Freihandel als Druckmittel der EU
16. Juli 2012 Für den liberalen britischen Europaparlamentarier Phil Bennion besteht kein Zweifel. Das angestrebte Handelsabkommen mit Indien dürfe keinesfalls "zu schnell“ unterschrieben werden. Vielmehr sollten die Europäer das Abkommen noch stärker als bisher nutzen, um eine Verbesserung der Menschenrechtslage durchzusetzen. Bennion: "Ich weiß, manche Leute meinen, Handel und Menschenrechte sollte man komplett trennen." Bennion sieht das anders: "Wir sind keine militärische Macht, sondern eine Handelsmacht. Das ist der Einfluss, den wir haben.“
Schon seit längerem wird zwischen der EU und Indien um ein Freihandelsabkommen gerungen. Insgesamt 1,8 Milliarden Menschen in Indien und der Europäischen Union wären Teil der Freihandelszone. Doch trotz eines EU-Indien-Gipfels im Februar, sind die Verhandlungen noch nicht zum Abschluss gekommen. Laut Europäischer Kommission sei im Herbst mit einem Abkommen zu rechnen. Doch noch gibt es Stolpersteine.
Menschenrechte vor Freihandel
Dazu gehören die Rechte der indischen Kleinbauern und Kleinunternehmer. Sie befürchten, dass europäische Konzerne mit billigeren Produkten auf den indischen Markt drängen und die lokalen Anbieter in ihrer Existenz bedrohen. Menschenrechtsorganisationen werfen der EU sogar vor, mit dem Abkommen das Recht auf Nahrung zu verletzen. Umgekehrt forderte eine kleine Gruppe von EU-Parlamentariern in Brüssel, dass Indien die Menschenrechtssituation im eigenen Land verbessern solle, bevor das Handelsabkommen unterschrieben wird.
Zu dieser Gruppe gehört auch der Brite Bennion. Er und seine Amtskollegen berufen sich dabei auf den jüngsten Länderbericht für das Universal Periodic Review Verfahren (UPR) im Menschenrechtsrat der UN in Genf. Das UPR ist ein System, mit dem Staaten alle vier Jahre die Menschenrechtslage in ihren Ländern überprüfen lassen müssen. Indien hatte das UPR 2008 schon einmal durchlaufen. Seither habe sich leider nicht viel verbessert, so die Argumentation der EU-Parlamentarier.
Massengräber im Kaschmir
Zwar versprach Indien schon 2008, die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen auch zu ratifizieren, doch bis heute hält das Land an der Todesstrafe fest. Menschen verschwinden, es gibt willkürliche Verhaftungen, Folter und sexuelle Gewalt - all das sei in Indien noch immer noch an der Tagesordnung, klagen Menschenrechtsorganisationen. Besonders dramatisch sei die Situation im umstrittenen Gebiet Kaschmir, auf das auch Pakistan Gebietsansprüche erhebt. Seit 2008 wurden dort zahlreiche Massengräber gefunden. Das beklagt auch Nazir Ahmad Shawl, Vorsitzender des "Kashmir Centres" in London. Nach seinen Informationen wurden erst kürzlich 2000 neue Massengräber entdeckt, was deren Zahl auf insgesamt 6000 ansteigen lasse.
EU soll Druck machen
Shawl appelliert daher an die EU, sich für die Menschenrechte in Indien und Kaschmir stark zu machen. Daran führe kein Weg vorbei: "Wenn wir einen wirklichen Versöhnungsprozess auf dem Subkontinent haben wollen, müssen diese Menschenrechtsverletzungen gestoppt werden“, so Shawl.
Vorwürfe, wonach das "Kashmir Centre" vor allem von Pakistan aus gesteuert und damit subjektiv sei, weist das Institut zurück. Das "Kashmir Centre", das seit zehn Jahren auch eine Vertretung in Brüssel hat, arbeite unabhängig und setze sich für das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung in Kaschmir ein, so Shawl. Auch die Gruppe um den EU-Parlamentarier Bennion bescheinigt dem Institut Unabhängigkeit.
Haupttäter Militär
Laut Shawl und dem EU-Abgeordnete Bennion ist vor allem das indische Militär für die Gewalt in Kaschmir verantwortlich. Besonders die bestehenden Sicherheitsgesetze dienten häufig als Vorwand für Menschenrechtsverletzungen. Nach Aussage von Bennion erhalten Soldaten, die einen Terroristen erschießen, sogar eine Prämie. So seien im Jahr 2010 etwa 120 Menschen in Kaschmir getötet worden, nur weil sie gegen die indische Besatzung protestiert hätten.
Indien muss sich bewegen
Abschaffung der Sicherheitsgesetze und der Todesstrafe, Ratifizierung der UN-Anti-Folter-Konvention und Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Menschen in Kaschmir, so lauten daher die Forderungen Bennions und weiterer Parlamentarier in Brüssel an Indien. Der deutsche Frank Schwalba-Hoth, ehemaliger Abgeordneter in Brüssel, setzt sich seit langem für die Verbesserung der Menschenrechtslage in Indien und in Kaschmir ein. Er glaubt, dass es für Indien noch einen anderen wichtigen Grund geben könnte, bei den Menschenrechten nachzubessern."Schließlich will sich Indien zusammen mit Russland, China und Brasilien auch neu auf der internationalen Bühne platzieren", so Schwalba-Hoth. Meldungen über Menschenrechtsverletzungen störten da nur.