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Unwort des Jahres 2006

19. Januar 2007

"Freiwillige Ausreise" ist das Unwort des Jahres. Das gab die zuständige Experten-Jury am Freitag (19.1.) in Köthen in Sachsen-Anhalt bekannt. Das Wort stehe in einem schiefen Verhältnis zur Realität.

Stempfel mit der Aufschrift "Ausgewiesen", Foto: bilderbox
Ausgewiesen und freiwillig ausgereist?Bild: Bilderbox

Mit "Freiwillige Ausreise" ist zum wiederholten Mal ein Begriff zum Unwort des Jahres gewählt worden, der sich mit dem Leben von Ausländern in der Bundesrepublik befasst. Die Freiwilligkeit einer solchen Ausreise von Asylbewerbern aus der Bundesrepublik könne in vielen Fällen bezweifelt werden, begründete die Jury am Freitag (19.1.) im historischen Sitzungssaal des Rathauses von Köthen in Sachsen-Anhalt ihre überraschende Wahl zum Unwort 2006.

"Freiwillige Ausreise" im "schiefen Missverhältnis zur Realität"Bild: AP

"Vielmehr sind die Umstände, die zur Freiwilligkeit führen, nicht die besten", sagte Horst Dieter Schlosser, Jury-Vorsitzender der Universität Frankfurt am Main. Damit stehe das Wort in einem schiefen Verhältnis zur Realität, erläuterte er die Entscheidung der fünf Sprachwissenschaftler. Zudem wies Schlosser darauf hin, dass das Gremium in diesem Jahr "ausdrücklich zwei weitere Unwörter gerügt" habe.

Wolfgang Joop als "Konsumopfer"

Auf Platz zwei kommt demnach "Konsumopfer". Damit habe 2006 der Modemacher Wolfgang Joop extrem magere Models umschrieben, die zu Lasten ihrer Gesundheit für das Schönheitsideal der Konsumgesellschaft hungern müssten. Das Wort "Neiddebatte" landete an dritter Stelle. Der ehemalige Bundesbankchef Ernst Welteke habe damit im Vorjahr die ernsthafte Diskussion um die Angemessenheit von Millionenbezügen bestimmter Spitzenmanager auf die Stufe eines klein karierten Neides herabgewürdigt, hieß es zur Begründung.

"Humankapital" als Unwort des Jahres 2004Bild: dpa

Insgesamt gingen den Angaben zufolge 2.247 Zuschriften und 1.130 Vorschläge ein. Schlosser räumte ein, dass die "Freiwillige Ausreise" dabei gerade vier bis fünf Mal vorgeschlagen worden sei. Doch davon lasse sich die Jury nicht leiten; das habe sie auch in

den vergangenen Jahren nicht getan. Der Sprachwissenschaftler verwies in diesem Zusammenhang auf das Grimmsche Wörterbuch. Demnach existiere der Begriff "Unwort" bereits seit 1473 und beschreibe einen "anderen verletzenden, beleidigenden Begriff".

Beispiele dafür seien "Unsitte", "Untugend", "Unart" und eben "Freiwillige Ausreise".

Nicht beleidigend genug

Damit erklärt sich auch, warum andere Begriffe, die wesentlich häufiger für das als Unwort 2006 vorgeschlagen wurden, von der Expertenkommission nicht beachtet wurden - so "Unterschicht" und "Prekariat", die auf Platz eins beziehungsweise zwei der am häufigsten vorgeschlagenen Begriffe für das Unwort des Jahres 2006 landeten. Beides seien Fachbegriffe, keine Unwörter, sagte Schlosser. Hier werde der Unmut der Bevölkerung mit dem Unding verwechselt.

Jurymitglied Horst Dieter Schlosser rügt direkt drei UnwörterBild: picture-alliance/ dpa

"Hinter der Debatte um diese Wörter stehe die soziale Angst", fügte er hinzu. Ähnlich stehe es um die "Gesundheitsreform". Vom Begriff "Problembär", ebenfalls häufig vorgeschlagen, seien die Leuten einfach genervt gewesen. Zudem habe es kein Problem mit dem Tier, sondern mit den Menschen gegeben, die nicht mit ihm umgehen konnten. Einige "wollten wohl auch Herrn Stoiber etwas ans Zeug flicken", meinte der Sprachexperte und gab zu: "Der

'Problembär' war schon Unwort-verdächtig."

Viele Unworte im Zusammenhang mit Ausländern

Mit "Freiwillige Ausreise" kritisierte die Unwort-Jury zum wiederholten Mal einen Begriff, der sich mit dem Leben von Ausländern in der Bundesrepublik beschäftigt. "Ausländerfrei" hieß das erste Unwort, das 1991 gekürt wurde. Mit "Überfremdung" kritisierten die Experten 1993 das Scheinargument gegen den Zuzug von Ausländern. Und mit "national befreite Zone" wurde 2000 die zynische heroisierende Umschreibung einer Region gerügt, die von Rechtsextremisten terrorisiert wird, wie Schlosser erinnerte. Unwörter des Jahres waren bisher unter anderem "Gotteskrieger", "Humankapital", "Ich-AG" oder "sozialverträgliches Frühableben". Im vergangenen Jahr hatte der Begriff "Entlassungsproduktivität" das Rennen gemacht. (ina)

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