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Die Ultras sind in der Bundesliga zurück

Matt Ford
4. April 2022

Nach zweijähriger Abwesenheit sind wieder Ultras auf den Tribünen zu sehen. Müssen sich die fanatischsten Fußballfans Deutschlands neu finden?

Fußball Bundesliga Borussia Dortmund - RB Leipzig | Fans
Die "Gelbe Wand" ist zurück - auch wenn die BVB-Fans im Spiel gegen Leipzig wenig zu jubeln hattenBild: Bernd Thissen/dpa/picture alliance

Nach 763 Tagen als grauer Klotz verwandelte sich die Südtribüne im Stadion von Borussia Dortmund am Sonntag wieder zurück in die berühmte "Gelbe Wand" - mit 24.451 Fans auf den Stehplätzen. "Willkommen zurück im Westfalenstadion!", stand auf einem riesigen Transparent. Fahnen wehten hin und her, gelbes Konfetti und Luftschlangen wurden geworfen und vermischten sich bald mit dem Rauch von Pyrotechnik, der durch das erstmals seit langer Zeit wieder ausverkaufte Stadion wehte.

Zum ersten Mal seit Februar 2020 waren die Ultras wieder in Deutschlands größtem Fußballstadion bei einem Bundesligaspiel, und sie waren nicht allein.

Im ganzen Bundesgebiet waren wieder Schlachtgesänge von Ultras zu hören und ihre Choreographien zu sehen. "In Deutschland tragen unsere aktiven Fanszenen, unsere Stehplatztribünen und unsere sozial inklusive Ticketvergabe zu einer engen Beziehung zu den Fans bei", sagte Klaus Filbry, Geschäftsführer von Zweitliga-Spitzenreiter Werder Bremen, der DW. "Fußball funktioniert nur, wenn es eine Symbiose zwischen der Mannschaft auf dem Platz und den Fans auf der Tribüne gibt. Die Spieler merken das, und es kann helfen, ein paar Prozentpunkte mehr Leistung herauszuholen."

Alle oder keiner

Im Mai 2020 hatte die Bundesliga nach einer durch das Coronavirus erzwungenen Pause als erste große europäische Liga ihr Comeback gefeiert, allerdings mit "Geisterspielen" hinter verschlossenen Türen. Als die Fans 2021 in begrenzter Zahl zurückkehren durften, wurden viele Steh- durch Sitzplätze ersetzt, Gesichtsmasken waren obligatorisch, und die Eintrittskarten wurden personalisiert, um die Rückverfolgung von Kontakten zu ermöglichen.

Die meisten Ultras akzeptierten die Maßnahmen als notwendig, um die Pandemie einzudämmen. Gleichzeitig hielten sie es aber für unmöglich, unter diesen Bedingungen ihre Fankultur auszuleben: frei, unabhängig, aktiv und lebendig. Also blieben sie den Stadien fern und hielten sich an ihr Motto, das sie wie ein Mantra wiederholten: "Alle oder keiner".

Das größte Problem aus Sicht der Ultras waren die strengen deutschen Einlasskriterien für Veranstaltungen: 3G (geimpft, genesen, getestet) oder sogar nur 2G (nur geimpfte oder genesene Fans). Die Kontrolle erfolgte über den Abgleich der personalisierten Eintrittskarten mit dem COVID-19-Impfnachweis.

Für die meisten Ultras, die den Behörden gegenüber eher misstrauisch sind und ihre persönlichen Daten auch in Zeiten ohne Pandemie geschützt wissen wollen, war dies eine rote Linie. Die Ultras von Borussia Mönchengladbach kehrten im September 2021 zwar kurzzeitig zurück, nachdem die örtlichen Vorschriften gelockert worden waren. Andere blieben jedoch hart.

"Es gab von Bundesland zu Bundesland und von Liga zu Liga unterschiedliche Regeln. Und auch die Fangruppen vertraten leicht unterschiedliche Forderungen", erklärt Johannes Mäling, Chefredakteur von "Faszination Fankurve", dem führenden deutschen Internetportal zur Fußball-Fankultur. "Es war ein großer Flickenteppich, und so ist auch die Rückkehr der Ultras verlaufen."

