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Die geteilte Stadt

Daniel Heinrich17. Oktober 2015

225.000 Flüchtlinge sind im September nach Bayern gekommen, die meisten von ihnen durch Freilassing. Rechtspopulisten versuchen die Lage auszunutzen. Die Bürger wehren sich. Aus Freilassing Daniel Heinrich.

Demo gegen die AfD in Freilassing (Foto: AP)
Diese Bürger zeigen der Alternative für Deutschland (AfD) die "rote Karte".Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schrader

Von Weitem hört man sie schon, die Rufe. "Lügenpresse, Lügenpresse!" und "Merkel raus!". Knapp tausend Leute sind es, die sich im Stadtzentrum von Freilassing in der Nähe der deutsch-österreichischen Grenze versammelt haben. "Bayern steht auf", so lautete die Überschrift, mit der die AfD Bayern im Internet zum überregionalen Protestzug für "Unser Land - Unsere Heimat" aufgerufen hatte.

Oben auf der Bühne steht, die blau-weiße Bayern-Fahne schwenkend, Petr Bystron. In blauer Matrosenjacke und modisch gewickeltem Schal gibt sich der AfD-Landesvorsitzende im Interview ganz als besorgter Biedermann: "Wir demonstrieren gegen das Versagen der deutschen Regierung in der Asylfrage." Vor allem Angela Merkel nimmt er ins Visier: "Die Kanzlerin erfüllt nicht ihren Amtseid. Das größte Versagen hat sie sich geleistet, indem sie sich vor Fernsehkameras gestellt hat und gesagt hat - vollkommen unverantwortlich -, dass alle Menschen aus der Dritten Welt kommen dürfen."

Demonstration der Alternative für Deutschland (AfD) im bayerischen FreilassingBild: DW/D. C. Heinrich

Es sind dies die Hauptvorwürfe, die an diesem Samstagnachmittag am meisten zu hören sind, immer und immer wieder wiederholt von den Demonstranten. In das Bild der oberbayerischen Kleinstadtidylle mit Bergpanorama und Kuhweiden wollen sie gar nicht so recht passen.

"Das Pack" und der Frust

Auch Hans-Jörg Müller läuft mit beim anschließenden AfD-Demonstrationszug durch die 15.000-Seelen-Stadt. Auf seinem T-Shirt steht "Ich bin das Pack", in Anlehnung an die Aussage von Vizekanzler Sigmar Gabriel, der rechte Demonstranten in Sachsen als "Pack" bezeichnet hatte. Von der politischen Führung im Land sieht Müller sich im Stich gelassen: "Wenn hier ganz klar Migranten im großen Stil eingeschleust werden, um uns zur Minderheit im eigenen Land zu machen, ist das nicht abstrakt. Jeder hier sieht, dass wir ausgetauscht werden als Bevölkerung. Das ist grundgesetzwidrig."

Es ist dieser Frust, dieses Gefühl des Verlassen-worden-Seins durch die Politik, das die Leute auf die Straße treibt. Obwohl in der Argumentation bisweilen konfus, verfehlen die Thesen ihre Wirkung nicht: Fenster gehen auf, nicht wenige Bürger, die sich der Demo nicht offen anschließen wollten, beweisen durch Winken oder Klatschen ihre Zustimmung.

Blumenkränze und Pfadfinder

Drüben, auf der anderen Seite des Startpunktes der AfD-Demo, noch nicht einmal einhundert Meter entfernt und nur getrennt durch eine zweispurige Straße und ein massives Polizeiaufgebot, könnte die Stimmung nicht anders sein. Wo auf der einen Seite den Beobachter die Enttäuschung und Wut - auf was auch immer - schier zu erdrücken scheinen, hat man hier das Gefühl, inmitten eines bunt-fröhlichen Happenings zu stecken.

Junge Frauen mit Blumenkranzfrisur liegen sich in den Armen, eine Band spielt vor dem Hintergrund eines "Refugees welcome"-Posters Evergreens der deutschen Hip-Hop-Szene aus dem Stuttgarter Raum, schon seit zwei Jahrzehnten Zeichen für das linksliberale Bildungsbürgertum des Landes.

Ein breites Bündnis von über 30 Organisatoren hatte zu der Gegendemo aufgerufen. Neben der Caritas, den Grünen, dem Bund Naturschutz auch einige Antifa-Gruppen.

Bernhard Zimmer von den Grünen hält hier die Fäden in der Hand. "Wir wollten ein Zeichen setzen gegen die AfD, die heute hier in Freilassing demonstriert. Wir wollten klarstellen, dass uns Menschlichkeit statt Hetze wichtig ist und dass wir unsere gesellschaftlichen Werte erhalten wollen. Vor allem aber wollten sie, so der Mitvierziger im Interview, ein Zeichen setzen, dass die Bürger Freilassings mit der Ausgrenzung und dem Ausspielen Arm gegen Arm, also Flüchtlinge in Not gegen sozial Schwache, nichts zu tun haben wollen.

Vor allem regt ihn die Inhaltsleere der Debatte der Rechtspopulisten auf: "Man ist einfach nur gegen alles. Man bietet auch keine Lösungsansätze. Man pickt sich Punkte raus, über die man auch sicherlich diskutieren kann, aber man arbeitet überhaupt nicht aktiv mit."

Hier ist das Motto: Flüchtlinge willkommen. Die Demonstration gegen die AfD in Freilassing.Bild: DW/D. C. Heinrich

Die Haare lang, den Schalk im Nacken, sieht das auch der 18-jährige Markus so: Er apelliert vor allem an die Vernunft der anderen: "Es geht darum, dass man sich in solchen Fragen nicht von Emotionen leiten lässt. Das man nicht nur ans Nehmen, sondern auch ans Geben, an die Solidarität denkt."

Er hat sich mit ein paar Freunden und Verwandten sofort auf den Weg gemacht, als er von der Gegendemo erfahren hatte: "Mir tun die Flüchtlinge vor allem leid, wenn sie nach Deutschland kommen und sofort zu hören bekommen, dass sie hier nicht erwünscht sind."

Vielfalt oder Bürgerkrieg

Für ihn bedeuteten die Flüchtlinge eine Riesenchance für Deutschland: "Man merkt es am demographischen Wandel. Wir verlieren hierzulande Jugendliche. Und die Flüchtlinge, die kommen, sind auch eine Quelle für Arbeitskraft. Wir brauchen die auch aus Arbeitskraftgründen schlicht und ergreifend."

Sagt's und macht sich von dannen. Der Samstagnachmittag will schließlich auch genossen werden. Auf der "anderen Seite" neigt sich die Demo auch dem Ende entgegen. Auch für Hans-Jörg Müller Zeit für ein Fazit, das unterschiedlicher nicht sein könnte.

"Ich kann nur hoffen, dass wir es schaffen, die EU-Außengrenzen zu schützen. Wenn wir das nicht schaffen, dann müssen wir zumindest die deutschen Grenzen schützen. Wenn wir das nicht schaffen, sehe ich dieses Land in einen Bürgerkrieg hineinschlittern."

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