Friedemann: Flugschreiber allein beantworten nicht alle Fragen
20. Juli 2014 298 Menschen starben bei der Flugzeugkatastrophe in der Ukraine. Die meisten waren Niederländer. Auch vier Deutsche sind unter den Opfern. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat deswegen jetzt den Direktor der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), Ulf Kramer, und einen weiteren BFU-Mitarbeiter in die Ukraine entsandt. Das teilte das Verkehrsministerium am Sonntag (20.7.2014) mit. Die beiden Deutschen sollen mit Experten anderer Länder zusammenarbeiten, um die Hintergründe des Absturzes aufzuklären.
Jens Friedemann ist Luftfahrtexperte beim BFU und befasst sich seit Jahrzehnten mit Flugzeugunglücken.
Deutsche Welle: Herr Friedemann, was genau wird eigentlich nach Flugzeugabstürzen untersucht?
Jens Friedemann: Bei der Untersuchung eines Wracks an der Unfallstelle geht es darum herauszufinden, wie das Flugzeug dort aufgeprallt ist: In einem Stück oder hat es im Flug Teile verloren? Mit welcher Längs- oder Querneigung? Es geht darum Aussagen treffen zu können, ob die Triebwerke gelaufen sind und um andere Informationen. Aus der Lage der Wrackteile können sich Hinweise darauf ergeben, ob das Flugzeug in größerer Höhe auseinandergebrochen ist. Außerdem werden Zeugen befragt.
Abseits der Unfallstelle werden Informationen eingeholt, die das Radarsystem gespeichert hat: Höhenangaben, Flugweg oder Geschwindigkeit. Auch der Funkverkehr wird überprüft.
An Bord eines Flugzeuges sind außerdem verschiedene Datenträger. Es gibt den Flugdatenschreiber, der technische Parameter speichert. Triebwerksdrehzahlen, Kraftstoffdurchflussmengen, Geschwindigkeiten - das sind viele hundert Parameter, die gespeichert werden. Und dann gibt es den Cockpit-Voicerecorder. Der zeichnet Stimmen und Geräusche aus dem Cockpit auf. Es gibt auch noch weitere Datenaufzeichnungsgeräte, die aber nicht aufprallgeschützt sind. Die können auch noch Daten enthalten, aber es kann sein, dass die zerstört sind.
Wie schwierig ist es, die Flugschreiber zu finden?
Die haben eine bestimmte Farbe, die dabei helfen soll, sie zu finden. Wenn man weiß, wonach man sucht und wo sie installiert sind, sind sie leicht zu finden. Sie sind fest eingebaut und sollen nicht von selbst herausfallen.
Wie wichtig sind die Flugschreiber zur Klärung der Absturzursache?
Es ist nicht so, dass man sich nur die Recorder greifen muss und dann sind alle Fragen beantwortet. Ein wesentlicher Teil ergibt sich aus dem Recorder, aber längst nicht alles. Es gibt einfach ausgedrückt drei Untersuchungsbereiche: Einmal alles was sich mit den Insassen beschäftigt, also in erster Linie mit den Piloten. Wie erfahren waren sie? Welche Trainings hatten sie? Wie viele Stunden waren sie im Dienst? Der zweite Teil ist die Technik, am Wrack selbst, bestimmte verdächtige Brüche, Beschädigungen. Aber auch die Wartungshistorie bestimmter Systeme. Der dritte Teil sind Umgebungsfaktoren, Wetterbedingungen, Flugsicherungs- und Luftraumbesonderheiten. Es ist das Zusammenspiel dieser Bereiche.
Werden Satellitendaten so ausgewertet, dass dort auch Raketen erkennbar sind?
Das hängt davon ab, welche Satelliten zur Verfügung stehen. Und natürlich, ob die Informationen vorliegen. Einige Satelliten haben technische Einrichtungen, bestimmte Dinge zu erfassen, andere nicht. Allgemein ist es durchaus möglich, dass allerlei Dinge erkannt werden. Im konkreten Fall weiß ich das im Moment nicht zu beantworten.
Haben sie schon mal ein Flugzeug untersucht, das von Raketen beschossen wurde?
Nein, so einen Fall habe ich noch nicht gehabt.
Wann wird die Bundestelle für Flugunfalluntersuchung aktiv?
Die Untersuchung von Flugunfällen und schweren Störungen mit zivilen Luftfahrzeugen ist im Chicagoer Abkommen geregelt. Der größte Teil der Welt ist diesem Abkommen beigetreten. Da ist festgelegt, wer die Untersuchung aufnehmen soll und wer sich daran beteiligen darf beziehungsweise muss. Die Herstellerstaaten des Flugzeugs haben das Recht teilzunehmen. Außerdem der Staat, aus dem die Fluggesellschaft kommt. Und dann gibt es auch gewisse Rechte für Staaten, deren Bürger unter den Opfern sind.
Grundsätzlich gibt es bei einem Unglück mehrere Untersuchungen. Einmal die Identifizierung der Opfer. Dabei helfen gegebenenfalls auch Experten des Bundeskriminalamts. Dann gibt es einen staatsanwaltlichen Untersuchungsteil, an dem auch internationale Polizeiorgane beteiligt sind. Dabei geht es um die Suche nach Verantwortlichen, die möglicherweise angeklagt werden müssen. Und dann gibt es abseits davon die Untersuchung der Ursachen eines Unglücks. Da sind entsprechend dem Chicagoer Abkommen auch internationale Stellen beteiligt, gegebenenfalls auch das BFU.