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Fußball in Ostdeutschland - 35 Jahre nach dem Mauerfall

David Braneck | Andreas Sten-Ziemons
8. November 2024

Mit dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 brach nicht nur das politische System der DDR zusammen. Der Fußball in Ostdeutschland war nicht konkurrenzfähig und kämpft teilweise bis heute mit den Folgen.

Spieler des 1. FC Magdeburg bilden vor dem Spiel gegen SpVgg Greuther Fürth einen Kreis
Der 1. FC Magdeburg, 1974 einziger Europapokalsieger aus der DDR, hatte nach der Wende schwer zu kämpfenBild: Melanie Zink/Sportfoto Zink/picture alliance

1974 gewann der 1. FC Magdeburg den Europapokal der Pokalsieger - ein Kunststück, das keine andere Fußball-Mannschaft aus der DDR geschafft hat. Der einzige Europapokalsieger der DDR spielte bis zur Wende in der obersten Liga, schaffte es dann aber in der letzten Saison vor dem Zusammenschluss des westdeutschen und ostdeutschen Fußballs nicht, sich für einen Platz in der Bundesliga oder der 2. Liga zu qualifizieren.

Der FCM stürzte in den Amateurfußball ab, war lange Zeit nur viertklassig und schaffte erst 2018 erstmals den Aufstieg in die 2. Liga. Dort spielt der Verein auch aktuell wieder. In der Bundesliga war er nie.

Westdeutsche Vereine werben Ost-Spieler ab

Insgesamt litt der ostdeutsche Fußball darunter, dass gleich nach dem Mauerfall am 9. November 1989 Manager und Sportdirektoren der Bundesligaklubs Spieler aus dem Osten abwarben. So landete Stürmer Andreas Thom vom BFC Dynamo, dem DDR-Serienmeister aus Berlin, schon im Januar 1990 bei Bayer Leverkusen. Im Sommer desselben Jahrs unterschrieben viele andere DDR-Stars ebenfalls im Westen. Ulf Kirsten von Dynamo Dresden folgte Thom nach Leverkusen, sein Teamkollege Matthias Sammer ging zum VfB Stuttgart, andere unterschrieben in Köln, Hamburg oder bei westdeutschen Zweitligisten und fehlten den Ostklubs fortan.

Andreas Thom (l.) und Ulf Kirsten (r.) wechselten kurz nach der Wende zu Bayer LeverkusenBild: Kicker/Liedel/IMAGO

"Es gab sehr viele Spieler, die aus dem Osten sehr schnell in der Bundesliga geholt worden sind, zu den westdeutschen Vereinen", erinnert sich der ehemalige Dresdner Spieler Marco Hartmann, der heute die Akademie der Vereins leitet, im Interview mit der DW. "Das heißt, dass die besten Spieler auch bei Dynamo Dresden sehr schnell abgezogen wurden - aber damals auch für überschaubares Geld, sodass der Verein nicht besonders davon profitiert hat."

Nur zwei DDR-Klubs in die Bundesliga

Hinzu kam, dass nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 allein die Abschlusstabelle der letzten Saison der DDR-Oberliga darüber entschied, welcher Verein in welcher gesamtdeutschen Liga landete. Von den 14 DDR-Erstligisten kamen im Sommer 1991 lediglich Meister Hansa Rostock und Vizemeister Dynamo Dresden in die Bundesliga.

Rot-Weiß Erfurt, der Hallesche FC, der Chemnitzer FC und der FC Carl Zeiss Jena belegten die Plätze drei bis sechs und waren damit für die 2. Bundesliga qualifiziert. Die Teams auf den Rängen sieben bis zwölf spielten in einer Aufstiegsrunde zwei weitere Zweitligaplätze aus. Hier setzten sich der BSV Stahl Brandenburg und der VfB Leipzig durch. Alle anderen DDR-Erstligisten waren fortan nur noch drittklassig. 

Dynamo Dresden, einer der erfolgreichsten und populärsten Ostklubs, hielt sich von 1991 bis 1995 in der BundesligaBild: Thomas Lehmann/picture alliance

Gut zurecht kamen die wenigsten ostdeutschen Vereine. Der umfassende Privatisierungsschub, der nach dem Fall der Mauer und im Zuge der Wiedervereinigung über die ostdeutsche Wirtschaft hereinbrach, erfasste auch den Fußball. Die Klubs aus dem kommunistischen Osten, wo es offiziell keinen Profifußball gab, mussten plötzlich auf dem freien Markt mit kapitalkräftigen Westvereinen konkurrieren.

