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Friedenspreis für Anne Applebaum: Stimme gegen Autokratie

Sabine Kieselbach
18. Oktober 2024

Die US-amerikanisch-polnische Historikerin untersucht autokratische Herrschaftssysteme und hat schon früh vor Putins Expansionspolitik gewarnt. Jetzt erhält sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Eine Frau lächelt in die Kamera
Anne Applebaum erhält die Auszeichnung auch für ihr Engagement für Demokratie und FriedenBild: Anne Applebaum/Börsenverein des Deutschen Buchhandels/dpa/picture alliance

Anne Applebaum ist eine gefragte Gesprächspartnerin. Das liegt nicht nur daran, dass sie am 20. Oktober, zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird. Gerade erst ist auch ihr neues Buch "Die Achse der Autokraten (englisch "Autocracy Inc.") erschienen, in dem sie vor einer sehr realen Gefahr für die demokratische Welt warnt. Heutige Autokraten, schreibt Applebaum, werden durch ausgeklügelte Netzwerke geführt, denen es vor allem uns eines geht: unsere Demokratien zu untergraben. Das Buch der Stunde? Schon jetzt sind die Rechte in über 20 Ländern verkauft. 

Anne Applebaum gilt seit vielen Jahren als eine der wichtigsten Beobachterinnen des russischen Autokraten Wladimir Putin und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Ihre Bücher über das Gulag-System und den Holodomor, die stalinistische Hungersnot, gelten heute als Klassiker der populären Geschichtsschreibung. Vor Putins imperialen Gelüsten hat Applebaum schon vor Jahren gewarnt.

Wir treffen die Historikerin und Journalistin in Frankfurt. Der Krieg in der Ukraine, sagt sie gegenüber der Deutschen Welle, werde erst beendet sein, wenn Putin die Souveränität der Ukraine anerkenne oder wenn innerrussische Kräfte sich gegen ihn stellten. Dafür gebe es bereits Anzeichen, glaubt Anne Applebaum beobachtet zu haben. Eine diplomatische Lösung für den Krieg in der Ukraine ist für sie derzeit keine Option. Wer darauf setze und deshalb der Ukraine die weitere Unterstützung versage, begehe einen großen Fehler, so Applebaum.

Kritischer Blick - nicht nur auf Osteuropa

Anne Applebaum wurde 1964 in Washington D.C. als Kind jüdischer Eltern geboren. Sie studierte russische Geschichte und Literatur in Yale sowie Internationale Beziehungen an der London School of Economics. Ihre journalistische Karriere begann sie 1988 als Auslandskorrespondentin in Polen. Im Auftrag der Zeitschrift "The Economist" erlebte sie das Ende des Eisernen Vorhangs und berichtete vor Ort vom Fall der Berliner Mauer. Seitdem schreibt sie für zahlreiche internationale Medien und unterrichtet an den renommiertesten Hochschulen.

Anne Applebaum ist für die Preisverleihnung nach Frankfurt angereistBild: Angel Navarrete/IMAGO/El Mundo

Applebaum ist verheiratet mit dem früheren und seit 2023 erneut polnischen Außenminister Radosław Sikorski und besitzt seit 2013 neben der US-amerikanischen auch die polnische Staatsbürgerschaft. Auch Sikorski war Journalist, ging dann aber in die Politik. Ein moderater Konservativer, so würde sich wohl auch Anne Applebaum bezeichnen. Ihr kritischer Blick richtet sich mittlerweile längst nicht nur auf Osteuropa, sondern auch auf den Aufstieg rechter Demokratiefeinde in aller Welt, auf Putin ebenso wie auf Trump, das iranische Regime ebenso wie das chinesische oder den türkischen Präsidenten Erdoğan. Sie alle sind für Applebaum Populisten mit autokratischen Tendenzen, auch wenn sie ideologisch nicht viel gemeinsam haben.

Wie autokratische Regime die Demokratie kapern wollen

Applebaum führt in ihrer Analyse vor, dass es sich bei der autokratischen Allianz um Netzwerke handelt, die hinter den Kulissen zusammenarbeiten: wirtschaftlich, technologisch, militärisch und diplomatisch. Und die wild entschlossen den Aufbau einer alternativen Ordnung betreiben. Der Westen, sagt sie im Interview mit der DW, habe lange auf die Losung Wandel durch Handel gesetzt und tatenlos zugesehen. Höchste Zeit, dass demokratische Staaten dem etwas entgegensetzen: gegen Desinformation, gegen undurchsichtige Finanztransaktionen.  "Demokraten, vereinigt euch!”, fordert sie in ihrem Buch.

Anne Applebaum beschreibt in ihrem Buch, wie Autokratien die Demokratie unterwandernBild: Siedler Verlag 2024

Es ist keine optimistische Bilanz, die Anne Applebaum beim Blick auf die gegenwärtige Weltlage zieht. Der Feind moderner Autokraten, schreibt sie, "sind wir, (…) die demokratische Welt." Umso wichtiger, dass die freiheitlichen Gesellschaften gemeinsam gegen die Bedrohung vorgehen; diese Mühe sollten sie auf sich nehmen.

"In einer Zeit, in der die demokratischen Errungenschaften und Werte zunehmend karikiert und attackiert werden, wird ihr Werk zu einem eminent wichtigen Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden", hat der Stiftungsrat des Börsenvereins die Auszeichnung Applebaums mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels begründet. Die russische Kulturwissenschaftlerin Irina Scherbakowa hält am 20. Oktober die Laudatio auf die Gewinnerin und ergänzt im Gespräch mit der DW: "Anne Applebaum ist eine große Aufklärerin."

Der mit 25.000 Euro (26.730 US-Dollar) dotierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wurde erstmal 1950 vergeben und gilt als einer der renommiertesten in Deutschland. Ausgezeichnet werden Personen für ihr "Engagement im Dienste der internationalen Verständigung zwischen Völkern und Kulturen".

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