1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Fußballträume in Südkorea nach WM-Aus

Felix Lill aus Seoul
29. Juni 2018

Der koreanische Überraschungssieg hat dort auch politische Bedeutung. Nicht aus Rivalität zu Deutschland, sondern aus gefühlter Leidensgemeinschaft. In Korea denkt man dieser Tage sogar bei Fußball an Wiedervereinigung.

Südkorea -Seoul - Fussballfans
Bild: Reuters/K. Hong-Ji

Was für ein Gefühl muss das sein, wenn man sich in der Haut derer wähnt, die man gerade besiegt hat, bloß drei Jahrzehnte in die Vergangenheit versetzt? "Das fühlt sich irgendwie so an, als wären wir die Deutschen im Jahr 1990", lachte Hyomin Lee Mittwochnacht ungläubig, aber glücklich in einer Sportbar in Seoul. Gerade hatten ihre Südkoreaner den Weltmeister geschlagen, so wie es 1990 auch der DFB-Elf gegen den damals amtierenden Weltmeister aus Argentinien gelungen war. In jenem Sommer 1990 diskutierten die Deutschen, nach jahrzehntelanger Teilung, über die Wiedervereinigung zwischen West und Ost. "Ein bisschen so ist es jetzt ja auch hier bei uns!" rief Hyomin Lee gegen den tosenden Jubel an.

Zwar nur ein bisschen, aber immerhin: Während Deutschland mit dem 1:0-Triumph damals zum nächsten Weltmeister wurde, schieden die Südkoreaner am Mittwoch trotz ihres 2:0-Überraschungssieg aus dem Turnier aus. Auch beim Thema Wiedervereinigung sind die Unterschiede beträchtlich. In Berlin war 1990 die Mauer schon gefallen, Verhandlungen über den Einigungsvertrag standen kurz vorm Abschluss. Auf der koreanischen Halbinsel ist dagegen von Reiseerleichterungen bisher keine Rede. Vor zwei Monaten betrat erstmals ein nordkoreanisches Staatsoberhaupt überhaupt südkoreanischen Boden.

Historischer 2:0-Sieg über Weltmeister Deutschland zählt mehr als HeimreiseBild: Reuters/K. Hong-Ji

Ziel: Gesamtkoreanische Fußball-WM

Und dennoch: hochfliegende Zusammenhänge zu sehen gilt dieser Tage in Korea nicht als vermessen. Hyomin Lee, die in Seoul Deutsch studiert, ist auch nicht die einzige, die allzu gern Parallelen zwischen Deutschland und Korea bemüht. Zumal dann, wenn Sport eine Rolle spielt. Während der Olympischen Winterspiele von Pyeongchang im Februar, als im Fraueneishockey sogar ein gesamtkoreanisches Team an den Start ging, sprachen sowohl Nord- als auch Südkoreaner vermehrt von Annäherung und Wiedervereinigung. Vor kurzem wurde beschlossen, dass auch bei der Ostasienmeisterschaft im Judo ein gesamtkoreanisches Team antreten werde.

Die Fürsprecher solcher Projekte beziehen sich dann immer schnell auf die Erfahrungen der deutschen Teilung, um einen Zusammenhang zwischen Annäherung, Verständigung und Vereinigung zu betonen. Der südkoreanische Fußballverband kündigte schon kurz vor der WM an, das Turnier gern im Jahr 2030 veranstalten zu wollen, allerdings nicht alleine, sondern gemeinsam mit Nordkorea, China und Japan. Dieser Tage wiederholte Präsident Moon Jae In das Vorhaben, als er in Russland auf FIFA-Präsident Gianni Infantino traf. Laut der linksliberalen Tageszeitung "Hankyoreh" sagte Moon zu Infantino: "Als ich dich das erste Mal traf, sprach ich vom Gedanken, dass Süd- und Nordkorea bald zusammen die WM veranstalten könnten. Und das wird allmählich realistisch." Infantino soll seine Unterstützung zugesichert haben, denn so ein Turnier auf gesamtkoreanischem Boden, das könne nur Frieden bedeuten: "Die Vorbereitungen sollten sofort beginn", habe der FIFA-Präsident gesagt. "Ich bin da, wenn du mich brauchst."

Eine westdeutsche Mannschaft errang den WM-Sieg 1990, aber es war der erste WM-Titel für das wiedervereinigte Deutschland Bild: picture-alliance/dpa/F. Leonhardt

"Fußballer vom Militärdienst befreien"

Unterdessen könnte der südkoreanische Sieg vom Mittwoch auch in Nordkorea Anklang gefunden haben. Nordkoreanische Flüchtlinge im Süden berichten des Öfteren nicht nur, dass Fußball neben Volleyball und Tischtennis der beliebteste Sport ist, sondern auch, dass man als Koreaner immer ein koreanisches Team unterstütze. Laut mehreren Quellen sind die südkoreanischen Spiele der WM in Russland mit etwas Verzögerung auch im Norden gezeigt worden. Eine WM in ganz Korea wiederum wäre, abgesehen von den Konservativen im Süden, die jede Kooperation mit dem Norden ablehnen, wohl in beiden Ländern höchst populär.

Am Mittwoch ging der Jubel in Südkorea so weit, dass am Tag nach dem Spiel Dutzende Petitionen beim Präsidenten eingingen. Die Spieler sollten endlich vom für alle Männer verpflichtenden Militärdienst befreit werden. "Sie geben uns so viel Hoffnung", las sich einer der Aufrufe, "wir sollten ihr Talent nicht im Militär verschwenden." Waffen auf den Boden und Fußballschuhe an, so ähnlich hat es selbst Moon Jae In schon formuliert. Die WM will er auch deshalb nach Korea holen, weil Fußball "der fairste und demokratischste Sport" überhaupt sei. In der Sportbar in Seoul dachte auch Hyomin Lee laut darüber nach, was alles noch möglich wäre: "Wenn wir wirklich die WM kriegen, dann werden wir bestimmt ein Land." Man wisse wir doch aus Deutschland, dass so ein Turnier die Leute zusammenbringe.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen