Deutschland Russland Beziehungen
28. August 2012Wenn Lothar de Maizière am Mittwoch (29.08.2012) nach Moskau reist, um an der Vorstandssitzung des Deutsch-Russischen Forums im Rahmen des Petersburger Dialogs teilzunehmen, dürfte die Stimmung angespannt sein. "Die politische Großwetterlage zwischen Deutschland und Russland ist zurzeit nicht einfach", sagte der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses der Deutschen Welle.
Der international kritisierte Prozess gegen die russische Punkband Pussy Riot, bei dem drei junge Frauen Mitte August zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden, sei nur ein Beispiel. In Russland gebe es Entwicklungen, die sich mit westlichem Demokratieverständnis nicht vereinbaren ließen, so de Maizière. "Wir werden darüber reden müssen", sagte der CDU-Politiker mit Blick auf das Treffen des Petersburger Dialogs Mitte November in Moskau.
Kritik am Petersburger Dialog
Der Petersburger Dialog gilt als Vorzeigeprojekt. Das Forum wurde 2001 vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufen. Es soll vor allem einen Meinungsaustausch zwischen den Zivilgesellschaften fördern. Doch genau das wird als unzureichend kritisiert. Die Berliner Journalistin Gemma Pörzgen meint, "dass viele kritische Themen ausgeklammert werden". Eine Reform sei dringend nötig.
Eine solche scheint Andreas Schockenhoff anzustreben. Der Vizechef der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag ist Koordinator für die deutsch-russische zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt und zugleich neuer Leiter der Arbeitsgruppe "Zivilgesellschaft" beim Petersburger Dialog. In einem Zeitungsinterview kündigte er an, die Demokratieentwicklung in Russland stärker als bisher zu thematisieren. Schockenhoff schloss auch eine Einstellung des Petersburger Dialogs nicht aus, sollte "ein offener Austausch der Zivilgesellschaften nicht mehr möglich" sein. Lothar de Maizière lehnt einen solchen Schritt jedoch ab: Man müsse den Petersburger Dialog "nicht einstellen, sondern stärken".
Zeichen einer Abkühlung
Russland reagierte mit Empörung auf Schockenhoffs Äußerungen. Man sei erstaunt über die "außenpolitische Arroganz" des CDU-Politikers, zitierte die russische Nachrichtenagentur "Interfax" Mitte August eine anonyme Quelle im Moskauer Außenministerium.
Es passiert selten, dass zwischen Moskau und Berlin in diesem Ton gesprochen wird. Die deutsch-russischen Beziehungen scheinen heute so frostig wie lange nicht mehr. Das Urteil gegen die Punkband Pussy Riot am 17. August bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel als "unverhältnismäßig". Sie sagte außerdem: "Ich fürchte, dass die Zivilgesellschaft durch dieses Urteil weiter eingeschüchtert wird".
Es gibt auch andere Beispiele, die auf eine Abkühlung im Verhältnis zwischen Berlin und Moskau hinweisen. Bei seinem Antrittsbesuch am 1. Juni machte Präsident Putin nur einen kurzen Zwischenstopp in Berlin auf der Durchreise von Minsk nach Paris. Die Eröffnung des Deutschlandjahrs in Russland am 20. Juni in Moskau fand - anders als ursprünglich geplant - ohne Putin und den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck statt. Anfang Juli sorgte der russische Außenminister Sergej Lawrow mit einer Indiskretion für Irritationen in der Bundesregierung. Bei einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Guido Westerwelle in Moskau zitierte der russische Chefdiplomat aus einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Merkel und Putin über Syrien.
Pause oder Stagnation?
"In den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland wurde der pragmatische Aspekt bislang überbewertet", sagt der Moskauer Politologe Ewgenij Mintschenko. Deutschland sei zwar an einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland interessiert, doch gebe es ideologische Probleme, die "unüberbrückbar scheinen". Der Prozess gegen Pussy Riot habe das deutlich gemacht, sagt der Experte.
Ein anderer Moskauer Politologe, Sergej Markow, der auch Mitglied der Kreml-Partei "Einiges Russland" ist, spricht von einer "Pause" im Verhältnis zwischen Berlin und Moskau. "Diese Pause hat mit dem Machtwechsel in Russland und mit Meinungsunterschieden im Syrien-Konflikt zu tun", sagt Markow. Von einer "Stagnation" in den deutsch-russischen Beziehungen spricht dagegen Alexander Kakejew vom Moskauer Institut für Weltwirtschaft und Außenpolitik. Es gebe in diesen Beziehungen "nichts Neues". Schuld daran sei vor allem Russland.
Erinnerung an den Quadriga-Skandal
Auch wenn das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau derzeit von aktuellen Ereignissen geprägt ist, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Bereits im Juli 2011 warf ein Skandal einen Schatten auf die deutsch-russischen Beziehungen. Der damalige Premier Putin sollte in Berlin den Quadriga-Preis bekommen - eine Auszeichnung, die zuvor Menschen wie Altbundeskanzler Helmut Kohl erhalten hatten. Doch es regte sich Widerstand. Nach viel Kritik in der Öffentlichkeit beschloss das Kuratorium, die Preisverleihung 2011 auszusetzen.
Putin reagierte damals über seinen Pressesprecher mit Befremden auf die Ereignisse in Berlin. Der Skandal würde die deutsch-russischen Beziehungen aber nicht belasten, versicherte Moskau. Doch ein großes deutsches Nachrichtenmagazin warnte vor Konsequenzen: Putin habe ein exzellentes Gedächtnis und gelte als nachtragend.
Wirtschaft vorerst unbelastet
Russische Experten schließen nicht aus, dass politische Meinungsunterschiede zwischen Berlin und Moskau auch die Wirtschaft belasten könnten. Noch scheint das nicht der Fall zu sein. So äußerte sich Angela Merkel Ende Mai positiv über eine mögliche Erweiterung der Ostsee-Gaspipeline von Russland nach Deutschland. Deutsche Investoren erhoffen sich von Russlands offiziellem WTO-Beitritt im August neue Perspektiven. Und am 23. August wurde bekannt, dass das Partnerland der Hannover Messe im Jahr 2013 Russland heißt.