zu können, müsse man bei der Familie beginnen. Erst dann kann sich die Ideologie in der Gesellschaft verbreiten und schließlich zum politischen System werden. Es sind die Frauen, die die Voraussetzungen für den Erfolg des Salafismus schaffen: Sie sind für die Erziehung der Kinder zuständig  - und damit für die nächste Generation potentieller Gotteskrieger.

Frauen sind nicht nur als Mütter von großer Bedeutung für die Verbreitung eines extremen Islams, sondern auch als Ehefrauen. Heiratsallianzen innerhalb islamistischer Organisationen garantieren Stabilität und vergrößern das Netzwerk. Die indonesische"Jemaah Islamiyah" (JI, Islamische Gemeinschaft) - Ableger der Darul Islam - schmiedete Heiratsallianzen beispielsweise, um Fuß zu fassen in Gebieten, in denen die Organisation bis dahin nur schwach vertreten war. In den 1990ern - JI war ein Newcomer unter den Extremisten - sicherte sich die Gruppe ihren Platz im Territorium einer anderen islamistischen Organisation, derMoro Islamic Liberation Front (MILF), in dem sie die eigenen Kämpfer mit den Töchtern der Führungsriege der MILF verheiratete.

Analoge und virtuelle Propagandaräume

Die Ethnologin Susanne Schröter erforscht die Genderideologien islamischer Gesellschaften.Bild: Privat

Frauen haben bereits vor Jahrzehnten angefangen, sich in den ihnen zugewiesenen Räumen zu organisieren, sagt die IPAC-Studie. "Sogar in den konservativsten islamistischen Kreisen wird den Frauen dieses Recht eingeräumt", bestätigt die Ethnologin Schröter. In diesen Studiengruppen werden der Koran, die Überlieferungen des Propheten oder die wegweisenden Texte salafistischer Führer gelesen - meist unter der Leitung einer älteren und erfahrenen Gesinnungsschwester. In Indonesien werden außerdem Schreibworkshops angeboten, in denen die strengen Muslima das Gelernte zu Papier bringen und es so weitergeben können. "Frauen haben ein enormes Rekrutierungspotential", erklärt Schröter. Und so wächst die weibliche Anhängerschar. Zu Treffen der Frauen in Wohnungen, sind die virtuellen Räume in den sozialen Netzwerken gekommen. Um Frauen zu erreichen und für die salafistische Sache zu gewinnen, seien Facebook und Co. ein dankbares und mittlerweile unverzichtbares Mittel, meint Susanne Schröter.

Emanzen oder Marionetten?

Es stimmt: Frauen sind für radikal-islamische Organisationen unverzichtbar. Und diese Tatsache macht nicht wenige Frauen stolz. Die Ethnologin Schröter erzählt von einem ihrer Forschungsprojekte in Süd-Thailand. Der Süden besteht aus vier Provinzen, drei davon sind mehrheitlich muslimisch. Der Salafismus hat dort den gemäßigten Islam besiegt. Mit Hilfe der streng gläubigen Muslima, die das Recht ihrer Männer auf Polygamie verteidigen und die eigene Ganzkörperverhüllung inklusive Handschuhe in den tropischen Gefilden Thailands predigen. "Die Frauen selbst begreifen ihre salafistische Propaganda als Emanzipierungsprojekt", fand Schröter in zahlreichen Interviews mit den Frauen heraus. Weil sie eine aktive und wichtige Rolle spielten. Dass sie dabei auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verteidigen, nehmen sie in Kauf. Nichts geht über Gottes vermeintlichen Willen.

Ist die Salafisierung in Südostasien also ein Frauenprojekt? Nur dann, wenn man vergisst, dass das, was die Frauen in ihren Lesezirkeln studieren von Männern verfasste Schriften sind. Das "Handbook of Womenhood" gilt als eines der wichtigsten salafistischen Regelwerke für Frauen in Indonesien – die islamistische Jemaah Islamiyah legt ihren weiblichen Mitgliedern die Lektüre mit Nachdruck nahe. Von Kopf bis Fuß in Stoff gewickelt soll sich der Aktionsradius der Frauen auf den Haushalt beschränken, so wird Weiblichkeit dort beschrieben. Die Männer schreiben auf, die Frauen geben die Botschaft weiter. Sind Frauen nicht also vor allem Marionetten? "Ja", sagt Susanne Schröter. Sie deshalb zu unterschätzen, wäre fatal.

Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.
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