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Politik

Schulschwänzer oder Retter des Klimas?

Rahel Klein
29. März 2019

Kritiker bezeichnen die "Fridays for Future"-Aktivisten als Schulschwänzer, zweifeln an der Substanz der Streiks. Wie ernst zu nehmen ist die Jugendbewegung? Protestforscher jedenfalls sind beeindruckt.

Deutschland Schülerdemo zum Klimaschutz in Hamburg
"Fridays-for-Future"-Proteste Anfang März in HamburgBild: Getty Images/A. Berry

Eigentlich steckt Sebastian Grieme mitten im Abitur. Doch der 19-Jährige sagt: "Meine Prioritäten liegen gerade ein bisschen anders." Zwölf Stunden, manchmal mehr, investiert er im Moment jeden Tag in die Arbeit für "Fridays For Future". "Mit dem Demonstrieren ist es nicht getan. Die allermeiste Arbeit, die wir hier reinstecken, findet in unserer Freizeit statt." Am Wochenende hat er am gemeinsamen Forderungspapier gearbeitet, sich mit anderen Mitgliedern der Bewegung abgestimmt, Nachrichten für die bundesweiten Gruppen vorbereitet - von morgens neun Uhr bis nachts um zwei.

Gemeinsamer Forderungskatalog

Grieme ist Teil der 100-köpfigen "Arbeitsgruppe Forderungspapier". Ihr Ziel: Ein gemeinsamer, bundesweiter Forderungskatalog der "Fridays-for-Future"-Bewegung. Dafür haben sie Gespräche mit Wissenschaftlern geführt, wissenschaftliche Gutachten gelesen. Grieme hat sich nach eigenen Angaben durch den 150-seitigen IPCC-Bericht, den Klimabericht der Vereinten Nationen, gearbeitet. "Wir versuchen, auf Basis davon noch konkreter Forderungen an die Politik heranzutragen."

Sebastian Grieme versucht neben "Fridays for Future" noch Zeit für sein Abitur zu findenBild: privat

Seit Mitte Dezember gehen deutschlandweit Schülerinnen und Schüler freitags auf die Straße, um für eine nachhaltigere Klimapolitik zu demonstrieren. Ihr Vorbild: Die 16-jährige schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die mit einem mehrwöchigen Schulstreik internationale Aufmerksamkeit erlangte und weltweite Freitagsproteste auslöste. An diesem Freitag will Thunberg die deutsche Bewegung in Berlin unterstützen.

Öffentliche Diskreditierungsversuche 

Kritiker sagen, "Fridays For Future" sei nur eine emotionale Bewegung ohne Substanz. FDP-Chef Christian Lindner erklärte vor kurzem, Klimapolitik sei "eine Sache für Profis". Und der Ex-Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, schrieb in einem Kommentar für die "Bild"-Zeitung kürzlich, die meisten Nachwuchsprotestler verstünden die "Zukunftsfreitage" bewusst falsch - als "Lizenz zum Schulschwänzen". Und mit dem Vorwurf steht Buschkowsky nicht alleine da.

Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg tritt auch bei Protestaktionen in Deutschland aufBild: Getty Images/A. Berry

Abiturient Sebastian Grieme ärgert sich über solche Aussagen. "Wenn uns Herr Lindner sagt, dass wir das den Profis überlassen sollen, dann frage ich ihn, ob er den IPCC-Bericht gelesen hat." Und den Vorwürfen zum Schuleschwänzen widerspricht nicht nur Grieme. Befragungen von Protestforschern kommen ebenfalls zu dem Schluss: "Schulschwänzen ist auf jeden Fall nicht das Motiv, warum die Leute dahin gehen", sagt Juniorprofessor Sebastian Koos vom Institut für Politik und öffentliche Verwaltung der Universität Konstanz. Er ließ die Teilnehmer der Demo in Konstanz am 15. März nach ihren Motiven befragen. Knapp 90 Prozent fanden nicht, dass die Freitagsdemos eine gute Gelegenheit seien, um die Schule zu schwänzen. "Man muss dazu sagen: An dem Freitag hat es in Konstanz geregnet und gestürmt, das Wetter war wirklich katastrophal. Wer Schule schwänzen wollte, war garantiert nicht bei den Protesten", sagt Koos im Gespräch mit der DW.

Sophia Salzberger findet die Vorwürfe ebenfalls absurd. Die Schülerin organisiert die "Fridays for Future"-Proteste in Lepizig. "Ich würde sagen, bei mir ist das schon ein Teilzeitjob, ich arbeite locker zehn bis 20 Stunden in der Woche für 'Fridays for Future' ", sagt sie der DW. "Und mir dann zu unterstellen, ich mache das nur fürs Schuleschwänzen, ich glaube, da gäbe es leichtere Methoden, als sich einer globalen Jugendbewegung anzuschließen."

