Freut sich Ankara über Absagen?
4. März 2017Es sei schon Ironie, meint Fatma Kara*, die Besitzerin eines Cafés im Nachtviertel Tunali der türkischen Hauptstadt Ankara. "Diejenigen, die sich über mangelnde Pressefreiheit in der Türkei beschweren, tun dies wieder - nur dass sie nun im Ausland sind", so Kara. Sie nippt an einem Tee und denkt über die zunehmend angespannten deutsch-türkischen Beziehungen nach.
Seit der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel wurden insgesamt drei Veranstaltungen der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland abgesagt. AKP-Abgeordnete und Minister wollten in Deutschland für Erdogans Präsidialsystem werben. Im April wird darüber in einem Referendum abgestimmt.
"Deutschland tut uns einen Gefallen"
Die harsche Kritik türkischer Minister an den Absagen ist für die Café-Besitzerin Kara ein Beispiel für die feindselige Haltung, die die AKP in den letzten Jahren gegenüber anderen Regierungen eingenommen habe. "Die AKP-Politiker suchen nach einem gemeinsamen Feind. Alle Ausländer werden als Gefahr bezeichnet", sagt sie. Die Regierung versuche auf diese Weise, Stimmen zu gewinnen.
"In der Vergangenheit waren türkische Politiker deutlich fügsamer und hörten auf europäische Ratschläge", fügt Fatma Kara hinzu. Aber dies habe sich verändert, seit die EU-Beitrittsverhandlungen 2010 ins Stocken geraten sind, meint die Café-Besitzerin im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Geschätzt leben rund drei Millionen türkisch-stämmige Menschen in Deutschland - 1,4 Millionen von ihnen sind wahlberechtigt in der Türkei. Davon stimmten in der Vergangenheit knapp 60 Prozent für die AKP.
Für den Rückhalt sei vor allem die Haltung von Präsident Erdogan als Anführer der muslimischen Welt verantwortlich, analysiert Nihat Alçan, der die Jugendbewegung der AKP in Iğdir leitet. Die deutsch-türkischen AKP-Wähler erfülle es mit Stolz, wenn sich Erdogan den ausländischen Mächten entgegenstelle.
Streicheleinheiten aus Ankara
"Um ehrlich zu sein: Deutschland hat uns einen Gefallen getan", sagt Alçan im Gespräch mit der DW. "Wir hatten eine recht niedrige Beteiligung beim bevorstehenden Referendum über die Verfassungsänderung erwartet. Aber die Behandlung unserer Politiker wird die Leute an die Urne bringen und so das Ergebnis in Richtung 'Ja' bewegen", ist er sich sicher.
Absagen an politische Auftritte in Deutschland sind in der Vergangenheit nicht häufig vorgekommen. Zuletzt im vergangenen Jahr, als in Köln eine Videobotschaft von Präsident Erdogan nicht ausgestrahlt werden durfte. Seitdem beschuldigen AKP-Unterstützer die deutschen Behörden, einseitig zu handeln. Vor allem, weil pro-kurdische Gruppen ihre politische Aktivitäten frei verfolgen können.
Die Absagen an die AKP-Veranstaltungen seien aber dennoch gerechtfertigt, sagt Ezgi Güyildar, NRW-Mitglied der Linken. Sie findet, dass die Vormachtsbestrebungen der AKP außerhalb der Türkei gestoppt werden müssen. Dabei bezieht sie sich vor allem auf den Verdacht, dass Imame des Dachverbandes DITIB in Deutschland politische Gegner der AKP überwacht haben sollen.
"Wenn die AKP in Deutschland Wahlkampf macht, dann sagen sie ihren Leuten, dass sie sich nicht ausbeuten lassen, sich nicht an die westliche Kultur anpassen und nicht zu Abtrünnigen werden sollen", sagt Ezgi Güyildar. Diese Rhetorik gefalle vielen Deutsch-Türken. Vor allem denjenigen, die sich vom deutschen Staat noch immer nicht aufgenommen fühlten, obwohl sie vor mehreren Jahrzehnten als Arbeiter nach Deutschland kamen.
Türkische Retourkutsche?
Die Türkei scheint auf die Absagen schnell zu reagieren. Ali Atalan, Mitglied der pro-kurdischen HDP im Parlament von Mardin und ehemaliger Abgeordneter der Linken erzählt, dass am Freitag drei deutschen Staatsbürgern mit jesidischer Abstammung am Flughafen von Istanbul der Eintritt ins Land verweigert worden sei.
Die jesidische Familie war auf dem dem Weg nach Mardin, um dort einen Angehörigen zu bestatten. Nur zwei der fünf Familienmitglieder hatten eine deutsche und eine türkische Staatsbürgerschaft. Wer keinen türkischen Pass vorweisen konnte, sei abgewiesen worden.
"Ist das Demokratie?", fragt Atalan und fügt die Antwort hinzu. "Das ist eine direkte Antwort auf die Geschehnisse in Deutschland." Atalan spricht sich gegen die Absage von Auftritten türkischer Politiker in Deutschland aus. Er plädiert dafür, dass die AKP-Politiker auch in Deutschland das Recht haben sollten, sich zu äußern.
Zurück in Ankara ist auch die Café-Besitzerin Fatma Kara dieser Meinung. "Es zeigt doch, dass Demokratie von allen und überall benötigt wird. Beide Seiten haben Fehler gemacht. Das ist schmutzige Politik", so Kara.
*der Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert