Friedensgutachten 2025: NATO hat wegen Trump "keine Zukunft"
2. Juni 2025
Ihr Blick in die Zukunft ist düster. "Wer oder was kann den Frieden noch retten?", fragen führende deutsche Friedens- und Konfliktforscherinnen und -forscher in ihrem Friedensgutachten 2025. Die Kriege in der Ukraine, im Gazastreifen, im Sudan, mehr als 122 Millionen Menschen auf der Flucht, zahlreiche Gewaltkonflikte in der ganzen Welt: Seit 1987 analysieren Wissenschaftler von vier Forschungsinstituten jährlich internationale Konflikte und entwickeln Empfehlungen für die Politik. So viel Pessimismus wie aktuell enthielt das Friedensgutachten selten.
"In den letzten Jahren stand der russische Angriff auf die Ukraine und die mutwillige Zerstörung der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung durch Russland im Zentrum unserer Analyse", so Christopher Daase vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung bei der Vorstellung des Gutachtens in Berlin. Inzwischen habe sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert. "Mit den USA ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzugekommen."
Scharfe Kritik an Donald Trump
Auf den politischen Veränderungen in den USA liegt ein Hauptaugenmerk des diesjährigen Gutachtens, die Analyse ist scharf. US-Präsident Donald Trump und "seiner MAGA-Bewegung" sei es "in kürzester Zeit und ohne viel Widerstand" gelungen, die älteste Demokratie der Welt in ein autoritäres Regime zu verwandeln, schreiben die Forschenden.
Auch auf internationaler Ebene würden sie die "Zerstörung liberaler Institutionen und Errungenschaften" betreiben. "Autoritäre Herrscher und Diktatoren werden hofiert und in liberalen Demokratien rechts-populistische Bewegungen unterstützt." Konfliktforscher Daase sieht die Gefahr einer "autoritären Ansteckung". Auch in Europa seien bereits bedenkliche Tendenzen wie die Untergrabung der internationalen Gerichtsbarkeit, die Infragestellung der Wissenschaftsfreiheit und Eingriffe in die Autonomie gesellschaftlicher Akteure, wie den Kirchen, erkennbar.
Ist die NATO tot?
Die transatlantische Partnerschaft mit den USA, "wie wir sie kennen, ist am Ende", konstatiert das Gutachten. Das gilt nach Ansicht der Forschenden auch für die militärische Zusammenarbeit. "Die Glaubwürdigkeit des NATO-Beistandsversprechens ist erschüttert; und die Annäherung zwischen den USA und Russland droht nicht nur auf Kosten der Ukraine, sondern auch auf Kosten europäischer Interessen zu gehen."
Für Deutschland und Europa ergibt sich daraus eine direkte Bedrohung. "Wir haben das Problem, dass gegenwärtig ohne die NATO nichts geht und daher mag niemand so richtig über das Ende der NATO sprechen, obwohl die Wertebasis eigentlich längst dahin ist", sagt Daase, der auf die Frage, ob die NATO tot sei, nicht widerspricht. "Wir arbeiten an der Überwindung der NATO", sagt er und meint damit, mit der NATO zu arbeiten, solange es gehe und parallel dazu die europäischen Fähigkeiten zu stärken.
Die Europäer müssen zusammenrücken
Der Bundesregierung wird im Friedensgutachten empfohlen, einem "transparenten, stufenweise angelegten Plan für den Ausbau und die Integration europäischer Verteidigungsstrukturen" zu folgen. Allerdings sei die Europäische Union momentan davon noch weit entfernt. "Was wir aktuell in der EU sehen, ist keine Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten im politischen Rahmen in der Europäischen Union, sondern eine Stärkung der nationalen Verteidigungsfähigkeiten von Mitgliedstaaten der EU", so Ursula Schröder vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).
Sicherheit dürfe auch nicht allein im militärischen Sinn verstanden werden. Zu einer Sicherheitsarchitektur gehörten auch "Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen und Diplomatie", betont Conrad Schetter, von Bonn International Centre for Conflict Studies (bicc). Wichtig sei auch eine leistungsfähige Entwicklungspolitik. Die verstärkte Rüstungspolitik dürfe zudem kein "Freifahrtschein für Rüstungsexporte in alle Welt" werden.
Keine Waffenlieferungen mehr an Israel
Besonders alarmiert zeigen sich die Forschenden in ihrem Gutachten über die weltweite Erosion des Völkerrechts. Es sei eine zunehmende "Dehumanisierung der Kriegsführung" zu beobachten, bei der unter anderem der Schutz von Zivilisten massiv missachtet werde, Krankenhäuser und Schulen zu direkten Zielen militärischer Schläge würden und humanitäre Hilfe unterbunden oder für politische Zwecke instrumentalisiert werde. Besonders drastisch zeige sich dies im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und im Israel-Hamas-Krieg.
Der Blick auf Gaza entsetzt die Forschenden, der Krieg habe bereits mehr als 53.000 Menschen das Leben gekostet und das Gebiet weitgehend zerstört. Die Friedensforscher fordern "dringlicher denn je" einen Stopp aller Lieferungen von Waffen, die im Gazastreifen und im Westjordanland eingesetzt werden könnten. Israel habe "in eklatanter Weise" das humanitäre Völkerrecht verletzt und die Grenzen der "legitimen Selbstverteidigung überschritten".
Aus Deutschland wurden zwischen Oktober 2023 und Mai 2025 Rüstungsexporte in einem Wert von knapp einer halben Milliarde Euro genehmigt. Das schreibt die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Die Lieferungen umfassten unter anderem Feuerwaffen, Munition, Waffenteile, spezielle Ausrüstung für Heer und Marine, elektronische Ausrüstung sowie Spezialpanzer.
Netanjahu nicht nach Deutschland einladen
Die Bundesregierung wird im Gutachten aufgefordert, die internationale Gerichtsbarkeit zu respektieren. Damit spielen die Forschenden auf eine Bemerkung an, die CDU-Chef Friedrich Merz gemacht hatte, bevor er Bundeskanzler wurde. Nach seinem Wahlsieg hatte Merz angekündigt, den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu nach Deutschland einladen zu wollen, obwohl gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt.
Er habe Netanjahu "Mittel und Wege" in Aussicht gestellt, dass "er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist". Dazu heißt es im Friedensgutachten: "Völkerrecht geht vor Staatsräson." Dies schließe "bis auf Weiteres einen Staatsbesuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Deutschland aus."
Zudem fordern die Forschenden, Deutschland solle sich "mittelfristig" für die Anerkennung eines palästinensischen Staats einsetzen. Eine dauerhafte Lösung des "Palästina-Konflikts" schränke "in keiner Weise das Recht Israels auf einen jüdischen Staat in sicheren Grenzen ein".