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Friedrich Merz will größere Rolle Deutschlands in der Welt

6. Juli 2025

Der neue Bundeskanzler will ein stärkeres außenpolitisches Profil Deutschlands. Doch bisher ist wenig davon zu erkennen.

Friedrich Merz und Donald Trump ins Gespräch vertieft
Nicht auf Augenhöhe: Friedrich Merz (l.) sucht den Kontakt zu Donald Trump, doch der sieht ihn nicht als gleichwertigen PartnerBild: NATO/UPI Photo/Newscom/picture alliance

"Germany is back on track" – "Deutschland ist wieder auf Kurs" oder "in der Spur". Auf englisch verkündete Bundeskanzler Friedrich Merz von der konservativen CDU vor drei Monaten bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages in Berlin den Anspruch seiner Regierung auf eine neue Rolle Deutschlands.

Friedrich Merz: "Wir sind zurück auf der Weltbühne"

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Der Vorgängerregierung unter dem Sozialdemokraten Olaf Scholz wirft Merz Versagen vor: zu zurückhaltend und zögernd bei der Ukraine-Unterstützung, zu wenig ambitioniert in der Europapolitik, zu belehrend den Partnern gegenüber.

Merz hat die Außenpolitik zur Chefsache erklärt. Seine Botschaft: Deutschland will mehr Verantwortung übernehmen. Eine Führungsrolle in der EU soll es sein. Unter den europäischen NATO-Staaten soll Deutschland die stärkste Armee werden. Gleichzeitig soll Europa verteidigungspolitisch eine "Unabhängigkeit von den USA erreichen", wie Merz gleich nach seinem Wahlsieg im Februar sagte, weil er in den USA unter Donald Trump keinen verlässlichen Partner mehr sieht.

Merz tut, was Trump will

Löst er diesen Anspruch ein? Bei seinem Antrittsbesuch in Washington sahen die meisten Medien schon einen Erfolg darin, dass der gemeinsame Presseauftritt mit Trump ohne größere Zerwürfnisse über die Bühne ging. Merz sagte kaum etwas, wirkte nervös, Trump redete umso mehr. Der Kanzler versprach vor allem mehr Verteidigungsausgaben, der US-Präsident schien zufrieden. "Trump geht es nicht um Partnerschaft, sondern um Vasallentum." So sieht es der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle-Wittenberg, wie er der DW schreibt.

Der Antrittsbesuch im Weißen Haus verlief ohne Pannen - das gilt bereits als ErfolgBild: Evan Vucci/AP/picture alliance

Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik weist gegenüber der DW darauf hin, dass Merz statt "Unabhängigkeit" dann doch "eher auf traditionelle transatlantische Pfade zurückgekehrt" sei. "Angesichts der großen sicherheitspolitischen Abhängigkeit Europas von den USA wäre eine offene Abkehr von Washington auch waghalsig und unklug." Auch Varwick meint: "Von Unabhängigkeit kann keine Rede sein", weder politisch noch militärisch.

Für diese Einsicht spricht auch, dass Merz sehr zurückhaltend auf den sicherheitspolitischen Vorstoß des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn reagiert hat. Der hatte sich für einen europäischen nuklearen Schutzschirm unter deutscher Führung ausgesprochen. Merz sprach jetzt in der ARD von einer Aufgabe, "die sich allenfalls in der sehr, sehr langen Perspektive stellt". Damit dürfte kaum das Projekt einer Legislaturperiode gemeint gewesen sein.

Kann und will Deutschland die USA in der Ukraine ersetzen?

Ähnlich unterwürfig – so drückten es verschiedene Medien aus - ging es beim NATO-Gipfel in Den Haag weiter, wo Trump von Generalsekretär Mark Rutte als "Daddy" umschmeichelt wurde. Die Europäer sagten, wie vom US-Präsidenten gefordert, fünf Prozent Verteidigungsausgaben ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung zu. Trumps Botschaft lautet seit längerem: Wer nicht zahlt, bekommt keinen US-amerikanischen Schutz. Oberstes Ziel des Gipfels war, die USA als Sicherheitsgarant in Europa zu halten. Das scheint fürs erste gelungen zu sein.

Der NATO-Gipfel wurde eine einzige Huldigung an Donald Trump, auch wenn (von links hinter Trump) der finnische Präsident Alexander Stubb, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz vielleicht anders über ihn denkenBild: Christian Hartmann/REUTERS

Ein Fahrplan für einen NATO-Beitritt der Ukraine dagegen, wie ihn auch Deutschland will, wurde in Den Haag nicht einmal diskutiert - die USA unter Trump haben das Ziel aufgegeben.

Insgesamt scheint Donald Trump langsam das Interesse am Ukraine-Krieg und an einer Friedenslösung zu verlieren. Jetzt wurde die jüngste Lieferung der von Kyjiw dringend benötigten Patriot-Flugabwehrraketen von Washington gestoppt, angeblich, weil man sie selbst braucht.

