1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Friedensgespräche in Zeiten des Coronavirus

17. März 2020

Die Gespräche zwischen Kabul und den Taliban sind ins Stocken geraten. Kann die Corona-Epidemie die verhärteten Fronten aufbrechen und das Land dem Frieden näher bringen?

Afghanistan | Coronavirus | Regierungsitzung mit Schutzmasken
Bild: Government of Afghanistan

Mit Verwunderung und Entrüstung reagierten viele Menschen in Afghanistan auf die Nachricht, dass Dutzende Afghanen am Montag im westafghanischen Herat aus der Quarantäne ausgebrochen seien. Sie alle hatten im Verdacht gestanden, sich mit dem Coronavirus infiziert zu haben. Einige unter ihnen sollen dem lokalen Medienbericht zufolge bereits positiv getestet worden sein. Unter den schlechten Bedingungen, die sie im Krankenhaus vorfanden, hatten sie es jedoch nicht mehr ausgehalten und waren mit Hilfe ihrer Familien aus der Quarantäne geflohen.

Einige Afghanen reagierten mit Verständnis. "Während sich die Politiker Afghanistans um ihre Machtverteilung streiten, breitet sich das gefährliche Coronavirus immer weiter aus", klagt Mohammad Ibrahim Asim, Bewohner in der afghanischen Hauptstadt Kabul. "Sowohl diese Pandemie als auch die politische Situation haben einen direkten Einfluss auf das alltägliche Leben. Sollte das Krisenmanagement nicht funktionieren, wird ein großes Unglück auf uns zukommen", sagte er im Interview mit der DW.

Flüchtlinge aus dem Iran in der afghanischen Stadt HeratBild: DW/S. Tanha Shokran

Bereits vor einigen Wochen wurde der erste Corona-Fall in Afghanistan bestätigt. Ein Afghane, der aus dem Iran zurückgekehrt war, hatte sich infiziert. Nach Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums seien momentan 22 bestätigte Fälle registriert. Alle Erkrankten hätten Verbindungen zum dem Nachbarland, dem Iran, mit dem Afghanistan eine 900 Kilometer lange offene Grenze teilt. Der Iran selbst meldet derzeit 16.000 positive Fälle von SARS-CoV-2. Um den schnellen Ausbruch im Lande zu bekämpfen, schob der Iran zudem Zehntausende afghanische Flüchtlinge ab. Virologen befürchten, dass ein großer Teil der Rückkehrer infiziert ist. Allein deshalb ist die offizielle Zahl der afghanischen Regierung von 22 Fällen nicht glaubwürdig.

Handlungsunfähigkeit

Auf die besorgniserregende Entwicklung im Nachbarland reagierte die afghanische Regierung nur langsam und widerwillig. Letzte Woche verkündete sie die Schließung von öffentlichen Einrichtungen und sagte jegliche Sportevents ab. Feierlichkeiten für das anstehende persische Neujahr Nouruz am kommenden Freitag und Samstag wurden ebenfalls gestrichen. In den Medien versuchen Politiker und Journalsiten, das Bewusstsein für die Krankheit zu stärken - bisher mit nur wenig Erfolg.

Viele informierte Afghanen wünschen sich strengere Regeln und eine landesweite Kampagne, die auch Menschen in den ländlichen Gebieten erreicht. Zudem sollen die Grenzen zu Iran und Pakistan überwacht werden. Aber sie sind skeptisch. "Unsere Regierung kann nicht mal die Hauptstadt kontrollieren", beklagt Shoaib aus Kabul. "Wie wollen sie die Grenzen des Landes unter ihre Kontrolle bringen? "

Bewohner in der afghanischen Stadt Chost feiern das Waffenstillstandsabkommen mit den TalibanBild: DW/F. Zahir

Für Afghanen wie Mohammad Ibrahim Asim ist jedoch zunächst eine Beendigung der politischen Pattsituation essentiell, um alle Afghanen im Kampf gegen die Pandemie zu vereinen. Nach der Präsidentschaftswahl im September 2019 haben in Kabul zwei Zeremonien zur Amtseinführungen stattgefunden. Rivale Abdullah beansprucht neben dem bisherigen Amtsinhaber Ghani, der die Wahlen offiziell gewonnen hat, das Amt für sich und rief eine Gegenregierung aus. "Um Frieden zu erreichen, müssen sich die Politiker erst einmal untereinander einig werden und als erste gemeinsame Regierungshandlung die Bekämpfung des Coronavirus an erste Stelle setzen. Erst dann können sie sich um Friedensgespräche mit den Taliban kümmern", sagt Asim.

Frieden in der Corona-Zeit?

Nachdem Ende Februar die USA und die Taliban einen gemeinsamen Friedensdeal unterzeichneten, gab es die Hoffnung, dass nun innerafghanischen Gespräche beginnen könnten. Die afghanische Regierung und die Taliban sind sich jedoch weiterhin uneins über die Freilassung von Taliban-Gefangenen.

Der Politologe und Afghanistan-Experte Barnett R. Rubin ruft alle politischen Parteien in Afghanistan auf, sich angesichts der drohenden Corona-Epidemie zu vereinen. Gegenüber der DW sagte er, dass die Schutzmaßnahmen dringend notwendig seien. "Flucht oder jegliche Form von Kämpfen führt nur zur weiteren Ausbreitung der Krankheit", so Rubin. "Das Land ist gespalten, hat keine funktionsfähige Regierung und nur wenig Ressourcen." Umso wichtiger sei es deshalb, dass alle zusammenarbeiten.

Abdullah Abdullah (li.) und Ashraf Ghani (re.), hier bei einem Treffen mit NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg (mi.), beanspruchen die Regierung je für sichBild: Getty Images/AFP/W. Kohsar

Najia Anwari, Sprecherin des afghanischen Friedensministeriums, erklärte gegenüber der DW, dass die Regierung in jeder Hinsicht bereit sei, die innerafghanischen Friedensgespräche fortzuführen. "Das Coronavirus ist eine weltweite Bedrohung. Die afghanische Regierung beobachtet die Entwicklung und sucht auch hier Gespräche mit den Taliban."

Gespräche - aber wo?

Doch bisher ist nicht mal klar, wo solche Gespräche stattfinden könnten. Aufgrund der Einreiseverbote kommen europäische Länder - Norwegen war mal in der Diskussion - nun nicht mehr in Frage. "Um einen weiteren Ausbruch des Virus zu verhindern, hat auch Katar beschlossen, seine Grenzen zu schließen. Und die Taliban respektieren diese Entscheidung", sagt Zabihullah Mujahid, Sprecher der Taliban der DW. Jedoch habe Katar versprochen, dass dieser Zustand nur zwei Wochen andauern werde, erklärt Mujahid weiter.

"Die Gespräche müssten nun über Videokonferenz stattfinden", schlägt Rubin vor. Oder man könne die Gespräche in Afghanistan selbst führen. Diese Möglichkeit sei bisher nicht in Betracht gezogen worden, könnte aber neue Perspektive aufzeigen. Die afghanische Regierung, die Parallelregierung und die Taliban sind schließlich alle dran interessiert, die Ausbreitung zu stoppen. Darin sind sich alle Beteiligten einig.

Mitarbeit: Ghazanfar Adeli aus Kabul