Entscheidungen per Basisdemokratie

Mehr als 350 Ortsgruppen hat die "Fridays for Future"- Bewegung nach eigenen Angaben inzwischen. Jede Ortsgruppe entsendet einen Delegierten, den "Deli", in ein bundesweites Plenum. Das wiederum tagt einmal pro Woche per Telefonkonferenz und diskutiert unter anderem darüber, wann die nächste große Streikaktion stattfindet, ob es ein Spendenkonto geben soll oder ob Politiker zu den Aktionen eingeladen werden. Über die Vorschläge entscheiden dann die jeweiligen Ortsgruppen, und eine Woche später stimmt das Plenum über die Beschlüsse ab. "Basisdemokratie" nennen die "Fridays-for-Future"-Aktivisten das. Sie vernetzen sich über WhatsApp-Gruppen, Instagram, Facebook, Telegram oder Slack. Es gibt eine eigene Presseabteilung, die innerhalb weniger Minuten auf Presseanfragen reagiert und Mitteilungen rausgibt.

Luisa Neubauer (Bildmitte) ist Mitglied der Grünen und eine der Wegbereiterinnen der deutschen ProtesteBild: picture-alliance/dpa/C. Koall

Luisa Neubauer hat die deutschen "Fridays-for-Future"-Proteste mit ins Leben gerufen. Medien bezeichnen die 22-jährige Geografie-Studentin auch als die deutsche Greta Thunberg. Neubauer lernte Thunberg bei der Klimakonferenz in Kattowitz kennen. "Ich dachte: Wir müssen ganz viel verändern und ganz schnell laut werden", sagt Neubauer im Interview. "Unsere Proteste erzeugen öffentlichen Druck, der alle Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in die Verantwortung nimmt und den Handlungsdruck erhöht." Ihre zentralen Forderungen: Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und den schnelleren Ausstieg aus der Kohle - nicht erst 2038.

Forscher bescheinigen Jugendlichen Erfolg

Protestforscher sind von der wachsenden Bewegung beeindruckt. "Sie haben das Thema Klimawandel noch einmal in einer ganz anderen Weise als bisher auf die Tagesordnung gesetzt", sagt Protestforscher Sebastian Haunss, Professor an der Universität Bremen. Er ist der Ansicht, dass die Jugendlichen schon viel richtig machen, um eine nachhaltige soziale Bewegung zu werden. "Sie setzen nicht darauf, dass sie irgendwelche spektakulären Aktionen machen, sie setzen auch nicht auf prominente Sprecher, sondern auf eine eigene Überzeugung vor Ort." Und: "Sie haben es geschafft, die Leute zu einem Handeln zu bringen, was sie sonst nicht tun würden." Viele Teilnehmer der Freitagsdemos riskieren mit ihrem Kommen nämlich unentschuldigte Fehlstunden. Um wirklich Bestand zu haben, brauchen sie nach Ansicht von Haunss Alliierte. "Sie brauchen andere Akteure, die sie unterstützen, die ihr Anliegen aufnehmen."

Am 15. März gingen deutschlandweit Zehntausende Jugendliche auf die Straße. Allein in Berlin nahmen laut Polizei bis zu 20.000 Menschen an dem Schülerstreik teilBild: picture-alliance/dpa/C. Koall

Die hat "Fridays for Future" in den letzten Wochen bekommen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) veröffentlichte eine offizielle Solidaritätserklärung. Politiker fast aller politischen Parteien erklärten sich mit "Fridays for Future" solidarisch - sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte das Engagement der Jugendlichen. Und auch die "Profis" unterstützen die Bewegung. 23.000 Wissenschaftler - die "Scientists for Future"- unterschrieben eine Stellungnahme, dass sie die Demos unterstützen.

"Greta-Effekt" mobilisiert

Protestforscher Sebastian Koos aus Konstanz glaubt ebenfalls daran, dass "Fridays for Future" das Potential hat, eine langfristige Bewegung zu werden. Er spricht vom "Greta-Effekt": Die Jugendlichen hätten gesehen, dass sie etwas bewirken können. Wie groß die Bewegung wird, hänge neben der Mobilisierung weiterer Gruppen auch davon ab, inwieweit sich die Jugendlichen auch in die klassische politische Arbeit einbringen würden und nicht alles auf die Karte "Fridays for Future" setzten, sagt Koos. Und er sagt: Viele Forderungen seien im Moment noch etwas abstrakt. "Ich glaube, der nächste Schritt ist, noch mal konkrete Politikziele zu formulieren."

Damit wird sich Sebastian Grieme auch in den kommenden Wochen beschäftigen. Wobei er auch zu Bedenken gibt: "Es ist ja nicht so, dass wir irgendwas Neues erarbeiten würden", so Grieme. "Wir fordern nur das ein, was uns die Politik schon längst versprochen hat."

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