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Fridays for Future des Dekolonialismus?

Torsten Landsberg
15. Oktober 2020

Eine Gruppe klaut koloniales Kulturgut aus einem Museum: Ist Aktivismus eine Möglichkeit, die Politik bei der Rückgabe von Exponaten unter Druck zu setzen?

Drei Raubkunst-Bronzen aus dem Land Benin
Bild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

Streit um Raubkunst aus Afrika

02:50

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Ein paar Männer kaufen sich ganz offiziell Tickets für das Pariser Museum Quai Branly für außereuropäische Kunst. Dort entwenden sie kurzerhand einen ausgestellten hölzernen Totem-Pfahl aus Afrika aus dem 19. Jahrhundert und tragen ihn zum Ausgang - bis Wachleute sie stoppen.

Vier Monate später wird diese Gruppe am 14. Oktober 2020 vor einem Pariser Gericht wegen versuchten Diebstahls zu Geldstrafen verurteilt.

Ein Kunstdiebstahl, der gescheitert ist? Wohl kaum. Sonst hätte das Gericht trotz einer möglichen Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe wohl kaum so niedrige Geldstrafen in Höhe von 1000 Euro verhängt. Diese wurden zudem zur Bewährung ausgesetzt.

Emery Mwazulu Diyabanza gibt der Presse zum Prozessauftakt im Pariser Justizpalast InterviewsBild: Thibault Camus/AP/picture alliance

Und sonst hätten die vermeintlichen Diebe die Aktion wohl kaum live ins Internet übertragen, begleitet von dem Vortrag ihres Anführers Emery Mwazulu Diyabanza über aus Afrika geraubte Kunst.

Diyabanza, der aus dem Kongo stammt, rief "die schwarze, afrikanische und panafrikanische Diaspora" nach dem Prozess in Paris dazu auf, einen kulturellen Schutzschild zu bilden, um so das "im Westen eingeschlossene kulturelle, wirtschaftliche und soziale Erbe" zu befreien.

Mit Aktionen Aufsehen erregen

Das Motiv der Aktion war die Rückgabe des Totem-Pfahls an sein Herkunftsland, den Tschad. Ob diese politische Aktion nun eine Straftat war, ziviler Ungehorsam oder Aktivismus, eins hat sie bewirkt: Sie hat weltweit Aufsehen erregt und der Debatte über den Umgang Europas mit der kolonialen Vergangenheit in Afrika eine dringend notwendige Aufmerksamkeit gebracht.

"Viel Rauch, aber wenig Feuer", sieht der Historiker Jürgen Zimmerer in den politischen Willensbekundungen der ehemaligen Kolonialmächte, geraubte Kunst- und Kulturgüter an die afrikanischen Herkunftsländer zurückzugeben.

Das sei in Frankreich und auch in Deutschland so. "Unbedeutende Sammlungen können erforscht werden, dafür gibt es Geld, aber die bereits identifizierten kolonialen Raubobjekte werden nicht restituiert", sagt der Professor für Afrikanische Geschichte an der Uni Hamburg im DW-Gespräch. 

Raubkunst aus Afrika?: Diese Bronzen aus dem Benin sind bislang nicht restituiertBild: Michaela Hille

Als Beispiel nennt er die umstrittenen Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria, die im Berliner Humboldt Forum ausgestellt werden sollen. "Wenn das erst einmal eröffnet wird, gewinnt das Bestehende eine starke Beharrungskraft", fügt der Leiter der Forschungsstelle "Hamburgs (post-)koloniales Erbe" hinzu. Werde nur eine einzige Bronze ausgestellt, ohne vorab eine adäquate kunstpolitische Regelung zu treffen, "verwandelt sich das Humboldt Forum in einen Raubkunst-Palast".

Chancen "nicht sehr rosig"

Sind spektakuläre Aktionen wie die von Diyabanza womöglich der einzige Weg, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die politisch Verantwortlichen damit unter Handlungsdruck zu setzen? Sind solche vermeintlichen Museumsdiebstähle das "Fridays For Future" des Dekolonialismus?

"Aktivismus wie der von FFF ist ein zutiefst demokratischer Akt", sagt Jürgen Zimmerer. Er sei ein wichtiges Moment, um auf das Versagen der Politik in diesem Bereich hinzuweisen. "Das gilt auch für die dekoloniale Bewegung. Angesichts des Mauerns der Politik ist das eine wichtige Ausdrucksform." Dabei gehe es nicht allein um die Restitution geraubter Objekte, sondern auch um die Dekolonisierung des öffentlichen Raumes.

In Berlin sind einige Namen von U-Bahn-Stationen und Strassen umstrittenBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/S. Kanz

Regionale Initiativen wie Decolonize Berlin setzen sich unter anderem für die Umbenennung von Straßen und Plätzen ein, deren Namen einen historisch-kolonialen Kontext haben. "Hier sieht die Bilanz selbst in Deutschland, wo die Aufarbeitung des kolonialen Erbes seit 2018 Regierungsziel ist, nicht sehr rosig aus", urteilt Jürgen Zimmerer.

Fortsetzung des Kolonialismus

Kritiker sehen in der Restitutions-Debatte eine herablassende Haltung westlicher Regierungen und Museen, in deren Argumentation mitschwinge, dass insbesondere afrikanischen Ländern nicht zugetraut wird - weder technisch, klimatisch oder sachverständig - angemessen mit den Kunst-Exponaten umgehen zu können. Der Tenor sei: In westlichen, zivilisierten Gesellschaften sind diese Kunstschätze besser aufgehoben. Und das sei letztendlich eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln. 

Um diesem Eindruck zu entgegnen, haben Bund und Länder der Bundesrepublik Deutschland am 14. Oktober 2020 eine neue Strategie für die Erfassung und für die digitale Veröffentlichung von Sammlungsgut aus der Kolonialzeit besprochen.

Dazu gehören: zentraler Zugang zu bereits digital erfassten Gütern, sowie eine digitale Grunderfassung und die Publikation "einschlägiger Bestände" im Netz. Die Maßnahmen sollen erstmal mit ausgewählten Einrichtungen und wissenschaftlichen Sammlungen erprobt werden.

Jürgen Zimmerer, der für den Deutschen Museumsbund den Leitfaden zum Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten mit erarbeitet hat, gehen diese Maßnahmen nicht weit genug. Er fordert ein generelles Restitutionsgesetz in Deutschland und statt des Zugriffs auf einen aufbereiteten Bestand die "sofortige Öffnung aller Archive der Museen und freien Zugang zu den Dokumenten".

Raubkunst-Objekte, wie diese afrikanischen Skulpturen, geraten immer mehr in die KritikBild: WDR

Der Umgang mit geraubten Objekten müsse eindeutig geregelt werden: "Das Bekenntnis zur Rückgabe muss kodifiziert werden. Im Einzelfall gilt es dann nur die Modalitäten zu klären." Auch der Verbleib von Kunst-Objekten in deutschen Museen sei möglich, jedoch nur unter der Bedingung, dass die Eigentümer darüber frei entscheiden könnten: "Geraubte Objekte dürfen nicht Gegenstand eines politischen Kuhhandels werden."

Aktivist Emery Mwazulu Diyabanza kündigte trotz der verhältnismäßig geringen Geldstrafe an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Alle am Prozess beteiligten Parteien hätten festgestellt, dass keine Absicht zum Diebstahl bestand habe. Durch das Gerichtsurteil sollten Aktivisten abgeschreckt werden, sagt er: "Wir werden den Kampf mit allen Mitteln fortsetzen."

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