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Politik

Friedensprozess und Flüchtlinge

11. Februar 2019

Als Frank-Walter Steinmeier Januar 2017 Kolumbien besucht, ist der Friedensvertrag gerade unterzeichnet. Jetzt kommt er in ein Land, das den Vertrag umsetzen und außerdem die Massenflucht aus Venezuela bewältigen muss.

Außenminister Steinmeier in Kolumbien
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

"Obwohl der wichtigste politische Gewaltakteur, die FARC-Guerilla, die Waffen abgegeben hat, ist Kolumbien keineswegs ein friedliches Land geworden", so Tom Koenigs ernüchternde Bilanz im Gespräch mit der DW. Und der frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen muss es wissen, war er doch der "Beauftragte des Außenministers zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien".

Ein etwas sperriger Funktionstitel, eine umso klarere Einschätzung der Lage gute zwei Jahre nach Abschluss des historischen Friedensvertrages November 2016 in Havanna: "Die Umsetzung geht allen viel zu langsam, und je langsamer es geht, umso weniger Möglichkeiten gibt es, Gruppen davon zu überzeugen, dass der friedliche Weg der effizientere ist", gibt Koenigs zu bedenken. 

Über ein halbes Jahrhundert war Kolumbien Schauplatz eines Bürgerkrieges. Guerillagruppen wie die FARC oder die ELN auf der einen Seite, paramilitärische Gruppen wie die AUC auf der anderen, dazu noch die Streitkräfte Kolumbiens, die Polizei, der Inlandsgeheimdienst, außerdem die Drogenmafia  - eine Gemengelage mit über 200.000 Toten, zehntausenden Verschwundenen und über sieben Millionen Vertriebenen.

Steinmeiers Besuch in einem gespaltenen Land

Dass Kolumbien unter diesen Voraussetzungen einen Friedensvertrag hinbekommt, findet weltweit riesige Anerkennung, der damalige Präsident Juan Manuel Santos erhält Dezember 2016 dafür sogar den Friedensnobelpreis. 7.000 FARC-Guerilleros geben ihre Waffen ab, die Guerilla kann dafür als politische Partei bei Wahlen antreten, staatliche Sicherheitskräfte sollen die ehemaligen Rebellen vor Racheakten beschützen. "Über 80 ehemalige Kämpfer sind bereits ermordet worden", sagt Kolumbien-Experte Koenigs. "Hinzu kommen Hunderte Morde an Menschenrechtsaktivisten. Und die Menschen, die an der untersten Basis versuchen, Demokratie umzusetzen, sind massiv bedroht."

"Der kolumbianische Staat ist traditionell schwach", sagt der deutsche Kolumbienbeauftragte Tom KoenigsBild: DW Akademie/M. Kopp

Frank-Walter Steinmeier besucht ein gespaltenes Land. Der Friedensprozess hat die Bevölkerung nicht zusammengebracht, sondern entzweit. Und dann ist da noch die neue Regierung von Präsident Iván Duque, der den Friedensschluss zu Oppositionszeiten immer heftig kritisiert hat. "Für die Regierung Santos war dieses Thema das Flaggschiff, die neue Regierung versucht dagegen, das Wort Frieden aus  dem Sprachgebrauch zu löschen und spricht lieber von Stabilität und Sicherheit", beobachtet Tom Koenigs.

Kolumbien kann sich auf Deutschlands Unterstützung verlassen

Ist der Friedensprozess also schon frühzeitig gescheitert? "Nein", wiederspricht der Kolumbien-Experte, aber es sei nun einmal ein langwieriger Prozess. "Man hat ja auch immer von einem Friedensprozess gesprochen und nicht von einem Friedensschluss, der dann auf einen Schlag alle Probleme löst. Das Abkommen mit der FARC war ein erster Schritt, weitere  - wie ein Waffenstillstand mit der Guerillaorganisation ELN - müssen folgen."

Iván Duque von der rechtskonservativen Partei "Centro Democrático" gewann Juni 2018 die PräsidentschaftswahlenBild: picture-alliance/AA/Colombian Presidency Press Office

Vor zwei Jahren hat Frank-Walter Steinmeier, damals noch als Bundesaußenminister, das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut eröffnet. In Bogotá wird er als Bundespräsident bei seinen Gesprächen mit Iván Duque vor allem Deutschlands weitere Unterstützung für Kolumbien betonen: "Deutschland hat sich ja auch sehr dafür eingesetzt, dass Kolumbien Mitte 2018 in die OECD kommt. Und was beide Länder verbindet, ist, dass sie in diesen Zeiten an Multilateralismus glauben," erklärt Tom Koenigs.

