Friedrich Merz nach Fehlstart zum Bundeskanzler gewählt
Veröffentlicht 6. Mai 2025Zuletzt aktualisiert 6. Mai 2025
Die Abgeordneten des Bundestages haben Friedrich Merz im zweiten Wahlgang zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der 69-Jährige erhielt 325 Ja-Stimmen, mit Nein votierten 289 Parlamentarier. Es gab eine Enthaltung und drei ungültige Stimmen.
Zuvor war der CDU-Vorsitzende im ersten Wahlgang überraschend durchgefallen. Dabei hatten lediglich 310 Abgeordnete für Merz gestimmt, während 307 bei der geheimen Wahl mit Nein votierten. Es gab drei Enthaltungen; eine Stimme war ungültig. Die neue Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD verfügt über 328 Stimmen im Parlament. Damit fehlten rechnerisch im ersten Durchgang mindestens 18 Stimmen aus dem Lager des geplanten schwarz-roten Regierungsbündnisses.
Nach der Ernennung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legte Merz im Bundestag seinen Amtseid ab. Er verwendete dabei die religiöse Zusatzformel "so wahr mir Gott helfe", die gemäß der Verfassung nicht zwingend angefügt werden muss.
Grundgesetz regelt Fall der Fälle
Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik war nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler im ersten Wahlgang gescheitert. Doch das Grundgesetz regelt auch diesen Fall. In Artikel 63 ist festgehalten: "Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen 14 Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen."
Zweiter Wahlgang noch an diesem Dienstag
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hatte sich bei der Sitzungseröffnung noch erfreut gezeigt "über die fröhliche Stimmung im Hause". Sie begrüßte die Gäste und auch die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Nach der Abstimmung wandte sich das Blatt. Die Sitzung wurde unterbrochen, und die Fraktionsspitzen zogen sich zu Beratungen über das weitere Vorgehen zurück. Dann gab es eine Einigung zwischen den Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken auf einen zweiten Wahlgang noch an diesem Dienstag.
Linnemann (CDU): "Wir stehen geschlossen"
In welcher Fraktion die Abweichler im ersten Wahlgang saßen, ist aufgrund der geheimen Abstimmung nicht bekannt. Vertreter der Koalition im Wartestand betonten zwischen den beiden Wahlgängen die Geschlossenheit in den eigenen Reihen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte im Fernsehsender Phoenix, Merz sei nach der Abstimmung intern mit "frenetischem Applaus" begrüßt worden. Sein Eindruck sei, "dass wir geschlossen stehen".
CSU-Chef Markus Söder erklärte in einer kurzfristig anberaumten Stellungnahme in München: "Noch ist alles lösbar, noch ist alles heilbar." Er appellierte "an alle Demokraten, eine stabile Regierung auf den Weg zu bringen." Es sei nicht die Zeit, Denkzettel auszustellen und alte Rechnungen zu begleichen. "Es geht schon ums Ganze."
Warnend fügte Söder hinzu, dies könne "am Ende ein Vorbote von Weimar sein". Er spielte damit auf die gescheiterte Weimarer Republik an, auf die in Deutschland 1933 der Nationalsozialismus folgte - "der heutige Vormittag zeigt, dass wir in einer ernsten Lage sind", betonte der bayerische Ministerpräsident. Nun komme es darauf an, "dass wir vernünftig bleiben, ruhig bleiben, cool bleiben".
Klingbeil (SPD): "Nicht der geringste Hinweis" auf Abweichler in eigenen Reihen
SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil sagte nach Angaben aus Fraktionskreisen, er habe "nicht den geringsten Hinweis, dass die SPD nicht vollständig gestanden hat". Das deutliche Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag sei ein Auftrag an die Fraktion. "Und sie erfüllt diesen. Auf uns ist Verlass", betonte der designierte Vizekanzler demnach. Später sagte Klingbeil in einem Statement, es sei wichtig, dass Deutschland rasch eine stabile Regierung bekomme.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) reagierte entsetzt auf das Ergebnis. "Was heute passiert ist, ist unverantwortlich", sagte Schwesig dem Sender Welt. Sie habe aber "keinen Anlass zur Spekulation", aus welchen Fraktionen die nötigen Stimmen für Merz fehlten. "Ich vertraue all unseren Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion", betonte sie.