Ein böses Erwachen

Betrachtet man 33 Jahre später die deutsche Fußball-Landkarte, stellt man fest, dass von den 56 Profimannschaften in den drei höchsten deutschen Ligen nur sieben Vereine im Osten beheimatet sind. RB Leipzig und der 1. FC Union Berlin sind Bundesligisten, Magdeburg ist Zweitligist. Rostock, Dresden, Energie Cottbus und Erzgebirge Aue spielen in der 3. Liga. 

"Ich glaube nicht, dass man gerade nach der Wiedervereinigung so viel Weitblick hatte, um erkennen zu können, welchen Weg der Fußball im Osten überhaupt gehen wird, weil man viele Mechanismen nicht kannte. Vielleicht war man auch ein Stückweit naiv", sagt Carsten Müller der DW. Er spielte vor und nach der Wende für den 1. FC Magdeburg und leitet heute die Akademie des Vereins. "Wenn dann auch noch um einen Verein herum die großen Industrien wegbrechen und die wirtschaftliche Situation in der Stadt und in der Region immer schwieriger wird, dann sind viele Herausforderungen auf einmal dazugekommen. Da haben sowohl Spieler als auch Vereine immer neue Herausforderungen", so Müller.

"In vielen Vereinen in Ostdeutschland hat große Misswirtschaft stattgefunden, wahrscheinlich aufgrund der neuen Möglichkeiten, die vorher gar nicht da waren, da alles staatsfinanziert war", erinnert sich Marco Hartmann.

Misswirtschaft nach der Wende brachte auch seinen Klub Dynamo Dresden in große Schwierigkeiten. Als der Verein 1995 aus der Bundesliga abstieg, war er hoch verschuldet. Der DFB verweigerte die Lizenz für die 2. Liga, und Dynamo rauschte direkt hinunter in die drittklassige Regionalliga. Seitdem hat der Traditionsklub nur acht von 29 Spielzeiten in der 2. Liga verbracht und ansonsten dritt- oder sogar nur viertklassig gespielt.

Turbine Potsdam als leuchtendes Beispiel

Während die Männervereine im Osten ihr Bestes taten, um sich wenigstens einigermaßen über Wasser zu halten, stieg eine Frauenmannschaft aus der ehemaligen DDR in die gesamtdeutsche Spitze auf. Der 1. FFC Turbine Potsdam gewann zwischen 2004 und 2012 sechs deutsche Meister- und zwei Champions-League-Titel - auch weil der Frauenfußball damals deutlich ausgeglichener war. "Ich glaube, im Frauenfußball musste man nicht so viel investieren wie bei den Männern", sagt die ehemalige Nationalspielerin Anja Mittag, die insgesamt acht Jahre für Turbine spielte, der DW. 

Turbine Potsdam war jahrelang ein Spitzenklub, Ariane Hingst (l.) und Conny Pohlers (r.) nur zwei von vielen NationalspielerinnenBild: Thomas Eisenhuth/dpa/picture alliance

Mittag glaubt, dass der Verein vor allem dank Trainer Bernd Schröder florierte, der die Mannschaft von der Gründung 1971 bis 2016 leitete. Der Erfolg half dem Verein, finanzielle Unterstützung zu erhalten und Infrastruktur aufzubauen. "Wir brauchten immer noch ein gutes Sponsoring und gute Besucherzahlen, um Geld zu verdienen. Das war wichtig, denn wir hatten in Potsdam eine Stadt, die wirklich hinter uns stand", sagt Mittag.

"Und wenn man erfolgreich ist, zieht man auch Spielerinnen an. Ich denke, der Gewinn der Champions League [2005 und 2010 - Anm. d. Red.] spielte uns dabei sehr in die Karten. Außerdem war es damals nicht so, dass es viele andere Spitzenmannschaften gab."

