Männer in Schwarz
17. Juni 2010Niemand kennt sie, kaum einer mag sie. Grund genug für die belgischen Filmemacher Yves Hinant und Jean Libon, den Unparteiischen einen Film zu widmen. Die Dokumentation gestattet einen einmaligen Einblick hinter die Kulissen der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz. So entschuldigt sich zum Beispiel Schiedsrichter Massimo Busacca nach dem Schlusspfiff bei griechischen Spielern mit den Worten: "Wir sind nicht Gott, wir machen Fehler!" Busacca hatte bei einem Tor der schwedischen Mannschaft eine Abseitsstellung übersehen. Zum Glück gewannen die Schweden 2:0, sonst wäre diese Fehlentscheidung spielentscheidend gewesen.
Schweigende Schweden
Vor zwei Jahren ließen sich die besten Schiedsrichter Europas erstmals umfassend begleiten: vor, während und nach dem Spiel. Besonders aufschlussreich sind die Szenen auf dem Platz und in der Kabine. Der vertrauliche Funkverkehr zwischen dem Schiedsrichter und seinen Schiedsrichterassistenten sowie dem vierten Offiziellen: Manchmal scheint es fast, als wäre der Hauptschiedsrichter auf dem Platz eine Art Befehlsempfänger.
Die Kommunikation unterscheidet sich stark, je nachdem aus welchem Land das Team kommt. Die Schweden machen ihre Aufgabe fast schweigend, die Italiener kommentieren nahezu jede Szene. Und Schiedsrichter Herbert Fandel aus Deutschland lehnte die Nutzung des Headsets ab, weshalb er in dem Film fehlt.
Morddrohungen aus Polen
Star des Films ist wohl der Engländer Howard Webb, der während der EM nach einer Fehlentscheidung "zum Staatsfeind Nr. 1" in Polen wird. Der Film macht deutlich, dass Fehlentscheidungen schwerwiegende Folgen haben können. Als Webb beim Spiel Österreich - Polen den Österreichern in der 94. Minute einen Elfmeter zuspricht, den diese verwandeln, bekommt er anschließend Morddrohungen aus Polen. Im Internet werden Fotomontagen veröffentlicht, die Howard Webb mit Adolf Hitler zeigen, und in England umkurven Polen stundenlang das Haus seiner Eltern.
Rote Karten für Löw und Hickersberger
Immer wieder sieht man Spieler mit Unschuldsmienen in Großaufnahme, oft handelt es sich dabei um den Tschechen Milan Baros, der der Kunststück fertig bringt, auf der Reservebank sitzend die Gelbe Karte zu bekommen. Ähnliches gilt übrigens auch für die Trainer Josef Hickersberger und Joachim Löw, die sich beim Spiel Österreich - Deutschland ständig am Spielfeldrand streiten, bis der spanische Schiedsrichter Manuel Mejuto den beiden sogar die Rote Karte zeigt.
Die einsamsten Männer der Fußballwelt
Ganz nahe kommt man den Unparteiischen, wenn sie nach dem Spiel in ihrer Kabine belagert werden. So lautet eine Erkenntnis: Schiedsrichterkabinen sind vergleichbar mit einer Art "Panic Room". Obwohl die Dokumentation immer ein wenig einen offiziellen Charakter hat - die UEFA war einer der Hauptauftraggeber des Films - könnte sie den Blick auf die einsamsten Männer in der Fußballwelt verändern.
Denn das Schiedsrichtercredo "Sei immer bereit für das Unerwartete!" gilt nicht nur für das Spiel selbst. "Referees at work" blickt auf den populärsten Sport der Welt, aber aus einer nahezu unbekannten Perspektive. Der Film macht deutlich, wie viel Arbeit hinter einer guten Schiedsrichterleistung steht, aber auch wie groß die Freude der Unparteiischen nach einer fehlerlosen Partie ist, wenn sie sich in der Kabine kreischend in den Armen liegen.
11 Freunde Edition, Volume 2: 6 Fussballklassiker, darunter "Referees at work" von Yves Hinant und Jean Libon, insgesamt rund 545 Minuten, 32-seitiges Booklet, Anbieter: Kinowelt.
Autor: Bernd Sobolla
Redaktion: Jochen Kürten