Damit stellt sich die Frage, ob die Europäer und speziell Deutschland in die Bresche springen wollen. Johannes Varwick meint, wollten die Europäer die US-amerikanische Rolle kompensieren, wäre das "machtpolitisch und auch finanziell nicht sehr aussichtsreich. Früher oder später dürfte man daher auch in Berlin und Brüssel auf die US-amerikanische 180-Grad-Wende einschwenken."

Zerstörungen in Kyjiw am 23. Juni durch russische Luftangriffe: Die USA stoppten die jüngste Lieferung von FlugabwehrraketenBild: Thomas Peter/REUTERS

Vage bleibt Bundeskanzler Merz unterdessen in der Frage, ob er der Ukraine weitreichende Marschflugkörper vom Typ Taurus liefern will. "Es ist und bleibt eine Option", sagte er jetzt in der ARD-Sendung "Maischberger". Kanzler Olaf Scholz hatte eine Lieferung immer mit dem Argument abgelehnt, damit könne Deutschland in den Krieg hineingezogen werden. Eines sei sicher, sagte Merz vorsorglich: "Deutschland wird nicht Kriegspartei." Wie Russlands Präsident Wladimir Putin das sieht, steht auf einem anderen Blatt.

Grenzkontrollen belasten Verhältnis zu Polen

Der neue Bundeskanzler reiste sofort nach seinem Amtsantritt nach Paris und Warschau als Zeichen, dass er besonderen Wert auf diese beiden europäischen Partner legt. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gab es – jedenfalls nach außen - herzliches Einvernehmen.

Deutsche Kontrollen an der Grenze zu Polen kamen dort gar nicht gut an, jetzt kontrolliert auch Polen die GrenzeBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk verdarb es sich Merz dagegen, als er kurz zuvor Grenzkontrollen starten ließ, um illegale Einreisen zu verhindern. Polen will solche Migranten nicht zurücknehmen und kontrolliert inzwischen seinerseits die Grenze zu Deutschland. Henning Hoff spricht hier von einem "Fehlstart" von Merz, "weil ihm Migrations-Symbolpolitik wichtiger war als der europäische Zusammenhalt und gutnachbarliche Beziehungen zu Polen".

Im Nahen Osten nur Zuschauer

Die zweite Großkrise neben dem Ukraine-Krieg, der Nahost-Konflikt, findet unterdessen praktisch ohne die Europäer statt. Israel und wenige Tage später die USA griffen Ziele im Iran an, um das Land vom Bau einer Atombombe abzuhalten. Beratungen mit den Europäern gab es nicht. Die Rolle Deutschlands erschöpfte sich weitgehend darin, anschließend zur Deeskalation aufzurufen. 

Merz scheint bereits stolz zu sein, dass er nachträglich von den Angriffen in Kenntnis gesetzt wurde: "Ich bin einer der ersten gewesen, wenn nicht der erste, der informiert worden ist", sagte er in der ARD. Johannes Varwick meint resigniert: "Da sehen wir, wie tief wir gesunken sind. Europa und Deutschland spielen hier keine Rolle. Merz wird das nicht ändern können."

Das vom israelischen Militär bereitgestelltes Foto zeigt angeblich Schäden an der iranischen Nuklearanlage Isfahan nach dem israelischen Angriff Mitte JuniBild: IDF/GPO/SIPA/picture alliance

Was bringen die Riesenschulden außenpolitisch?

Ein insgesamt erfolgreicher USA-Besuch, vor allem dank deutlich höherer Verteidigungszusage, eine unklare Zukunft der Ukraine-Unterstützung, die Hoffnung auf eine Wiederannäherung an Frankreich, aber ein belastetes Verhältnis zu Polen und bloßer Zuschauer im Nahostkonflikt – eine erste Bilanz von Merz' außenpolitischen Plänen fällt gemischt aus. Allerdings ist die neue Regierung erst zwei Monate im Amt.

Henning Hoff sagt über Merz' Anspruch: "Es bleibt rätselhaft, was Merz mit 'Germany is back on track' außenpolitisch genau meint – beziehungsweise woran er anknüpfen und auf welche 'Spur' er das Land wieder setzen möchte." Er weist darauf hin, dass Merz' Vorstellungen einer größeren Rolle Deutschlands "auf einer massiven schuldenfinanzierten Ausgabenpolitik für Verteidigung und Infrastruktur basieren, ermöglicht durch die eigene 180-Grad-Wende in dieser Frage und die Unterstützung durch SPD und Grüne. Die Vorgängerregierung hatte diese Möglichkeit nicht."

Zumindest in der deutschen Bevölkerung scheint der Bundeskanzler inzwischen zu punkten, nachdem er lange ziemlich unbeliebt war. Im jüngsten ARD-Deutschlandtrend stiegen seine Zustimmungswerte um drei Prozentpunkte. Zwar nur auf magere 42 Prozent, aber es ist der höchste Wert seit Merz' Wiedereinstieg in die Politik vor vier Jahren.

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