Freiheit für Tibet! - Aber welche?
4. Februar 2009Zunächst war man sich noch einig: Weniger als Unabhängigkeit kommt nicht in Frage. 1989 gab jedoch der Dalai Lama dieses Ziel auf und fordert als Kompromisslösung seitdem nur noch eine weitgehende Autonomierechte für Tibet als Teil Chinas. Die Mehrheit folgt seiner Linie, aber es gibt auch viele, die eine Autonomie unter China nicht akzeptieren könnten. Vor allem seit im Olympia-Jahr der Traum platzte, mit internationalem Druck Peking endlich zum ernsthaften Verhandeln zu bewegen, zweifeln mehr und mehr Tibeter am sanften Kurs des Dalai Lama.
Die jungen Wilden
Vor allem unter den Jungen wehren sich viele gegen die Autonomielösung. Manche glauben sogar, man brauche härtere Mittel im Freiheitskampf. Sie sprechen von Boykotts und Sabotageakten. Führende Rollen spielen die Jugendvereinigung „Tibetan Youth Congress“ (TYC) und die „Students for a free Tibet“ (SFT), eine internationale Organisation. Dass sie sich mit ihrer Agenda gegen die Politik des Dalai Lama und der Exilregierung stellen, führt in ihren Augen nicht zur Spaltung. In einer Demokratie seien schließlich verschiedene Meinungen erlaubt, erklären sie.
Das wäre vor 50 Jahren noch undenkbar gewesen, und als die Führer des Youth Congress und einige Intellektuelle sich vor 20 Jahren als erste gegen die Vorschläge des Dalai Lama stellten, wurden sie von übereifrigen Loyalisten bedroht. Dennoch steht ein gewaltsamer Widerstand auch für die radikaleren Kräfte derzeit nicht zur Debatte. „Wir sehen uns dem gewaltlosen Kurs des Dalai Lama absolut verpflichtet“, bestätigte kürzlich Tsewang Rigzin, Präsident des Youth Congress. Längst nicht alle jungen Tibeter unterstützen außerdem die Forderung von SFT und TYC nach vollständiger Unabhängigkeit Tibets; viele nehmen an jedweder Demonstration teil - egal wer dazu aufruft - einfach nur, um in der ausweglosen Lage das Gefühl zu haben, etwas zu tun.
Die neuen und die alten Flüchtlinge
Nachdem der Flüchtlingsstrom während Pekings Abschottungspolitik in den 1960er und 70er Jahren abgebrochen war, kommen seit der Öffnung Chinas wieder Jahr für Jahr Neuankömmlinge aus Tibet nach Indien. Auch sie sind vornehmlich jung, aber anders als manche ihrer im Exil geborenen Altersgenossen stößt man bei ihnen kaum auf radikalere Ansichten. Vielleicht sind sie realistischer, da sie die Situation in Tibet kennen und wissen, dass der Traum von Unabhängigkeit vom mächtigen China so gut wie unerreichbar ist. Auch scheint ihr Respekt gegenüber dem Dalai Lama und seinen Weisungen weitaus höher.
Zwischen ihnen und den alteingesessenen Exilanten bestehen tiefe Gräben. Anstatt ihre Erfahrung mit den heutigen Lebensverhältnissen in Tibet zu nutzen, nehmen diese die Neuankömmlinge kaum ernst. Weit verbreitet ist der Glaube, man müsse ihnen erst einmal die chinesischen Flausen austreiben. Zuweilen werden sie sogar verdächtigt, für China zu spionieren. Auch im Exil bestehen zudem alte Abneigungen zwischen Tibetern aus den vier großen Regionen des Landes weiter und im Klerus alte Rivalitäten zwischen den verschiedenen Schulen des Buddhismus und der alten tibetischen Bön-Religion.
Was bringt die Zukunft?
Noch allerdings hält der Dalai Lama wie ein großer Übervater alles zusammen. Nach seinem Tod könntne die Konflikte offen ausbrechen. Streit könnte es auch über der Nachfolge des Dalai Lama entbrennen. Er selbst sagt, sein Volk solle entscheiden, ob und wie das nach seinem Tod geregelt wird. Doch an diesen Moment möchte im Moment noch keiner denken.