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Friedrich Merz: Außenpolitisch präsent, Ärger daheim

12. August 2025

100 Tage ist Friedrich Merz jetzt Bundeskanzler. International hat er sich Gehör verschafft. Und er steht für eine verschärfte Migrationspolitik. Streit gibt es in seiner Koalition um das Bundesverfassungsgericht.

Deutschland Berlin 2025 | Friedrich Merz wird zum Bundeskanzler gewählt und schüttelt Olaf Scholz die Hand
Machtwechsel: Am 6. Mai gratuliert der frühere SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) seinem CDU-Nachfolger Friedrich Merz Bild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Als der deutsche Bundestag am 6. Mai zusammentrat, um den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zum Bundekanzler zu wählen, sprachen einige Beobachter von der "letzten Chance" für die deutsche Demokratie. Noch einmal jahrelanger Streit wie unter der Vorgängerregierung von SPD, Grünen und FDP würde die Gesellschaft endgültig zerreißen, würde Rechtspopulismus und Wut über die Eliten in ein unerträgliches Maß steigern. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 hatte die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) ihr Ergebnis verdoppeln können, auf nun 20,8 Prozent der Stimmen.

Jetzt also wollten die Konservativen um Friedrich Merz und die Sozialdemokraten der SPD zusammen für Ruhe und Verlässlichkeit sorgen. Aber der Start misslang spektakulär: Friedrich Merz fiel bei der Wahl zum Kanzler erst einmal durch. Sechs Stimmen aus dem eigenen Lager fehlten ihm, das war vor Merz noch nie einem Kanzlerkandidaten passiert. Im zweiten Wahlgang aber klappte die Kanzlerwahl an diesem 6. Mai 2025.

Präsent auf der Weltbühne - aber oft undiplomatisch

In den rund 100 Tagen, die seitdem vergangen sind, war Merz vor allem als Außenpolitiker präsent. Kurz nach seiner Wahl fuhr er öffentlichkeitswirksam zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Keir Starmer in die Ukraine und versicherte Präsident Wolodymyr Selenskyi seine Solidarität. Anfang Juni besuchte er US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus und wurde im Gegensatz zu manchen anderen Besuchern nett behandelt. Merz machte beim EU-Gipfel und beim NATO-Gipfel eine gute Figur.

Immer wieder tritt Merz als engagierter und ehrlicher Makler in Sachen Ukraine-Krieg auf. Auch am Tag des Amtsjubiläums. Deutschland ist neben den USA der größter Unterstützer der Ukraine. Zwar ist zum ersten Vermittlungs-Treffen zwischen Putin und Trump in Alaska weder der ukrainische Präsident Selenskij noch irgendein EU-Land eingeladen, aber Merz meldet sich mit einer diplomatischen Großoffensive. Er lädt zu einem Vorgipfel der Europäer, der Ukraine und der NATO; Donald Trump wird zugeschaltet. Die Botschaft: Europa und Deutschland nicht vergessen!

Überraschend lockere Atmosphäre im Weißen Haus: Friedrich Merz (l.) und Donald Trump am 5. Juni im Oval OfficeBild: Evan Vucci/AP Photo/dpa/picture alliance

Für Aufregung sorgte ab und an seine undiplomatische Wortwahl, etwa nach dem Angriff Israels auf den Iran am 13. Juni: "Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle. Wir sind von diesem Regime auch betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht. Mit Anschlägen, mit Mord und Totschlag. Mit der Hisbollah, mit der Hamas." Aber zuvor hatte Merz auch Israel ungewöhnlich offen kritisiert und sprach davon, er verstehe nicht mehr, welche Strategie die Armee bei ihrem Vorgehen im Gaza-Streifen verfolge. So oft äußerte sich Merz zu außenpolitischen Themen, dass sein Außenminister Johann Wadephul oft in den Hintergrund geriet. Anfang August sorgte Merz dann für Aufregung vor allem bei seiner konservativen Partei, als er ohne große Absprachen mit seinen Parteifreunden und den Koalitionspartner entschied, dass keine Rüstungsgüter mehr an Israel geliefert werden, die auch im Gaza-Streifen zum Einsatz kommen können. 

Neue Härte bei der Zuwanderung

Innenpolitisch stand die Frage der Migration für die neue Regierung von Anfang an im Mittelpunkt: Mit Zurückweisungen an den Grenzen wollte der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) die irreguläre Migration begrenzen. Mit Zurückweisungen auch von Asylsuchenden, was nach Ansicht vieler Kritiker gegen EU-Recht verstößt.

Harte Linie bei der Migration: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) überzeugt sich Mitte Mai in Kiefersfelden an der deutsch-österreichischen Grenze von den schärferen KontrollenBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Nachdem Deutschland etwa auch an der deutsch-polnischen Grenze Kontrollen wieder einführte, reagierte später Polen seinerseits mit Kontrollen, was zu langen Staus auf beiden Seiten führte. Dobrindt verteidigte die restriktive Migrationspolitik immer wieder: "Die EU ist eine weltoffene Region. Wir bleiben eine weltoffene Region. Aber wir wollen nicht, dass Illegale Schlepper, Schleuser, kriminelle Banden darüber entscheiden, wer in unsere Region kommt. Wir wollen, dass die politischen Entscheidungen die legalen Wege vorgeben, nach Europa zu kommen, aber es nicht den kriminellen Banden überlassen."

