Frieden schaffen mit Kultur
11. August 2013Im Nürnberger Hubertussaal wird es eng - die Besucher sind gekommen, um die Abschlussproduktion des Studiengangs "Darstellendes Spiel" an der Universität Erlangen-Nürnberg zu sehen. In dem Theaterstück verarbeiten die Studierenden den überraschenden Tod ihres Dozenten, der eigentlich ein ganz anderes Werk mit ihnen geplant hatte. Das aufwühlende Stück ist nun vor allem eine Collage aus Erinnerungen und Wünschen an ihn. Und ein Weg, den eigenen Umgang mit dem Tod zu hinterfragen.
Dass sie in ihrem Studium die Möglichkeit hat, im Theaterspiel mehr über sich, andere und die Welt zu lernen, gefällt der 23-jährigen Studentin Caja Sommerfeld. "Man sollte das studieren, um sich selbst zu finden", meint sie. "Und um zwischen verschiedenen Kulturen vermitteln zu können."
Breitere Perspektive als Chance
Dieser interkulturelle Aspekt liegt auch Eckart Liebau sehr am Herzen. Von seinem Lehrstuhl für Kulturelle Bildung wird der Studiengang koordiniert. Er geht davon aus, dass kulturelle Bildung vor dem Hintergrund der Globalisierung immer wichtiger wird. "So entstehen Möglichkeiten des Austauschs und der friedlichen Kommunikation, die auf andere Art und Weise nicht so einfach geschaffen werden können. Auch das Interesse an anderen wächst", ist Liebau überzeugt. Um etwa zusammen zu tanzen, brauche man keine gemeinsame Sprache.
Im Jahr 2009 wurde sein Lehrstuhl für Kulturelle Bildung von der UNESCO ausgezeichnet - eine große Ehre. Weltweit gibt es nur noch in Toronto einen ähnlichen Lehrstuhl mit UNESCO-Prädikat. Insgesamt hat die Organisation zehn Lehrstühle in Deutschland und international fast 800 ausgezeichnet . Eckart Liebau ist stolz, zur Riege der UNESCO-Lehrstuhlleiter zu gehören. Zumal sein Ansatz, kulturelle Bildung als Ganzes zu betrachten, in der Forschung eher ungewöhnlich ist.
Unterschiedliche Verständnisse von kultureller Bildung
Als er gefragt wird, wie er kulturelle Bildung für sich definieren würde, muss der Professor kurz nachdenken. Denn im Laufe der Zeit hat sich das Verständnis mehrfach gewandelt. In den 1920ern wurde die Kulturpädagogik zum ersten Mal umfassend betrachtet. Damals stand die Verbreitung der Hochkultur im Mittelpunkt: Die Gesellschaft als Ganzes sollte kultiviert werden. In den 1960er Jahren wandelte sich das Verständnis. Der Fokus lag nun mehr auf dem einzelnen Menschen.
"Kultur für alle und von allen", fasst Eckart Liebau die damalige Perspektive zusammen. In seiner heutigen Arbeit kombiniert er beides. Im Zentrum steht das Individuum, aber auch die gesellschaftlichen Wechselwirkungen nimmt er in den Blick: "Kulturelle Bildung ist für mich vor allen Dingen eine Bildung, die den Zugang zu den verschiedenen Künsten ermöglicht, zur Literatur, zum Theater und zur Musik." Auch die Museumsarbeit nimmt in seiner Forschungsarbeit einen großen Platz ein.
Deutliche Internationalisierung der Arbeit
Durch die Unterstützung der UNESCO wurde die Ausrichtung des Lehrstuhls in den letzten Jahren deutlich internationaler, ein großes Plus sowohl für Studierende als auch für Mitarbeiter. Besonders Sylke Hartmann profitiert von den Kontakten, die sich über die UNESCO ergeben haben. Die Pädagogin arbeitet seit 2012 am Lehrstuhl und untersucht, wie mit Hilfe der Kulturpädagogik die Menschenrechtsbildung vorangetrieben werden kann. Ein Bereich, in dem auch die UNESCO sehr aktiv ist.
"In meinen Seminaren ist die UNESCO ein wichtiger Ausgangspunkt für viele Themenbereiche. Das ermöglicht es den Studierenden, über den Tellerrand hinauszuschauen," freut sich Sylke Hartmann. Auch für Eckart Liebau hat sich die Arbeit deutlich internationalisiert. In einem UNESCO-Netzwerk plant er im Moment ein weltweites Monitoring-Projekt. Gemeinsam mit Kollegen aus Hongkong, Brasilien und Kanada möchte er untersuchen, auf welchem Stand die kulturelle Bildung weltweit ist und welche Verbesserungen möglich sind.
Kritik an Stellenwert kultureller Bildung
Mit Blick auf die Wertschätzung, die kultureller Bildung in Deutschland entgegengebracht wird, fällt Eckart Liebaus Fazit gemischt aus. Auf der einen Seite ist die Ausstattung von Theatern, Museen oder Konzertsälen sehr gut. Andererseits beobachtet er, dass diese Einrichtungen immer weniger Besucher anziehen. "Wenn Sie heute in ein Sinfoniekonzert gehen, dann schauen Sie auf eine große Zahl grauer Köpfe", sagt er. "In den nächsten 15 Jahren werden Musik und Theater noch so wie bislang funktionieren können. Dann aber gibt es ein Publikumsproblem."
Für den Professor ist das ein Alarmsignal. Zu oft werde wissenschaftliche oder technische Ausbildung der kulturellen Erziehung vorgezogen, kritisiert er. Das könne gravierende gesellschaftliche Folgen haben. Liebau fordert daher ein Umdenken, etwa bei der Gestaltung von Lehrplänen. Am Lehrstuhl für Kulturelle Bildung steht derweil ein Umbruch bevor. Im kommenden Jahr wird Eckart Liebau emeritiert. Hinter den Kulissen wird bereits an einer Nachfolge gearbeitet, mit der auch die UNESCO einverstanden ist - zu wertvoll ist dieses Prädikat für den Lehrstuhl.