Wolf Lepenies
8. Oktober 2006Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht 2006 an den 65-jährigen Berliner Soziologen und Wissenschaftshistoriker Wolf Lepenies. Die Verleihung fand traditionsgemäß im Rahmen der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche statt. Der mit 25.000 Euro dotierte Preis wird seit 1950 vergeben und gehört zu den renommiertesten Auszeichnungen Deutschlands.
"Also ich freue mich sehr, dass ich den Preis bekomme, aber ob es die richtige Zeit ist, das müssen andere sagen. Das wäre ein bisschen hochfahrend, wenn ich das sage, denn das hieße ja, es ist an der Zeit. Wenn es andere sagen, würde ich mich freuen."
Es ist an der Zeit. Wolf Lepenies ist ein engagierter Mann. Aber er lässt gern andere sprechen, macht sich eher rar im öffentlichen Meinungs-Betrieb. 15 Jahre lang war er Rektor des angesehen Berliner Wissenschaftskollegs, einer renommierten Forschungsstätte, einer Mischung aus Club und Akademie. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gingen von dort Impulse aus, die bis heute wirken: Die Gründung von Institutionen in Osteuropa nach Berliner Vorbild in Bukarest, Budapest und Sofia etwa. Ziel war es, intellektuelle Zentren zu bilden, und so eine Abwanderung osteuropäischer Akademiker in den Westen zu verhindern.
Laudatio vom Außenminister
Ein Gast des Kollegs war Andrei Plesu, der spätere rumänische Kultur- und Außenminister, der das New Europe College in Bukarest nach Berliner Vorbild leitete. Plesu und Lepenies sind seither befreundet. Der rumänische Philosoph hielt auch die Laudatio auf den Geehrten.
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht somit an einen "handelnden Intellektuellen", der nicht nur schreibt und veröffentlicht, der aber auch nicht nur fordert und polemisiert, sondern forscht und fördert. Was seine Arbeiten verbindet ist die Frage nach dem Zusammentreffen von Geist und Politik, Kultur und Politik, von "Intellektuellem Geistesarbeiter" und gesellschaftlicher Verantwortung.
"Ich habe manchmal gesagt, ich bin sehr, sehr glücklich darüber, dass ich so etwas werden konnte wie ein glücklicher Intellektueller. Und ein glücklicher Intellektueller ist glücklich, denke ich, wenn er nicht zerrissen ist in diesem Widerspruch zwischen der Utopie auf der einen Seite - man möchte alles ganz wunderbar machen - und auf der anderen Seite der Melancholie - man kann ja doch nichts tun."
Politik und Kultur - ein schwieriges Verhältnis
So wie er nach der Wende von 1989 feststellte, dass sich "Ressentiment und Überheblichkeit wieder zum Merkmal gesamtdeutscher Gegenwart" verbanden, so kreist auch sein gerade erschienenes Buch um das Verhältnis von Kultur und Politik in Deutschland. Darin spricht er von der "Selbstüberschätzung der Kultur" - anders gesagt, vom abschätzigen Blick der Kulturschaffenden auf die Politik.
Das habe zwei Gründe. Deutschland sei die verspätete Nation und aus diesem Gefühl des Verspätetseins entwickelte sich ein Kompensationsbedürfnis. "Und das spielt sich im Rahmen der Kultur ab," meint Lepenis. "Politisch spät, aber kulturell immer vorn."
Der zweite Grund sei der verspätete Zugang des deutschen Bürgertums und seiner Kulturproduzenten zur Macht und zur Politik - also zu dem Bereich, wo entschieden wird. Daraus habe sich eine zweite Kompensation entwickelt: "Die Kultur ist eigentlich doch die bessere Politik. Wir wissen es eigentlich besser."
Lepenies kritisiert diese "Machtanmaßung der Kultur". Zielscheibe seines Vorwurfs ist der Schriftstellertypus des 20. Jahrhunderts: "Es wird sich nicht eingemischt in das profane Geschäft der Politik, vor allem dann nicht, wenn es sich um die parlamentarische Politik handelt und die Politik in der Demokratie." Ein Vordenker dieser Haltung sei Thomas Mann gewesen, der Politik für unpoetisch hielt.
Appell an die Künstler
Den Friedenspreis erhält ein europäischer Intellektueller, der die Künste immer auch in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung sieht. Von der Kultur wünscht er sich, sie "soll sich einmischen, wie sie sich immer eingemischt hat, oder hätte einmischen sollen: Die Kultur soll unverschämt sein, sie soll das Unmögliche verlangen, sie soll die Utopie fordern, sie soll keine Kompromisse machen, aber sie soll nicht glauben, dadurch besser zu sein als diejenigen, die im Feld der Kompromisse arbeiten müssen."