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Fußballspiele wieder mit Zuschauern?

18. Juni 2020

Die UEFA will im Juli entscheiden, ob in der Champions League sowie der Europa League noch in diesem Sommer wieder vor Zuschauern gespielt wird. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit warnt vor vollen Stadien.

Italien Fußball | Coppa Italia | FInale | Feier Fans SSC Neapel
Party auf den Straßen von Neapel - ohne Mundschutz und AbstandBild: Reuters/C. de Luca

Sie singen, sie hüpfen, sie liegen sich in den Armen. Tausende Fans des SSC Neapel feiern auf den Straßen der süditalienischen Stadt. In Sichtweite zum Vulkan Vesuv eruptieren die Emotionen. Napoli hat an diesem Mittwochabend im Finale des italienischen Pokals den Rivalen Juventus Turin im Elfmeterschießen mit 4:2 besiegt und den ersten Titel nach der Corona-Pause gewonnen. Weil sie nicht ins Final-Stadion nach Rom reisen durften, feiern sie eben auf den Straßen. Die Dramatik des Moments lässt alles vergessen: Die geltenden Abstandsregeln, die Maskenpflicht, die mehr als 34.000 Toten, die das Coronavirus in Italien gefordert hat. Die Sehnsucht der Fans nach der Freude am Spiel ist größer als alles andere.

Und das nicht nur in Neapel. Vielerorts hoffen Fans, bald wieder mit von der Partie sein zu dürfen. Am besten nicht nur bei der Party danach, sondern auch im Stadion. Beispiel deutsches Pokalfinale: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte beim Berliner Senat beantragt, zum Finale zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen im Olympiastadion am 4. Juli pro Klub 5000 Fans zuzulassen. Der Antrag wurde abgelehnt, Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen sind in Berlin derzeit untersagt.

"Die Dinge ändern sich sehr schnell" - zu schnell?

Doch der Fußball gibt die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr der Fans in die Stadien und die damit verbundenen Ticketeinnahmen nicht so schnell auf. Der Präsident der Europäischen Fußball-Union UEFA höchstselbst nährt sie: "Die Dinge ändern sich sehr schnell derzeit. Vor einem Monat konnte ich nicht mal beantworten, ob wir spielen", sagte Aleksander Ceferin bei der Verkündung des neuen Sommerfahrplans für Champions League und Europa League. Die Finalrunden der beiden Wettbewerbe sollen in Lissabon sowie in Nordrhein-Westfalen stattfinden. Währenddessen Ministerpräsident Armin Laschet ausschloss, dass in dieser Saison noch vor Publikum gespielt werde, und auch FC Bayern-Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge im ZDF-Interview dazu rät, in dieser Frage "ein bisschen geduldig sein", will die UEFA die Situation Anfang Juli "neu bewerten" und bis Mitte Juli entscheiden, ob zu den anstehenden Finalrunden wieder Fans ins Stadion dürfen. Dabei dürfte aber auch die Gesetzgebung der Gastgeberländer Portugal und Deutschland maßgeblich sein.

Der Hamburger Virologe Prof. Jonas Schmidt-Chanasit hat grundsätzlich Verständnis dafür, dass man angesichts gesunkener Fallzahlen nun mehr wagen möchte. "Und dennoch: Wir befinden uns noch immer in einer Pandemie. Wir haben es noch immer mit einem Virus zu tun, für das es weder einen Impfstoff noch hochwirksame Medikamente gibt. Deshalb ist es wichtig, dass wir vorsichtig bleiben", sagte Schmidt-Chanasit der DW. Er zählt zu den führenden Virologen Deutschlands und forscht am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Das Institut ist Deutschlands größte Forschungseinrichtung für Tropen-Erkrankungen und neu auftretende Infektionskrankheiten.

Nur wenige hundert Zuschauer im Stadion wären denkbar

Virologe Jonas Schmidt-Chanasit warnt vor zu vielen Zuschauern im StadionBild: Imago/Teutopress

Für ihn ist jede Ansammlung größerer Menschengruppen auch mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden, also auch Sportveranstaltungen wie Fußballspiele. Die Gefahr sei durchaus real: "Wir wissen, dass sich das Coronavirus über Tröpfchen verbreitet. Wenn wir singen, jubeln, schreien, stoßen wir diese Tröpfchen besonders stark und besonders weit aus. Andere Menschen können diese Tröpfchen dann einatmen und sich infizieren." Genau das geschah zum Beispiel nach einer Chorprobe in den USA oder einem Gottesdienst in Deutschland. Und auf einer Tribüne im Fußballstadien stehen die Menschen in der Regel noch deutlich enger beisammen als in der Kirche. Kann das also gut gehen?

Schmidt-Chanasit sagt: "Fußballspiele mit Publikum halte ich durchaus für möglich." Doch dann schränkt er ein: "Allerdings nicht mit tausenden, sondern eher mit einigen hundert Zuschauern. Fußballstadien sind ja im Schnitt mit rund 45.000 Plätzen ausgestattet. Eine solch geballte Menschenmenge erhöht das Infektionsrisiko in einer Pandemie erheblich", warnt der Virologe, der derzeit in zahlreichen TV-Talkshows die Auswirkungen der Pandemie veranschaulicht. Und er nennt auch eine konkrete Zahl an Fans, die er sich im Stadion wieder vorstellen kann. Sie wird die meisten Fußballanhänger allerdings enttäuschen: "Bei etwa 300 Gästen im Publikum ließe sich das Infektionsrisiko besser kontrollieren", meint Schmidt-Chanasit, der selbst Fan von Union Berlin ist und einräumt, dass mit so wenigen Fans im Stadion wohl kaum echte Stimmung aufkommen kann.

Wenn Fußballspiele zu Superspreading-Events werden

Riskantes Experiment: Partizan-Fans beim Belgrader Derby am 10. JuniBild: Reuters/M. Djurica

Die gab es zuletzt bereits, allerdings mit ungewissem Ausgang: Beim Belgrader Derby zwischen Partizan und Roter Stern waren 25.000 Fans im Stadion - dicht gedrängt wie eh und je, Pyrofackeln und Fangesänge inklusive. Noch ist unklar, welche Folgen das Spiel auf das lokale Infektionsgeschehen haben könnte. Es ist jedenfalls ein gewagtes Experiment. Denn anders als zu Beginn der Pandemie sollte inzwischen allen Beteiligten klar sein, welche Rolle Massenevents wie Fußballspiele mit Tausenden von Zuschauern bei der Ausbreitung des Coronavirus spielen können. Die Champions-League-Partien zwischen Bergamo und Valencia sowie zwischen Liverpool und Madrid trugen nach Einschätzungen von Experten zum starken Anstieg der Fallzahlen in den beteiligten Städten bei. Im Rückblick waren diese Fußballspiele Treiber der Infektionswelle in Europa.

Und genau das könnte erneut drohen, wenn schon im Sommer wieder Tausende Zuschauer in die Arenen strömen dürfen. Auch im Freien besteht aus Sicht von Schmidt-Chanasit Gefahr durch Aerosole, weshalb Abstandsregeln beachtet und ein Mundnasenschutz getragen werden sollten. Beides erscheint in einem vollbesetzten Stadion nicht realistisch. Doch nur so könne man vermeiden, "dass einzelne Infizierte womöglich eine größere Anzahl weiterer Menschen anstecken und ein so genanntes Superspreading-Event auslösen." Der Fußball sollte also gewarnt sein.

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