1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Freundschaft hat ihren Preis

Daniel Heinrich, Istanbul31. Oktober 2015

Die Flüchtlingskrise macht’s möglich. Mit einem Schlag ist das politische Gewicht der Türkei gewachsen. Die Unterstützung aus Ankara hat für die EU jedoch ihren Preis. Nicht nur finanziell. Von Daniel Heinrich, Istanbul.

Brüssel Jean-Claude Juncker Treffen mit türkischem Präsidenten Tayyip Erdogan
Bild: Reuters/F. Lenoir

"Dostum" - mein Bruder - nennt Jean-Claude Juncker den türkischen Präsidenten neuerdings. Nach dem Besuch Recep Tayyip Erdogans beim EU-Kommissionspräsidenten in Brüssel Anfang Oktober erschienen die beiden Politiker betont herzlich zur Pressekonferenz. Für den türkischen Oppositionsabgeordneten Yusuf Halacoglu ist die Kumpelei Junckers jedoch lediglich das Ergebnis knallharter realpolitischer Überlegungen: "Die Europäische Union will die Türkei doch nur als einen Pufferstaat nutzen, der alle Flüchtlinge auffangen soll, die nach Europa weiterziehen möchten," so der Politiker der nationalistischen MHP im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Schon jetzt übernimmt die Türkei einen Löwenanteil bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Über zwei Millionen Syrer haben hier insgesamt Zuflucht vor Chaos und Bürgerkrieg gefunden.

Türkei soll noch stärker eingebunden werden

Neben Juncker plädiert vor allem die deutsche Bundeskanzlerin für eine stärkere Einbindung der Türkei. Ende Oktober war Angela Merkel dafür extra nach Istanbul gereist. Für den Türkeiexperten Gareth Jenkins vom Institute for Security and Development Policy in Istanbul war das Ziel klar: "Es sollen möglichst viele Flüchtlinge von der EU fern-, und in der Türkei gehalten werden", so Jenkins gegenüber der DW. Eines wurde bei den Gesprächen am Bosporus jedoch schnell klar: Die Unterstützung aus Ankara wird für die "europäischen Freunde" nicht günstig. Drei Milliarden Euro fordert man in Ankara von der EU.

Zwei Millionen syrische Flüchtlinge hat die Türkei aufgenommenBild: Getty Images/C. Court

Für Türkeiexperte Gareth Jenkins geht die EU in ihren Bemühungen um Annäherung sehr weit: "Die EU hat sowohl ihre Kritik an Präsident Erdogan und an der AKP heruntergefahren, wie auch die Veröffentlichung eines mit großer Wahrscheinlichkeit sehr kritischen Fortschrittsberichts über die Türkei auf die Zeit nach den Wahlen am 1. November verschoben."

EU-Beitritt will eigentlich keiner

Zusätzlich beharrt die Türkei auf der seit langem geforderten Einführung der Visafreiheit. Sogar von der Öffnung neuer Verhandlungskapitel im EU-Beitrittsprozess ist nun die Rede. Dieser, vor allem in konservativen Kreisen Deutschlands stark kritisierte Schritt ist jedoch wohl mehr von symbolischer Natur.

Gareth Jenkins: "Weder Erdogan noch die AKP haben überhaupt ein Interesse an einem Beitritt zur EU. Außenpolitisch hängen sie tatsächlich noch der Vorstellung nach, den gesamten Nahen Osten in eine Art neo-osmanisches Einflussgebiet zu verwandeln. Aber auch das wird nicht passieren".

Das Desinteresse an einem EU-Beitritt beschränkt sich in der Türkei jedoch nicht nur auf die AKP, wie im Gespräch mit Yusuf Halacoglu schnell klar wird: "Die Europäische Union hat zwar Großes geleistet für den Frieden in Europa,“ so der Politiker, für die Türkei sei die EU heute aber nur mehr „als wirtschaftlicher Bezugspunkt wichtig". Ein EU-Beitritt kommt für ihn nicht in Frage.

Für Samuel Vesterbye von der Nichtregierungsorganisation "Young Friends of Turkey" in Brüssel trägt die EU eine Mitschuld an den stagnierenden Verhandlungen: "Das Problem liegt doch nicht alleine an der AKP," so Vesterbye gegenüber der DW: "Ohne ein ernsthaftes Versprechen, die Beitrittsverhandlungen voranzutreiben, wird es nie zu einem echten Ergebnis kommen. Und genau das hat die Europäische Union der Türkei bisher verweigert."

EU verspielt Vertrauen

Vertrauen in EU-Institutionen zu entwickeln, das fiel vielen Türken schon vor der Flüchtlingskrise schwer. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Eurobarometer vom August 2015 halten 40 Prozent der Türken einen EU-Beitritt ihres Landes für "schlecht."

Oppositionspolitiker Yusuf HalacogluBild: DW/D. Heinrich

Laut Gareth Jenkins hat die EU in der Türkei durch ihr Verhalten in der Flüchtlingskrise einen großen Imageschaden davongetragen: "Auf beiden Seiten des politischen Spektrums des Landes ist man inzwischen der Meinung, dass die EU ihre eigentlich so hehren Prinzipien wie Menschenrechte, und demokratische Prinzipien sehr schnell bereit ist, über den Haufen zu werfen und sogar bereit ist , mit autoritären Regimen zusammenzuarbeiten; wenn es denn nur ihren eigenen Interessen nutzt."

Oppositionspolitiker Yusuf Halacoglu bricht seine Haltung herunter und macht seine Ablehnung gegenüber Europa an einer einzigen Person fest: "Für mich ist Europa Deutschland und Deutschland Merkel." Und Merkel, so Halacoglu zur Verabschiedung "vertraue ich nicht."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen