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Fußball-WM 2034: Weltmeisterschaft ohne Menschenrechte?

Kalika Mehta | Mohamed Farhan Mitarbeit
11. Dezember 2024

Saudi-Arabien soll Gastgeber der Fußball-WM 2034 werden - trotz problematischer Menschenrechtslage, zum Beispiel bei Meinungsfreiheit, Frauen- und LGBTQ-Rechten und der Situation von Arbeitsmigranten.

FIFA-Präsident Gianni Infantino und Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman während der Fußball-WM in Katar gemeinsam auf der Ehrentribüne
FIFA-Präsident Gianni Infantino (2.v.l.) pflegt seit langem gute Beziehungen zum saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (2.v.r.)Bild: ActionPictures/IMAGO

"Man wird keine echten saudischen Stimmen aus dem Land hören können, weil die Selbstzensur zur Norm geworden ist", sagt Lina al-Hathloul, als sie mit der DW über Saudi-Arabien spricht.

Die Leiterin der Abteilung Monitoring und Advocacy bei ALQST, einer saudischen Menschenrechtsorganisation, ist der Meinung, dass die Welt nicht durch ein großes Sportevent von der wahren Situation im Land abgelenkt werden sollte.

"Jeder weiß, dass man ins Gefängnis kommt, wenn man etwas sagt, das nicht einmal als kritisch angesehen werden könnte, sondern einfach nur den Behörden nicht zustimmt", sagt sie.

Gute Bewertung durch die FIFA

Trotz aller Kritik bereits weit im Vorfeld der Vergabe der Fußball-WM 2034, sieht der Fußball-Weltverband FIFA die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien offenbar nicht als Hindernis an.

Bei der Evaluation durch die FIFA erhielt die saudi-arabische WM-Bewerbung eine Rekordbewertung von 4,2 von 5 möglichen Punkten. Die Menschenrechtssituation stufte man lediglich als "mittleres" Risiko ein.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman behauptet, die Menschenrechtssituation in seinem Land sei kein ProblemBild: Balkis Press/abaca/picture alliance

"Es ist sehr wichtig, uns zuzuhören, was wir zu sagen haben, und sich mit den saudischen politischen Gefangenen und allen, die Opfer der saudischen Behörden sind, zu solidarisieren", fordert daher Al-Hathloul.

Fehlerhafter "unabhängiger" Bericht

Als Grundlage für ihre Bewertung der Menschenrechtslage diente der FIFA ein als "unabhängig" bezeichneter Bericht von AS&H Clifford Chance, einem Joint Venture zweier saudi-arabischer Anwaltskanzleien. Darin wurden 22 Parameter zur Bestimmung internationale Menschenrechtsstandards betrachtet, die in Absprache zwischen der FIFA und dem saudi-arabischen Fußballverband (SAFF) ausgewählt worden waren.

Dinge wie Meinungsfreiheit, das Verschwindenlassen von kritischen Personen und Arbeitsrechtsverletzungen wurden jedoch nicht berücksichtigt. Stattdessen stützte sich der Bericht bei der Bewertung von Menschenrechtsrisiken stark auf die nationalen Gesetze Saudi-Arabiens. Allerdings entsprechen diese zum Beispiel in Bezug auf Frauen- und LGBTQ-Rechte, Meinungsfreiheit und die Behandlung von Wanderarbeitern nicht den weltweiten Menschenrechtsstandards.

Menschenrechtsaktivistin Lina Al-Hathloul (r.) kämpft seit Jahren für die Freilassung ihrer inhaftierten SchwesterBild: Evan Agostini/Invision/AP/picture alliance

Al-Hathloul, deren Schwester in Saudi-Arabien inhaftiert wurde, weil sie sich für das Recht von Frauen auf das Führen von Fahrzeugen einsetzte, beklagte, dass sowohl die FIFA als auch AS&H Clifford Chance bei der Erstellung des Berichts keine Menschenrechtsgruppen direkt konsultiert hatten.

"Menschenrechtsorganisationen haben keinen Zugang zu Saudi-Arabien", sagt sie. "Daher ist es für eine Institution wie die FIFA sehr schwierig, ihre Sorgfaltspflicht zu erfüllen. Sie sollte sich an Menschenrechtsorganisationen wenden, die sich leider in der Diaspora befinden."

Ihre eigene Organisation sei eine von wenigen, die Informationen von vor Ort erhielten, obwohl für saudische Bürgerinnen und Bürger schon die Kontaktaufnahme mit Menschenrechtsorganisationen als kriminelle Handlung und terroristischer Akt gelte.

