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Nur eine "Panne" bei der Verfassungsrichter-Wahl?

12. Juli 2025

Nach dem Stopp der Wahl neuer Verfassungsrichter durch den Bundestag ist in Deutschland die Aufregung groß, vor allem bei den Sozialdemokraten. Ihr Koalitionspartner, die Union, versucht zu beschwichtigen.

Deutschland | Bundestag | Fraktionschefs Matthias Miersch und Jens Spahn im Gespräch
Ist verärgert: SPD-Fraktionschef Matthias Miersch (l.) im Gespräch mit seinem Kollegen Jens Spahn (CDU/CSU)Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Die vor gut zwei Monaten gestartete Regierungskoalition aus konservativer Union (CDU/CSU) und sozialdemokratischer SPD geht im Streit in die parlamentarische Sommerpause. Nach der vorerst gescheiterten Wahl dreier Bundesverfassungsrichter im Deutschen Bundestag sieht der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch keine Veranlassung, nach anderen Kandidaten Ausschau zu halten. "Für mich ist klar: Wir halten an unseren Kandidatinnen fest", erklärte Miersch. Er warf dem Koalitionspartner "die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen" vor. Ähnlich äußerten sich Spitzenvertreter der Opposition.

Die Richterwahl war am Freitag kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestages gestrichen worden, weil der unionsinterne Widerstand gegen die von den Sozialdemoraten vorgeschlagene Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf zu groß wurde. Grund dafür ist wohl vor allem die liberale Haltung der 54-Jährigen zu Abtreibungen, aber auch ihre Forderung nach einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie wird kritisch gesehen.

Gilt als "umstritten": Frauke Brosius-Gersdorf (Archivfoto)Bild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

In der Vergangenheit hatte sie sich zudem - wie die SPD - für ein AfD-Verbot ausgesprochen, was insbesondere Abgeordneten der in Teilen als rechtsextrem eingestuften Partei missfiel. Brosius-Gersdorf sei als Kandidatin für das Verfassungsgericht "unmöglich", betonte etwa AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann.

Zusätzliche Dynamik in die Debatte kam durch einen Hinweis des österreichischen "Plagiatsjägers" Stefan Weber. Er hatte Übereinstimmungen zwischen Brosius-Gersdorfs Dissertation und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns festgestellt.

"Eklatantes Führungsversagen"

Der frühere Bundesverfassungsrichter und Ex-CDU-Politiker Peter Müller übte scharfe Kritik an Unionsfraktionschef Jens Spahn. Der Vorgang zeige "ein eklatantes Führungsversagen der Union", sagte Müller der "Süddeutschen Zeitung". "So etwas darf nicht passieren." Müller äußerte die Sorge, "dass die politische Mitte in Deutschland nur noch begrenzt handlungsfähig ist".

Er war von 2011 bis 2023 Verfassungsrichter, davor Ministerpräsident im Saarland: Peter Müller (Archivfoto)Bild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Dass es Vorbehalte gegen Personalvorschläge für das Verfassungsgericht gebe, sei zwar nichts Neues, sagte Müller. "Nur: Bisher wurde das im Vorfeld geklärt" - und hier habe es Versäumnisse auf Seiten der von Spahn geführten Unionsfraktion gegeben. Man könne nicht der SPD zusagen, die Wahl einer Richterkandidatin mitzutragen, "um später festzustellen, dass die notwendigen Mehrheiten in der eigenen Fraktion dafür nicht vorhanden sind", kritisierte der 69-Jährige.

Ferdinand Kirchhof, bis 2018 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, sprach hingegen von einer "Panne in einer Personalauswahl". Er sieht auch nicht die Unabhängigkeit des Gerichtes beeinträchtigt. "Da sehe ich keine Gefahr." Man werde einmal in das Amt gewählt, und wenn ein Richter in diesem Amt sei, dann müsse sich seine Unabhängigkeit zeigen. Das sei bisher immer gut gelungen. Die Funktionsfähigkeit des Gerichts sei durch die gescheiterte Wahl nicht gefährdet. Der ausscheidende Richter müsse sein Amt fortführen, "bis der Nachfolgende gewählt ist". So werde Kontinuität gewährleistet, erläuterte Kirchhof die Situation im Nachrichtenportal "ZDFheute.de".

"Bundesverfassungsgericht nicht beschädigt"

Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt widersprach Bewertungen, dass die geplatzte Richterwahl das Bundesverfassungsgericht beschädigt habe. "Alles, was nicht zu einem ganz bestimmten Ergebnis führt, ist automatisch eine Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts: Dieser Sichtweise kann ich mich nicht anschließen", sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. "Ich sehe auch überhaupt ein Bundesverfassungsgericht nicht beschädigt", stellte Dobrindt klar.

"Nicht wie vorhergesehen": Alexander Dobrindt (l.) im Austausch mit SPD-Chef Lars Klingbeil und Kanzler Friedrich Merz (r.)Bild: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance

"Wenn man um höchste Ämter sich bewirbt, gewählt werden muss, dann wird man auch in der Öffentlichkeit betrachtet. Dann gibt es auch Diskussionen und Debatten dazu. Die können das Ganze auch mitbeeinflussen. Und dann läuft es eben nicht wie vorhergesehen. Oder dann muss man auch die Möglichkeit und die Kraft haben, mal etwas zu verändern", führte der Bundesinnenminister weiter aus. Dies relativiere nicht, "dass das nicht der normale Prozess war und dass man sich einen anderen Prozess oder ein anderes Ergebnis im Prozess gewünscht hätte".

"Völlig verdreht dargestellt"

Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) gab sich optimistisch, dass die schwarz-rote Koalition noch zu einer Einigung kommt. "Die Wahl von Verfassungsrichtern liegt in der Sphäre des Parlaments. Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden", sagte Frei der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Hat seinen Sitz in Karlsruhe: das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)Bild: Marco Steinbrenner/DeFodi Images/picture alliance

Die Juristin Brosius-Gersdorf solle nun persönlich vor die Unionsfraktion treten und mit den Abgeordneten von CDU und CSU über ihre Kandidatur sprechen, schlug die SPD vor. "Wir hoffen, dass die Bedenken gegen Brosius-Gersdorf bei dem Termin ausgeräumt werden können." Viele ihrer Positionen seien "völlig verdreht dargestellt" worden, unterstrich ein Sozialdemokrat aus der Fraktionsspitze.

wa/jj (dpa, afp, rtr)

Redaktionsschluss: 17.30 Uhr (MESZ) - dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.

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