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Friedenspreis an Internet-Pionier Jaron Lanier

Heike Mund5. Juni 2014

Eine zeitgemäße Entscheidung: den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt in diesem Jahr der Internet-Pionier, Musiker und Buchautor Jaron Lanier. Er gilt als Erfinder des Begriffs "Virtuelle Realität".

Symbolbild Internet, Internetcafe, Interaktiv
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat sich in diesem Jahr für Jaron Lanier als Preisträger entschieden, eher ein Internetfreak und nicht der klassische Schriftsteller und Künstler. Felicitas von Lovenberg, Sie sind Mitglied der Jury, was hat sie bewogen, ihn auszuwählen?

Felicitas von Lovenberg: In erster Linie war es sein letztes Buch "Wem gehört die Zukunft?". Aber auch seine ganze Vita und die vielen Artikel im Netz, mit denen er seit Jahren an die Öffentlichkeit tritt. Es ist auch eine Frage des Zeitpunkts: Das Kuratorium hatte den Eindruck, dass wir uns im Moment an einer Schwelle bewegen. Es ist mittlerweile ganz wichtig, dass die Menschen in unserer Gesellschaft erkennen, dass das Internet nicht allein ein Medium der Freiheit ist, sondern dass es auch ein Macht- und Überwachungs-Instrument ist und es jeden einzelnen von uns betrifft. Es ist ganz wichtig, die Menschen aufzurütteln. Das tut Jaron Lavier in für uns vorbildlicher Weise. Er mahnt und kritisiert, ist aber gleichzeitig ein Internet-Pionier.

Das neuste Buch von Jaron Lanier liefert viel Stoff für Diskussionen über NetzweltenBild: Suhrkamp

Zu welchen neuen Ufern bricht er denn als Pionier auf?

Er war maßgeblich für das Internet, so wie wir es heute kennen. Er gilt als Vater des Begriffs der "Virtuellen Realität" und war von Anfang an dabei. Er hatte natürlich am Anfang idealistische Vorstellungen von einer Demokratisierung, von Bildung, von transparenter Politik und wissenschaftlicher Innovation durch das Internet. Aber er sieht die wachsende Gefahr und sagt das auch seit mehr als zehn Jahren sehr deutlich: Das Internet erfährt durch die Ökonomisierung und durch die großen Internet-Konzerne einen Wandel - hin zu etwas, was uns alle transparent und damit berechenbar machen soll. Und damit letztendlich: überwachbar.

Lanier selbst arbeitet in Amerika als Forscher und Entwickler auch für den großen Internet-Konzern Microsoft. Kann er sich noch die Unabhängigkeit eines Schriftstellers und Freidenkers bewahren?

Sie brauchen nur seine Bücher und seine Artikel lesen, um zu sehen, dass er genau das tut. Das hat uns als Kuratorium auch sehr beeindruckt, in welcher Art und Weise er nicht nur mit seiner eigenen Biografie, sondern auch mit seinem ureigenen Schaffensfeld ins Gericht geht. Und wie es beginnt, Kreativität auszuhöhlen. Er sieht, dass das Internet droht, Arbeit aufzufressen - weil eben alles umsonst ist. Also gerade weil er weiß, wovon er spricht, finden wir seine Kritik besonders eindringlich und möchten, dass diese Kritik weithin gehört wird.

In der Begründung der Jury, die ihm dafür auch den Preis zuerkannt hat, heißt es, dass er davor warnt, Menschen auf binäre digitale Kategorien zu reduzieren. Inwieweit sind Schriftsteller und Buchautoren dafür zuständig, auch Zwischentöne zu ermöglichen?

Dafür sind Künstler zuständig. Vor allem die Zwischentöne machen unser aller Leben ganz besonders. Die Menschen, die mit dem Wort umgehen und uns aufmerksam machen auf Missstände, auf drohende Gefahren, auf Ungerechtigkeit, das sind die Menschen, auf die es ankommt bei diesem Preis. Wenn Sie sich die Liste der Preisträger der vergangenen Jahre anschauen, dann sind das nicht immer reine poetische Schriftsteller, sondern immer auch Schriftsteller, die sich sehr stark politisch und gesellschaftlich äußern und einmischen.

Man denke nur an Liao Yiwu, den chinesischen Schriftsteller und im letzten Jahr an die großartige Swetlana Alexijewitsch. Oder an David Grossmann aus Israel, der natürlich ein literarischer Autor ist - aber zugleich jemand, der uns unendlich viel über unsere politische Wirklichkeit erzählen kann. Und ein Schriftsteller tut das auf andere Weise, als das ein Politiker könnte.

2013 bekam die ukrainische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehenBild: Daniel Roland/AFP/Getty Images

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist nicht nur ein weltweit beachteter Preis, sondern auch ein Seismograph. Die Jury fühlt auch immer am Puls der Zeit. Bei welchen Themen klopfte der Puls bei Ihnen und den anderen Jurymitgliedern in diesem Jahr denn sofort schneller?

Genau bei dem Thema, für das Jaron Lanier für uns steht. Wir erleben, dass jetzt viel in Bewegung kommt. Und weil wir alle aufwachen. Viele Menschen fragen sich auf einmal: Wie benutze ich mein Handy, ohne dass ich mich ständig verfolgbar mache? Aber es gibt immer mehrere Themen bei uns, bei denen der Puls schneller geht. Es ist uns schon ein Anliegen, dass Preisträger und Aktualität möglichst zusammen finden. Und dass für jeden einsichtig wird, warum wir eine Entscheidung zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffen haben. Wenn man bedenkt, was seither mit der Ukraine und Russland passiert ist, war die Entscheidung für Swetlana Alexijewitsch fast schon eine visionäre Wahl - leider, muss man sagen.

Dass wir uns in diesem Jahr für Jason Lanier entschieden haben, hat sehr viel damit zu tun, dass wir den Eindruck haben: Es tut jetzt Not. Jeder von uns sollte sich bewusst machen, dass es eine eigene, selbstverantwortete Entscheidung ist, wie wir mit dem Internet umgehen. Wir wissen alle, wie ab 2015 die Autos mit diesem "Icall-System" ausgestattet werden. Irgendwann kann der Einzelne nicht mehr sagen: Ich mache da nicht mehr mit. Und wir haben den Eindruck, dass es notwendig ist, uns alle wach zu rütteln und zu zeigen, wie es anders sein könnte. Und genau das tut Jaron Lanier.

Preisträger Lanier arbeitet auch als Entwickler für den Internetkonzern MicrosoftBild: picture alliance/Karten Lemm

Felicitas von Lovenberg ist Jurymitglied im Kuratorium des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Sie ist Literaturkritikerin und moderiert u.a. die Sendung "Literatur im Foyer" (SWR). Für ihre feuilletonistische Arbeit bekam sie 2003 den Alfred-Kerr-Preis und wurde 2011 mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis ausgezeichnet.

Die Fragen stellte Heike Mund.

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