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Fußball-Wikinger im Glückstaumel

Jessica Sturmberg28. Juni 2016

Zehn Prozent der Isländer sind in Frankreich, und es wollen noch mehr nach Paris fliegen. Der Run auf die Viertelfinal-Tickets hat begonnen. Auch in Reykjavik feiern die Fans den größten sportlichen Erfolg ihrer Nation.

Public Viewing in Reykjavík (Foto: picture alliance)
Zehntausende Fans fiebern im Stadtzentrum von Reykjavik beim Public-Viewing auf dem Hügel Arnarholl mitBild: picture alliance/dpa/E. Arnason

Und dann kam Island

02:27

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Den Isländern gehen langsam die Superlative aus, wenn sie den Erfolg ihrer Mannschaft beschreiben wollen. Die Moderatorin der Zehn-Uhr-Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Rundfunksender RUV, Maria Sigrun Hilmarsdottir, bemühte sich erst gar nicht um ganz große Worte, sie drückte ihre Euphorie dadurch aus, dass sie die Fernsehzuschauer im Trikot der isländischen Nationalmannschaft begrüßte.

"Unfassbar", "einmalig" riefen die Fans im Stadion in Nizza immer wieder und zelebrierten den Sieg gegen England zusammen mit ihren Fußball-Helden - den "strakarnir okkar" - "unsere Jungs" - wie sie in Island auch liebevoll genannt werden. Dazu der inzwischen bekannte Wikinger-Ruf "Huh", begleitet vom typisch rhythmischen Klatschen.

Das Spiel ihres Lebens

"Die Spieler waren völlig fertig, es war das beste Spiel und es ist ein Tag, von dem wir für den Rest unseres Lebens sprechen werden", sagte Heimir Hallgrimsson, neben dem Schweden Lars Lagerbäck der zweite Trainer der Nationalmannschaft. Er wird nach dieser EM alleine weitermachen, der 67-Jährige Lagerbäck hatte schon vorher angekündigt, dass dieses Turnier sein letztes sein soll. Aber jetzt wird der Schwede nicht müde zu betonen, wie hoch diese Leistung einzuschätzen ist:

"Dahinter stecken viele Jahre harten Trainings, um den Fokus auf dieses Ziel zu richten. Aber jetzt ist der Aufwand noch ein bisschen größer als sonst, kann ich Ihnen sagen. Die Art und Weise, wie sie verteidigen, wie sie sich klar an die Organisation halten - meiner Meinung ist das Weltklasse, wie sie als Team zusammen spielen."

Vater des Erfolgs: Lars LagerbäckBild: picture-alliance/Citypress24

Wenn es nach den Isländern geht, darf dieses Märchen gerne noch weitergehen. PanamaPapers? Präsidentschaftswahlen? Ärger über die Regierung? Alles das spielt momentan keine Rolle. Es gibt nur dieses eine Thema: die EM-Helden. Den 2:1-Sieg gegen England haben praktisch alle 330.000 Isländer gesehen. Die Fernsehquote von RUV lag bei 99,3 Prozent.

Tickets in sieben Minuten ausverkauft

Von den zehn Prozent der Inselbevölkerung, die ohnehin schon in Frankreich sind, versuchen viele nun, ihren Urlaub zu verlängern. Weitere Isländer wollen nach Paris fliegen und versuchen Karten für das Viertelfinale gegen Gastgeber Frankreich zu bekommen. Allerdings ist das nicht so leicht. Zwar fasst das Stade de France mit 80.000 Zuschauern mehr als doppelt so viel wie die Arena in Nizza, aber die meisten Tickets sind bereits an Franzosen gegangen.

Im offiziellen Verkauf konnten die Isländer am Dienstag 1000 Karten erwerben. Die Tickets waren innerhalb von sieben Minuten verkauft. Jetzt versuchen viele ihr Glück auf dem Schwarzmarkt. Allerdings ist das offenbar ein teures Vergnügen: Für VIP-Tickets würden hier Preise bis zu 1800 Euro verlangt, berichtet die Zeitung "Morgunbladid".

Das Abenteuer soll weitergehen

Aber zu Hause in Reykjavik herrscht schließlich auch beste Stimmung. Das Public Viewing wurde zum Arnarholl, einen Hügel im Stadtzentrum, verlegt, damit noch mehr Fans zuschauen können. Für Sonntagabend werden wieder an die zehntausend erwartet.

Auch gegen Frankreich würden Islands Kicker gerne wieder gemeinsam mit ihren Fans feiernBild: Imago/J. Lundberg

Ob Isländer in Frankreich oder die Daheimgebliebenen auf Island, sie alle singen immer und immer wieder "Eg er kominn heim" - "Ich komme nach Hause". Es ist eine emotionale Ode an die Mannschaft, an den Erfolg, an diesen Moment, der ihnen das Gefühl gibt, dass sie auch als kleine Nation in der Welt ganz groß auftreten können. Natürlich will noch keiner, dass die Spieler nach der nächsten Partie wieder nach Hause kommen. Im Gegenteil: Jetzt glauben erst recht alle, dass das Abenteuer noch weiter gehen kann. Auch wenn die Wettquoten klar dagegen sprechen und Island die geringste Chancen auf den Gewinn des EM-Titels zugerechnet werden.

Isländischer Fußballverband der große Gewinner

Ökonomisch gesehen heißt der große Gewinner KSI, der isländische Fußballverband, wie Wirtschaftsprofessor Thorolfur Matthiasson von der Universität Island erklärt: "Der Fußballverband bekommt durch das Weiterkommen 14 Millionen Euro Preisgeld von der UEFA. Das ist weit mehr als das Dreifache des Gesamtbudgets vom vergangenen Jahr 2015."

Dazu kommt der Verkauf von Merchandising-Artikeln. Und die Spieler können sich für die Topteams in Europa empfehlen. Für Thorolfur Matthiasson ist das ein gelungenes Beispiel, wie sich Investitionen auszahlen können. Denn dieser Erfolg wäre unmöglich gewesen, wenn der Verband nicht zusammen mit den isländischen Gemeinden und auch einer Finanzspritze der FIFA viel Geld in riesige Fußballhallen mit Kunstrasen gesteckt hätte, wo die Jugendlichen rund ums Jahr trainieren können und nicht mehr wie früher auf ein paar schöne Sommertage angewiesen sind.

Island ist schon jetzt ein Magnet für Individualtouristen - steigert die EM die Attraktivität der Insel noch?Bild: picture alliance/Bildagentur-online

Wale für Verlierer kostenlos

Eine Visitenkarte ist der Erfolg aber auch für das gesamte Land. Die Isländer präsentieren sich vor einem europäischen Millionenpublikum als angenehmes, fröhliches Volk, haben die Sympathien auf ihrer Seite. Bessere Werbung kann es kaum geben, sagt Wirtschaftsprofessor Thorolfur Matthiasson. "Der Gewinn an Image, der Werbeeffekt für den Tourismus ist unbezahlbar, auch wenn wir jetzt schon an Kapazitätsgrenzen stoßen. Aber diese positive Ausstrahlung, das Bild, das in die Welt getragen wird, bleibt haften und wirkt nachhaltig."

Für die englischen Touristen im Land hatten sie übrigens auch ein kleinen Trost: Ein Whale -Watching-Anbieter in Husavik spendierte einen Tag nach der Pleite gegen Fußballzwerg Island allen englischen Gästen eine freie Tour.

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