Kolumbien mit dem Ansturm der Flüchtlinge aus Venezuela überfordert

Frank-Walter Steinmeier wird – anlässlich des 250.Geburtstages des Naturforschers Alexander von Humboldt – auch das Humboldt-Institut in der kolumbianischen Hauptstadt besuchen. Und sich außerdem in einer Hilfseinrichtung über den Umgang Kolumbiens mit Flüchtlingen aus Venezuela informieren. Was der Bundespräsident dort zu hören bekommt, könnte sich mit den Erfahrungen von Ralf Oetzel decken: "Die kolumbianischen Behörden sind heillos überfordert mit dem Ansturm der Flüchtlinge aus Venezuela. Die Menschen versuchen hier Fuß zu fassen, finden aber keine Arbeit und keine Wohnung."

GIZ-Entwicklungshelfer Ralf OetzelBild: privat

Oetzel ist seit Jahren für die GIZ als Berater und Entwicklungshelfer in Grenzregionen unterwegs: in Ecuador, wohin täglich neben tausenden Venezolanern auch weiterhin Kolumbianer fliehen, und in Kolumbien, genauer in Cúcuta – die Großstadt im Osten Kolumbiens, die mit ihrem Grenzübergang zum Symbol der venezolanischen Massenflucht geworden ist. "Ich habe selten eine solche Unterernährung gesehen wie jüngst bei einer Familie mit zwei kleinen Kindern," berichtet der Deutsche, "und sogar Menschen, die in Abwässerkanälen übernachten."

Überfälle auf Venezolaner häufen sich, sexueller Missbrauch auch

Drei Millionen Venezolaner haben in den letzten Monaten ihr Land verlassen, mehr als eine Million von ihnen lebt mittlerweile in Kolumbien. Doch es geht auch weiter: nach Ecuador, Peru oder Argentinien. Die kolumbianische Regierung stellt mittlerweile Busse zur Verfügung, um die Menschen bis zur Grenze zu bringen. Doch nicht alle kommen an, weiß Oetzel: "Ich habe Venezolaner getroffen, die sich ein Busticket bis zur Grenze nach Ecuador gekauft haben, doch der Fahrer hat die Menschen einfach in Cali herausgelassen und dort wurden sie beklaut."

Machtkampf in Venezuela

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Doch nicht nur die Überfälle auf die venezolanischen Flüchtlinge nehmen zu. Der sexuelle Missbrauch auch: "Vier von fünf Frauen, mit denen ich gesprochen habe, sind in irgendeiner Weise sexuell belästigt worden", erklärt der Entwicklungshelfer im Gespräch mit der DW. "In vielen Fällen bekommen Venezolanerinnen nur eine Arbeit oder eine Wohnung gegen eine sexuelle Dienstleistung. Die Situation wird schamlos ausgenutzt."

Regionales Problem erfordert regionale Antworten

Besonders müssen die Flüchtlinge aber paramilitärische Gruppen in der Grenzregion zu Kolumbien fürchten. "Diese rufen zur sozialen Säuberung auf und sagen den Venezolanern: 'Wenn ihr nicht innerhalb von zwei Wochen weg seid, bringen wir Euch um!'", so Ralf Oetzel. In der kolumbianischen Bevölkerung stoßen die Neuankömmlinge dabei auf Indifferenz. "Und diese wächst, das heißt, wenn jemand in einer Großstadt wie Bogotá hilflos auf der Straße liegt, steigt man drüber weg, fertig!"

Im November 2018 hat die Hauptstadt Bogotá das Flüchtlingslager "El Camino" aufgebautBild: DW/F. Abondano

Die Flucht aus Venezuela wird Kolumbien möglicherweise noch sehr lange beschäftigen – wohlgemerkt ein Nachbarland, in das jahrzehntelang viele Kolumbianer auf der Suche nach einem besseren Leben geflohen sind. Der deutsche Entwicklungshelfer Ralf Oetzel appelliert an Deutschland, die Region nicht allein zu lassen: "Zivilgesellschaftliche Projekte in der Grenzregion müssen genauso gestärkt werden wie länderübergreifende Initiativen. Es ist ein regionales Problem, für das es nur regionale Antworten geben kann!"

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