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Freigelassene Gefangene in Deutschland und USA empfangen

2. August 2024

Nach dem größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Kalten Krieg sind die Freigelassenen in Deutschland und den USA eingetroffen. Kanzler Scholz begrüßte 13 von ihnen am Flughafen Köln/Bonn.

Kanzler Olaf Scholz gibt auf dem Flughafen Köln/Bonn eine Pressekonferenz
Kanzler Olaf Scholz äußert sich anlässlich des Gefangenenaustauschs auf dem Flughafen Köln/BonnBild: Christoph Reichwein/dpa/picture alliance

"Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Flughafen Köln/Bonn. Deshalb sei es wichtig, "dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben". Der Austausch habe "nur durch intensive Kooperation mit vielen Ländern Europas und ganz besonders den Vereinigten Staaten vom Amerika über eine ganz lange Zeit" erfolgen können, sagte Scholz. Mit Blick auf den Austausch sagte der Bundeskanzler, er glaube, "dass das eine richtige Entscheidung ist". Wer Zweifel daran habe, verliere diese nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind. Für die Bundesregierung sei entscheidend gewesen, "dass wir eine Schutzverpflichtung haben gegenüber deutschen Staatsangehörigen sowie auch die Solidarität mit den USA", sagte Scholz.

Russland, Belarus sowie auf der anderen Seite fünf NATO-Staaten, darunter die USA und Deutschland, hatten am Donnerstagnachmittag unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT auf dem Flughafen von Ankara insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Unter ihnen war der in Russland inhaftierte US-Reporter Evan Gershkovich, aber auch der in deutscher Haft befindliche sogenannte Tiergarten-Mörder und zwei Minderjährige.

Vier Deutsche in Freiheit

Russland ließ bei dem Austausch 15 Gefangene frei, darunter vier mit deutschem Pass. Auch die Freilassung eines in Belarus zunächst zum Tode verurteilten und später begnadigten Deutschen konnte erreicht werden. Bei den Deutschen handelt es sich nach Informationen der Nachrichtenagentur afp um Kevin Lik, Dieter Voronin, German Moyzhes, Patrick Schöbel und Rico K.

Nach Angaben des russischen Geheimdienstes FSB konnten acht russische Häftlinge und zwei Minderjährige nach Russland zurückkehren. Zu den Häftlingen zählte der sogenannte Tiergarten-Mörder Vadim Krassikow. Er war Ende 2021 zu lebenslanger Haft in Deutschland verurteilt worden, weil er nach Überzeugung des Berliner Kammergerichts im August 2019 einen tschetschenischstämmigen Georgier im Kleinen Tiergarten in der Hauptstadt erschossen hatte. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Krasikow den Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen begangen hatte.

In diesem Zusammenhang betonte Scholz: "Niemand hat sich die Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben". In diesem Fall habe das staatliche Interesse an der Vollstreckung der Strafe abgewogen werden müssen "mit der Freiheitsgefahr für Leib und in einigen Fällen auch des Lebens unschuldig in Russland inhaftierter Personen und zu Unrecht politischer Inhaftierter".

Die schwierige Entscheidung sei von der Koalition nach sorgfältiger Beratung und Abwägung gemeinsam getroffen worden, der Oppositionsführer - Unionsfraktionschef Friedrich Merz - frühzeitig informiert und nach eigenem Bekunden einverstanden gewesen.

Freigelassene in USA gelandet

US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris empfingen drei der Freigelassenen in der Nacht zum Freitag (Ortszeit) in den USA. Der Reporter Evan Gershkovich, die Journalistin Alsu Kurmasheva und der frühere US-Soldat Paul Whelan wurden auf dem Luftwaffenstützpunkt Joint Base Andrews bei Washington mit Jubel von Familienangehörigen und Freunden begrüßt.

US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris begrüßen Evan Gershkovich auf dem Flughafen bei WashingtonBild: Manuel Balce Ceneta/AP/dpa/picture alliance

US-Präsident Biden dankte Deutschland und anderen Verbündeten für ihre Beteiligung an dem Gefangenenaustausch. Er sprach von einer "Meisterleistung der Diplomatie", welche das "Leid" dieser Häftlinge beendet habe. Besonders Deutschland und Slowenien hätten Entscheidungen treffen müssen, die "gegen ihre unmittelbaren Interessen waren", sagte Biden auf dem Militärflughafen Joint Base Andrews bei Washington. Besonders Bundeskanzler Olaf Scholz sei "unglaublich" gewesen.

"Nicht schlecht" antwortete Gershkovich auf die Frage der wartenden Journalisten, wie es sich anfühle, nach so langer Zeit wieder in der Heimat zu sein. "Wir können es kaum erwarten, ihn in die Arme zu nehmen", schrieb seine Familie in einer Erklärung. Zu den Freigelassenen gehören auch der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa und der russische Menschenrechtsaktivist Oleg Orlow, der Ko-Vorsitzende der in Russland verbotenen Organisation Memorial.

Der freigelassene Paul Whelan wird von seiner Schwester Elizabeth freudig begrüßtBild: ABACAPRESSIMAGO

Herzlicher Empfang durch Putin auf dem Rollfeld

Der russische Präsident Wladimir Putin empfing derweil die freigelassenen Russen in Moskau. "Ich möchte Ihnen zu Ihrer Heimkehr ins Heimatland gratulieren", sagte Putin auf dem Flughafen Wnukowo, wie im russischen Staatsfernsehen zu sehen war. Mehrere freigelassene Russen nahm der Kreml-Chef auf dem Rollfeld in den Arm, wo die Präsidentengarde Spalier stand. Er kündigte an, dass die Heimgekehrten für staatliche Auszeichnungen vorgeschlagen würden.

Empfang mit Blumen: Präsident Wladimir Putin begrüßt auf einem Moskauer Flughafen heimgekehrte russische BürgerBild: Kirill Zykov/SNA/IMAGO

Enttäuschung gab es dagegen bei den in Deutschland lebenden Angehörigen des Mordopfers des sogenannten Tiergarten-Mörders Krassikow. "Nicht einmal fünf Jahre nach dem Mord" sei der von Kreml-Chef "Putin beauftragte Mörder wieder auf freiem Fuß", erklärten sie nach Angaben ihrer Anwältin Inga Schulz. Die Freilassung von Krassikow sei "eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige" gewesen".

Kontroverse Diskussion in Deutschland

In der Bundespolitik löste der Gefangenenaustausch derweil unterschiedliche Reaktionen aus. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), erklärte im Onlinedienst X, "manchmal muss man aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen". Justizminister Marco Buschmann (FDP) räumte ein, für die Freiheit der Gefangenen habe man schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen.

Der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter äußerte hingegen Kritik. "Ich fürchte, dass mit der Freilassung des verurteilten Tiergarten-Mörders ein Präzedenzfall geschaffen wird, der von Russland politisch massiv ausgenutzt werden kann", sagte er dem "Tagesspiegel". Russland sei "ein Terrorstaat, der mittlerweile gezielt versucht, Geiseldiplomatie zu etablieren".

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Gefangenenaustausch, warnte aber vor den Folgen solcher Deals. Putins Missbrauch der politischen Häftlinge als "Faustpfand" hinterlasse einen "bitteren Beigeschmack". Der stellvertretende Generalsekretär in Deutschland, Christian Mihr, betonte: "Die russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen."

kle/sti (afp, dpa, rtr)