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"Die USA haben an Einfluss verloren"

16. November 2020

Unter chinesische Führung entsteht die größte Freihandelszone der Welt. Ein Interview mit Handelsexperte Rolf Langhammer über die Bedeutung für die Globalisierung, die EU und den nächsten US-Präsidenten.

Indonesien Bogor | Joko Widodo unterschreibt Handelsabkommen
Bild: Muchlis Jr/ Biro Pers Sekretariat Presiden

Bevor US-Präsident Donald Trump an die Macht kam, wollten die USA ein Freihandelsabkommen, das sogenannte TPP mit den pazifischen Anrainerstaaten explizit ohne China. Trump zog sich kurz danach kurz aus seiner Wahl von diesem Abkommen zurück. Jetzt gibt es ein viel größeres Abkommen - mit China, aber ohne die USA. Haben haben die USA in der Region an Einfluss verloren?

Ja, das haben sie. Und zwar aus eigenem Zutun. Präsident Trump hätte niemals das pazifische Abkommen aufkündigen dürfen. Es war zu Ende verhandelt. Es war ein gutes Abkommen. Es war ein sehr tiefes Abkommen, das sehr viele neue Dinge enthielt, beispielsweise Regeln für den digitalen Handel. Und es war durchaus im Interesse der USA, denn die Amerikaner haben ihre Handschrift in dieses Abkommen einbringen können. Jetzt stehen sie mit leeren Händen da. Denn obwohl das chinesische Abkommen deutlich flacher in dem Sinne ist, dass es viel weniger an neuen Elementen enthält, sondern sich im Wesentlichen auf Handelsliberalisierung stützt, ist es eben doch ein Abkommen, das ein Großteil der asiatischen pazifischen Staaten umfasst. Und China wird dort den Ton angeben.

Rolf Langhammer, Professor am Institut für Weltwirtschaft in KielBild: Privat

Wie viel Macht hat China durch das Abkommen gewonnen?

Nicht mehr Macht, als China ohnehin aufgrund seiner wirtschaftlichen und politischen Stärke bereits hatte. Aber es ist ein wichtiges Signal, dass China in der Lage ist, nicht nur bilaterale Abkommen zu schließen mit einzelnen Asean-Staaten, wie es nach der Asienkrise Ende der 1990er Jahre der Fall war, sondern mit einer gesamten Region, einschließlich Südkorea und Japan. Die Einbeziehung Japans ist besonders wichtig, weil Japan das Land war, das sich nach dem Rückzug der Amerikaner aus dem transpazifischen Abkommen dafür eingesetzt hat, dass die elf verbliebenen Länder doch noch ein solches Abkommen hinbekommen haben. Wir haben jetzt überlappende Mitgliedschaften, Japan wird weiter in der transpazifischen Wirtschaftszone aktiv sein. Aber es konnte sich dem Drängen Chinas und auch der ASEAN-Staaten nicht entziehen - denn für Japan sind das wichtige Handelspartner.

Viele Industrienationen haben auch Angst vor China, weil sich das Land schnell vom Kunden zum Konkurrenten entwickeln kann. Was ist die Motivation für Japan, Südkorea, Australien und andere Industrieländer, an dieser Freihandelszone teilzunehmen? Müssen sie keine Angst haben, dass China ihnen den Rang abläuft?

Diese Länder hatten wahrscheinlich erstens keine andere Wahl und zweitens ist es natürlich auch in ihrem Interesse. Denn wenn sie einem solchen Abkommen nicht beitreten würden, dann würden sie unter Umständen bei eigenen Investitionen in China schlechter behandelt. Denn China will ja mehr ausländische Direktinvestitionen ins Land holen, aber auch kontrollieren, was mit diesen Investitionen auf dem heimischen Markt produziert wird. Und da vor allem Japan und Südkorea nichts anderes übrig, als der Handelsliberalisierung zuzustimmen, um nicht mit den eigenen Investitionen in China ins Hintertreffen zu geraten.

Was bedeutet die größte Freihandelszone der Welt für die EU?

Die EU legt sich selber Fesseln an, indem sie ihre Abkommen mit politischen Zielen verbindet. Dazu gehören Menschenrechte, aber auch Nachhaltigkeit, Schutz der Zivilgesellschaft oder die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Bei Abkommen wie mit den Mercosur-Partnern in Südamerika versucht die EU, das zustande zu bringen. Aber in Südostasien ist das sehr schwierig, weil dort Menschenrechte nicht gerade im Mittelpunkt des Interesses stehen. So konnte die EU etwa mit den ASEAN-Staaten bisher kein Abkommen abschließen, weil Länder wie Thailand mit einem Militärregime oder Myanmar mit der Behandlung der Rohingha nicht den Kriterien entsprechen, die die EU bei Menschenrechten als absolut zwingend ansieht.

Vorzuweisen hat Europa derzeit zwei sehr wichtige Freihandelsabkommen - mit Japan und mit Südkorea. Und dann gibt es noch den Versuch, mit China ein bilaterales Investitionsschutzabkommen abzuschließen. Die Verhandlungen laufen seit sieben Jahren und sollten eigentlich in diesem Jahr unter der EU-Präsidentschaft Deutschlands abgeschlossen werden, aber das kam nicht zustande. Nun muss sich die EU wohl entscheiden: Entweder nimmt sie Abstand von ihren strikten Vorgaben bezüglich eines politischen Dialogs - oder sie wird gegenüber asiatischen Ländern ins Hintertreffen geraten, was den Abschluss von Abkommen angeht.

Und was heißt das Abkommen für den wirtschaftspolitischen Kurs des künftigen US-Präsidenten Joe Biden?

Als Präsident wird Biden zunächst einmal innenpolitisch aktiv sein. Ich glaube, von ihm werden auf kurze Sicht keine nennenswerten Impulse kommen, das zu korrigieren, was Präsident Trump angerichtet hat. Die EU wird wahrscheinlich darauf drängen, die festgefahrenen Gespräche über ein transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) wieder aufzunehmen - und das wird bei Biden wohl auf ein positives Echo stoßen. Das transpazifische Abkommen (TPP) wird Biden aber kurzfristig nicht wieder aufnehmen, da wird er zunächst einmal Zeit verstreichen lassen. Und mit China ein Abkommen zu schließen - das wird absolut unmöglich sein.

 

Der Außenhandelsexperte Rolf Langhammer ist Professor am Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Die Fragen stellte Andreas Becker.

China und die weltgrößte Freihandelszone

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Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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