Eine Billion Euro neue Schulden

Für einen Paukenschlag hatte die neue Regierung schon vor ihrem Amtsantritt gesorgt: Sie organisierte im Bundestag eine Zweidrittel-Mehrheit zusammen mit den Grünen und hob die strengen deutschen Schuldenregeln auf: Deutschland verfügt deshalb in den nächsten Jahren über gigantische zusätzliche 500 Milliarden Euro, theoretisch sogar unbegrenzte Mittel für die Aufrüstung der Bundeswehr sowie über weitere 500 Milliarden für die Erneuerung der Infrastruktur, für neue Straßen, Schienen und Schulen, für den Klimaschutz.

Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden im September 2024 zeigte in aller Deutlichkeit, in welch schlechtem Zustand ein Teil der Infrastruktur in Deutschland istBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Dabei hatten die Konservativen noch im Wahlkampf versprochen, an den strengen Schuldenregeln festzuhalten. Im Bundestag sagte der neue Finanzminister Lars Klingbeil von den Sozialdemokraten: "Die OECD, der Internationale Währungsfonds, die Europäische Kommission oder die G7 - alle haben Deutschland in den letzten Jahren immer wieder aufgefordert und geraten, dass wir mehr investieren und die Schuldenregeln flexibler gestalten. Das war bisher nicht möglich. Aber wir haben hier im Parlament diese Fesseln endlich gelöst, und wir investieren so stark wie nie zuvor in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes."

DW-Umfrage zum Start der neuen Regierung

Die DW wollte jetzt in einer Umfrage unter Berliner Passanten wissen: Wie haben die Menschen den Start der neuen Regierung erlebt? Ein junger Mann sagt: "Es geht voran, ich hoffe, es geht weiter so." Eine junge Frau meint: "Ich habe Merz nicht gewählt, und ich würde ihn nicht wählen, dass muss ich ehrlich sagen." Ein älterer Mann meint über die vielen neuen Kredite, die die Regierung aufgenommen hat: "Ich finde es schlimm, wenn Versprechen, die vor der Wahl gegeben werden, gebrochen werden." Und schließlich sagt ein junger Mann: "Ich bin kein großer Fan von CDU und SPD, habe die auch nicht gewählt, aber ich hoffe, dass sie Deutschland zusammenhalten können."

Streit um die Regenbogenfahne... 

Klar wurde vor allem in den letzten Wochen immer wieder, dass die Regierung wieder von konservativeren Ansichten geprägt ist: In den Jahren zuvor hatte zum Christopher Street Day stets die Regenbogenfahne auch auf dem Parlamentsgebäude geweht, diesmal untersagte das die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU). 

Menschen protestierten am Vorabend des Christopher Street Day (26. Juli) vor dem Bundestag dagegen, dass dort keine Regenbogenfahne gehisst wurdeBild: Metodi Popow/IMAGO

Das führte zu viel Kritik , auch wenn Klöckner das Hissen der Fahne am Tag gegen Homophobie am 17. Mai erlaubte. Merz sprang der Präsidentin bei, wieder mit einer gewagten Wortwahl: "Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt, auf dem man mal beliebig Fahnen hissen kann. Es gibt einen Tag im Jahr, das ist der 17. Mai, da wird die Regenbogenfahne gehisst. Und an allen anderen Tagen sind auf dem Deutschen Bundestag die deutsche Fahne und die europäische Fahne gehisst."

....und um einen Posten für das Bundesverfassungsgericht 

Trotz solcher Dispute verlief die Regierungsarbeit zunächst geräuschlos – bis zum letzten Tag im Bundestag vor der Sommerpause: Da wollte die Regierung eigentlich gleich mehrere Kandidatinnen und Kandidaten für Richterposten beim Bundesverfassungsgericht wählen. In der Vergangenheit hatten die Regierungsparteien dabei stets versucht, die wichtigen Posten möglichst einvernehmlich und ohne Streit zu besetzen, um das Ansehen des obersten deutschen Gerichts nicht zu beschädigen.

Das gelang diesmal nicht: Viele konservative Angeordnete weigerten sich, die Kandidatin der SPD, Frauke Brosius-Gersdorf, zu wählen. Zuvor war gegen die Kandidatin vor allem in rechtsgerichteten Kanälen in den sozialen Netzwerken Stimmung gemacht worden. Die SPD sprach nach der abgesetzten Wahl von einem schweren Vertrauensverlust. Mittlerweile hat  Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur zurückgezogen. Der Streit wird sicher auch die Zeit nach der Sommerpause bestimmen, denn die SPD braucht jetzt eine neue Bewerberin oder einen neuen Bewerber. Erst einmal verdunkelt damit dieser Streit die Bilanz der Regierung nach einhundert Tagen im Amt.

Friedrich Merz: "Wir sind zurück auf der Weltbühne"

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