Weidel (AfD): "Merz sollte direkt abtreten"
AfD-Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla erklärte, bald werde sich zeigen, ob es Merz nach dem Scheitern im ersten Wahlgang gelinge, "seine Reihen zu schließen". Die Abstimmungsniederlage sei "wirklich ein desaströser Beginn seiner Kanzlerschaft", jedoch nicht verwunderlich. Denn der CDU-Vorsitzende habe "alle Wahlversprechen" gebrochen und etwa einer Lockerung der Schuldenbremse zugestimmt.
Die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel sagte, "das Beste" wäre, "hier direkt einen Schnitt zu machen". "Herr Merz sollte direkt abtreten und es sollte der Weg geöffnet werden für Neuwahlen in unserem Land."
Haßelmann (Grüne): Bedeutet für Regierungszeit der neuen Koalition nichts Gutes
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann erklärte mit Blick auf die künftige Koalition, "dass es offensichtlich keine Mehrheit zu geben scheint". Das bedeute für die Regierungszeit dieses neuen Bündnisses "nichts Gutes". Das Vertrauen in das, was man "als gemeinsame Basis" im Koalitionsvertrag vereinbart habe, sei "offenbar gefährdet", sagte Haßelmann. "Das Schlimmste, was diesem Land jetzt passieren könnte", wären Neuwahlen.
"Gerade jetzt bräuchte es eine starke demokratische Regierung", fügte die Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge hinzu. Deutschland könne angesichts internationaler Herausforderungen "nicht noch mehr Unsicherheit" gebrauchen.
Ungeachtet des Schockmoments im politischen Berlin ist die Bundesrepublik nicht ohne politische Führung - auch nach der feierlichen Verabschiedung des geschäftsführenden Kanzlers Olaf Scholz (SPD) mit einem Großen Zapfenstreich am Montag. Denn dessen Amtszeit und die seiner Kabinettsmitglieder endet erst mit der Wahl eines Nachfolgers.
SPD-Minister und Koalitionsvertrag
Ebenfalls am Montag hatte die SPD ihre Ministerinnen und Minister für das Kabinett präsentiert, es sind vier Frauen und drei Männer. Die Spitzen von CDU, CSU und SPD unterzeichneten danach den Koalitionsvertrag und beschworen dabei eine enge Zusammenarbeit in den kommenden Jahren. "Wir wissen, dass es unsere geradezu historische Verpflichtung ist, diese Koalition zum Erfolg zu führen. Wir sind dazu gemeinsam entschlossen", sagte Merz. "Die Koalitionsvereinbarung, die wir heute unterzeichnen, zeugt genau von diesem Willen, ernsthaft, konzentriert, problembewusst an die Arbeit zu gehen."
Klingbeil verwies bei der Präsentation auf die internationalen Herausforderungen. "Es liegt jetzt an uns, der kommenden Regierung, ob Deutschland diese neue Weltordnung gestaltet, die Umbrüche gestaltet oder ob wir zugucken und am Ende vielleicht sogar gestaltet werden", mahnte er.
Merz, Klingbeil und CSU-Chef Söder gaben sich darin einig, dass man die Bürger nun mit Reformen und Investitionen überzeugen wolle. "Wir werden jetzt investieren und morgen entlasten", sagte der designierte Finanzminister Klingbeil. "Die wichtigste Priorität ist die wirtschaftliche Stärke."
Die Union war bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar stärkste Kraft geworden. Merz will die kommenden vier Jahre mit einer Koalition aus CDU/CSU und SPD regieren.
fab/jj/se (dpa, rtr, afp, phoenix)
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