"Erschreckend still"

"Es ist erschreckend still geworden", sagt Johannes Bagus, Sozialarbeiter beim Fan-Projekt Dortmund, einer pädagogischen Einrichtung, die eng mit jungen Fußballfans und Ultras zusammenarbeitet. "Die Leute sind es gewohnt, dass die Ultras auf den Rängen den Ton angeben, aber das war weg. Die Leute schienen nicht zu wissen, wie man eine besondere Atmosphäre schafft."

Es wurde nicht nur leiser, auch das Verhalten der Fans änderte sich spürbar. Ohne die Selbstkontrolle der Ultras auf den Rängen blieben diskriminierende Äußerungen ungeahndet.

Am 13. März wurde das Bundesligaspiel zwischen Bochum und Borussia Mönchengladbach abgebrochen, nachdem ein Linienrichter von einem Bierbecher getroffen worden war. "Da ist tatsächlich so etwas wie ein Vakuum entstanden", meint Mäling.

Ultras "viel mehr als nur Hooligans"

In den zwei Jahren, in denen sie nicht im Stadion waren, haben die deutschen Ultras den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten verloren. Dennoch blieben sie auf unterschiedliche Art und Weise aktiv. Zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 gehörten die Ultra-Gruppen zu den Ersten, die Hilfe für die am meisten durch COVID-19 gefährdeten Menschen organisierten: Sie erledigten für ältere Menschen Einkäufe und machten für sie auch andere Besorgungen.

Bei der verheerenden Flutkatastrophe im Westen Deutschlands im Juli 2021 waren Ultras aus örtlichen Vereinen schnell zur Stelle, lieferten Hilfsgüter und halfen bei den Aufräumarbeiten.

Und in jüngster Zeit nutzen Ultra-Gruppen in ganz Deutschland ihr Netzwerk, um Geld für ukrainische Kriegsflüchtlinge zu sammeln. Die Ultras des Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen brachten in einem Konvoi selbst Hilfsgüter direkt an die polnisch-ukrainische Grenze.

Dortmund-Ultras stehen hinter den BVB-Banden, auf denen ein Ende des Ukraine-Krieges gefordert wird.Bild: Bernd Thissen/dpa/picture alliance

"Die Ultras sind von Natur aus karitativ und sozial", sagt Johannes Bagus vom Fanprojekt Dortmund. "Leider wird ihr Bild in der Öffentlichkeit von Pyrotechnik und Zusammenstößen mit der Polizei dominiert. Aber wenn man ihre Subkultur genauer studiert, wird man feststellen, dass sie viel mehr sind als nur Hooligans."

Fan- und Ultra-Gruppen gehörten zu den ersten, die eine Aussetzung des Fußballs wegen der Pandemie forderten, und sie übten heftige Kritik an der Rückkehr der Liga in leere Stadien, nur um die Verpflichtungen aus den Fernsehverträgen zu erfüllen. "Zu Beginn [der Pandemie - Anm. d. Red.] gab es Befürchtungen, dass es zu Ansammlungen außerhalb der Stadien kommen würde", sagt Johannes Mäling vom Portal "Faszination Fankurve": "Aber die aktiven Fangruppen haben sich durchweg verantwortungsbewusst verhalten. Tatsächlich waren die Fans oft die Stimme der Vernunft."

Mehr Einfluss als je zuvor

Allerdings waren die zwei Jahre ohne Spiele für die Ultras eine lange Zeit. "Die größte Herausforderung war es, die Menschen für den Fußball und die Fankultur zu begeistern", sagt Bagus. "Das Leben der Fanszene besteht aus Gruppenaktivitäten: Treffen unter der Woche, Vorbereitung und Ausführung von Choreografien - all das ist verschwunden."

Es sei vor allem schwierig gewesen, die jungen Fans bei der Stange zu halten. "Die Jugendlichen, die bei uns waren, sind jetzt zu alt für unsere Jugendsozialarbeit. Und warum sollten sich junge Leute für Fankultur interessieren, wenn es keine Fankultur gibt?"

Nach Einschätzung Mälings sind die Ultras jedoch "immer noch sehr handlungsfähig". Auch die Bereitschaft, Reformen voranzutreiben, sei nach wie vor vorhanden. Die Pandemie, so Mäling, habe die Position der Ultras möglicherweise sogar gestärkt: "Gerade in der ersten Phase der Geisterspiele haben wir deutlich gesehen, wie wenig das Produkt Fußball ohne das Stadionerlebnis wert ist. Die Bundesliga lebt von der Atmosphäre."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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