Amnesty International: "Reale und menschliche Kosten"

2016 hat die FIFA die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte übernommen. Seitdem ist auch die Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte in Artikel 3 ihrer Statuten aufgeführt. Damals wurde die FIFA dafür gelobt, dass sie sich als erster globaler Sportverband zu einer Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte verpflichtet hat.

Steve Cockburn, Leiter des Bereichs Arbeitsrechte und Sport bei Amnesty International, ist jedoch der Ansicht, dass das Vergabeverfahren sowohl für die WM 2030 als auch für die WM 2034, für die es jeweils einen einzigen Bewerber gab, es der FIFA ermöglicht hat, ihre Verantwortung zu umgehen.

"Wir haben immer gesagt, dass Saudi-Arabien das Recht hat, sich um eine Weltmeisterschaft zu bewerben, wie jeder andere auch", sagt Cockburn der DW. "Sie müssen aber auch die Menschenrechtsstandards erfüllen, die von anderen Bewerberländern erwartet werden.

Amnesty International setzt sich für die Freilassung politischer Gefangener und gegen die Todesstrafe in Saudi-Arabien einBild: Imago Images

Die FIFA, so Cockburn weiter, habe bei den Vergabeverfahren für 2030 und 2034 von Anfang an mitgewirkt, es allerdings versäumt Menschenrechtsorganisationen zu konsultieren und echte Mindeststandards festzulegen.

"Dass Saudi-Arabien mit einem mittleren Risiko eingestuft wurde und eine so hohe Punktzahl erhielt, haben wir als erstaunliche Schönfärberei bezeichnet", sagt er. "Jetzt müssen wir weiter daran arbeiten, die FIFA und Saudi-Arabien vor Ort unter Druck zu setzen. Andernfalls wird es reale und massive menschliche Kosten geben".

Fast 900 tote Arbeitsmigranten

Die Zahl der Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien wird derzeit auf rund 13,4 Millionen geschätzt und dürfte mit den Plänen zum Bau von elf neuen Stadien und der Renovierung von vier bestehenden Stadien in den nächsten zehn Jahren noch stark ansteigen.

Es gibt nur wenige Arbeitsgesetze und keinen Mindestlohn für Migranten. Oft sind sie schon bei ihrer Ankunft mit Schulden für die Anwerbung belastet. Das Festhalten des Landes am Kafala-System macht die Migranten zudem von ihren Arbeitgebern abhängig und birgt eine große Missbrauchsgefahr.

Nach Angaben der Regierung, die von Human Rights Watch gesammelt wurden, starben zwischen Januar und Juli dieses Jahres 884 bangladeschische Wanderarbeiter, bevor Saudi-Arabien offiziell den Zuschlag für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2034 erhielt.

Wie bei der WM in Katar 2022?

Eine DW-Anfrage an die saudischen Behörden zur Kritik an der Menschenrechtslage im Zusammenhang mit der WM-Bewerbung des Landes blieb unbeantwortet. Allerdings äußerte sich Hammad Albalawi, Leiter der WM-Bewerbung, sich kürzlich gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters dazu.

"Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt, und es liegt noch ein weiter Weg vor uns", sagte er. "Unser Prinzip ist es, etwas zu entwickeln, das für uns richtig ist. Unsere Reise begann 2016, nicht wegen der WM-Bewerbung."

Viele Fußball-Fans aus Saudi-Arabien freuen sich auf das WM-Turnier im eigenen Land und wollen, dass es einfach nur um Fußball gehtBild: Paul Chesterton/Focus Images/IMAGO

 Salman Al-Ansari, ein prominenter saudischer Politologe, verweist auf die Diskussionen vor der vergangenen Fußball-WM und geht davon aus, dass alle Probleme vergessen sein werden, sobald das Turnier beginnt.

"Die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar hat die Welt gelehrt, dass Anschuldigungen oft verblassen, während Erfolge Bestand haben", sagt er der DW. "Saudi-Arabien wird diese Gelegenheit nutzen, um seine transformative Reise zu präsentieren, Stereotypen zu brechen und Fans auf der ganzen Welt unter dem Banner von Sportlichkeit und kulturellem Austausch zu vereinen."

Dieser Text wurde aus dem englischen Originalartikel "World Cup 2034: Saudi Arabia's human rights failures ignored" adaptiert.

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