Keine Chance für reine Frauen-Vereine

Das hat sich allerdings in den vergangenen Jahren geändert. Immer mehr Bundesligisten der Männer begannen, in Frauen-Teams zu investieren. Die reinen Frauen-Vereine wurden nach und nach aus der Frauen-Bundesliga verdrängt. Auch Turbine Potsdam hatte zu kämpfen. Der ehemalige Vorzeigeverein erlebte ein Jahrzehnt des langsamen Niedergangs, der schließlich 2023 zum Abstieg führte. Zwar sind die Potsdamerinnen aktuell wieder in der Bundesliga, können dort aber kaum mithalten, sodass am Saisonende erneut der Abstieg droht.

Anja Mittag war lange Zeit erfolgreiche Spielerin bei Turbine Potsdam und coacht heute Frauen-Bundesligist RB LeipzigBild: Josefine Loftenius/Bildbyran via ZUMA Press/picture alliance/dpa

Die erfolgreichste Frauenmannschaft im Osten ist derzeit RB Leipzig, wo Mittag als Trainerin arbeitet. Die ehemalige deutsche Nationalspielerin stieß als Spielerin in der dritten Liga zum Verein und begleitete Leipzig bis zum Bundesligaaufstieg 2023 auf der Trainerbank. "Ich denke, es ist wichtig für die Region. Es eröffnet jungen Spielerinnen viele Möglichkeiten und macht das Ganze attraktiver", sagt Mittag.

Zwar ist RB Leipzig in Ostdeutschland beheimatet, hat aber keine DDR-Vergangenheit und ist alles andere als ein traditioneller Ostklub. Eben weil es damals im Männerfußball keinen großen Verein im Osten gab, füllte Getränkehersteller und Sportinvestor Red Bull diese Lücke und baute ab 2009 RB Leipzig in der ostdeutschen Fußball-Diaspora auf. Die Lizenz dazu übernahm der neue Verein vom fünftklassigen SSV Markranstädt aus dem Leipziger Umland.

Fokus auf die Zukunft

RB wird von Fußball-Traditionalisten verschmäht, hat sich aber bei Männern und Frauen in der Bundesliga etabliert. Zwar hat RB dank seines potenten Sponsors weitaus bessere finanzielle Möglichkeiten als viele Konkurrenten, doch setzt der Verein gleichzeitig Maßstäbe, was Ausbildung und Jugendarbeit angeht. Das gilt auch für das Frauen-Team. Mit einem jungen Kader mit vielen selbst ausgebildeten Talenten will der Verein auch bei den Frauen mittelfristig in der Champions League spielen. 

Das Männer-Team von Dynamo Dresden verfolgt zwei Klassen tiefer eine ähnliche Strategie. "Es geht darum, Spieler in unsere erste Mannschaft zu integrieren, die ein hohes Maß an Identifikation haben", sagt Akademie-Leiter Marco Hartmann. "Die Spieler sollen sich mit dem Verein identifizieren und Lust haben, für Dynamo Dresden zu spielen, weil es auch den Fans und Mitgliedern besonders wichtig ist, dass Spieler aus der eigenen Region in der Mannschaft spielen."

Identifikation in schwarz-gelb: Zu den Spielen Dynamo Dresdens in der 3. Liga kommen im Schnitt über 29.000 ZuschauerBild: Maximilian Koch/picture alliance

"Ich sehe das nicht als schlimm an, wenn man als Ausbildungsverein bezeichnet wird", meint auch Magdeburgs Carsten Müller. "Wir müssen für uns Wege suchen, die es ermöglichen, Spieler für unseren Verein auszubilden. Der Verein hat sehr hohes Potenzial und investiert sehr viel in der Zukunft."

Während der finanzielle Abstand zwischen den etablierten Bundesligisten aus dem Westen und den meisten Vereinen aus dem Osten vorerst unüberwindbar scheint, beginnen sich die Investitionen in die Jugendarbeit auszuzahlen. Nach Angaben des ZDF stammten von den 880 Jugendspielern, die in den vergangenen zehn Jahren für Deutschland aufliefen, 22 Prozent aus dem Osten des Landes. Zum Vergleich: Der Anteil an der Bevölkerung insgesamt lag bei 18 Prozent. Unter den deutschen Fußballtalenten ist der Osten also gewissermaßen überrepräsentiert. Ein Zeichen, dass die Richtung stimmt.

Dieser Text wurde teilweise aus dem englischen DW-Artikel "35 years after Berlin Wall, East German football struggling" adaptiert.

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