Nicht alle Mumien sind so berühmt wie die von Tutanchamun, Ötzi oder Ata. Auch andere andere liefern wichtige Erkenntnisse, zum Beispiel über die vorspanische Zeit in Lateinamerika.
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Es ist alles andere als einfach, Mumienfunde wissenschaftlich einzuordnen. Eine in der St. Petersburger Eremitage gelagerte Mumie hielten die Forscher lange Zeit für eine Sängerin aus dem Alten Ägypten. Tatsächlich war es aber ein kastrierter Mann.
Ob Moorleichen, ägyptischer Pharao oder mongolischer Krieger: Nach jedem Mumienfund ranken sich Gerüchte um Herkunft und Todesursache. und manchmal glauben Forscher sogar, einen Alien entdeckt zu haben.
Bild: Reuters/M. abd el Ghany
Altägyptische Mumienmaske
In einer der ältesten und bedeutendsten Totenstädte Ägyptens fanden die Forscher aus Tübingen diese vergoldete Maske. Sie lag in einem beschädigten Holzsarg in Sakkara und ist mehr als 2.500 Jahre alt. Sie soll einem altägyptischen Priester aus der 26. Dynastie gehört haben. Auffallend sind die großen Augen.
Bild: Reuters/M. abd el Ghany
Ata
Liegt hier ein Außerirdischer? Diese Frage stellen sich viele, als der Körper 2003 in der chilenischen Atacama-Wüste gefunden wurde. Tatsächlich beschäftigte sich sogar ein Dokumentarfilm mit dem möglichen Alienfund. Aber die Gestalt war ein Mensch; anhand der Größe von nur 15 Zentimetern gehen die Forscher von einem frühgeborenen Fötus mit diversen Knochen- und Schädelfehlbildungen aus.
Bild: picture-alliance/dpa/Bhattacharya S et al./COLD SPRING HARBOR LABORATORY
Tutanchamun
1922 entdeckte der britische Ägyptologe Howard Carter im Tal der Könige in einem nahezu ungeplünderten Grab die Mumie des Pharaos Tutanchamun. Jahrzehntelang spekulierten Forscher, ob der Kindskönig ermordet wurde - bis eine Untersuchung im Computertomographen 2005 mehrere Brüche nachwies, die nahelegten, dass Tutanchamun an den Folgen eines Jagdunfalls starb.
Bild: picture-alliance/dpa/epa/AP/B. Curtis
Rosalia Lombardo
Seit fast 100 Jahren liegt Rosalia in der Kapuzinergruft in Palermo, sie starb kurz vor ihrem zweiten Geburtstag an der Spanischen Grippe. Das Mädchen sieht aus, als schlafe es nur und gilt als schönste Mumie der Welt. Ihr Einbalsamierer überlieferte der Nachwelt nicht, wie es ihm gelang, ihr Antlitz derart zu erhalten. Aber Forscher fanden heraus, dass Alfredo Salafia Formaldehyd nutzte.
In Palermo ist aber nicht nur die schönste Mumie der Welt zu sehen, sondern auch Schauriges: In den Katakomben des Kapuzinerklosters ließen sich die besser Betuchten früher in ihren Kleidern bestatten. Als die Ordensbrüder um 1600 feststellten, dass die Leichname kaum verwest waren, stellte man sie an den Wänden auf, wo sie heute besichtigt werden können.
Bild: picture-alliance/dpa/H. Brix
Ötzi
1991 entdeckte ein Ehepaar aus Nürnberg beim Wandern eine Gletschermumie in den Ötztaler Alpen (daher der Name). Im Jahr 2000 untersuchten Wissenschaftler die durch natürliche Gefriertrocknung konservierten Überreste des Steinzeitmanns, um die Todesursache zu klären. Vermutlich starb der zwischen 3359 und 3105 v. Chr. geborene Mann durch eine Pfeilattacke.
Bild: AP
Skythen-Krieger
Nur etwa halb so alt wie Ötzi ist dieser 2003 von einem internationalen Forschungsteam in der Mongolei entdeckten Skythen-Krieger. Das indoeuropäische Reitervolk lebte in den weiten Steppen Eurasiens. Diese durch Eis konservierte Mumie war in einen Pelz aus Murmeltierfell und Filzstiefel gekleidet.
1900 von einem Torfstecher entdeckt, ist der Mann von Neu Versen die berühmteste der bis heute in Niedersachsen entdeckten 60 Moorleichen. Durch die Inhaltsstoffe des Moores färbten sich die Haare des Leichnams im Laufe von rund 1700 Jahren rot, was ihm Spitznamen "Der rote Franz" einbrachte. Die Humussäure des Moores hatte den Körper konserviert.
Bild: cc-by-Axel Hindemith
Die Detmolder Kindermumie
Diese Babymumie stammt aus Peru. Benannt ist sie allerdings nach dem Lippischen Landesmuseum in Detmold, das sie 1987 zur fachgerechten Konservierung erhalten hatte. Das Kind, das an einem Herzfehler starb, ist eine der ältesten Mumien der Welt: mit über 6500 Jahren ist sie sogar älter als Tutanchamun und Ötzi.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
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Vorspanische Geschichte
Zuletzt wurde in Peru eine gut erhaltene Mumie gefunden. Als ein Forschungsteam der Universität San Marcos Ausgrabungen auf dem Cajamarquilla-Komplex in der Nähe der peruanischen Hauptstadt Lima durchführten, stießen sie unter dem Marktplatz eines Dorfes auf die Leiche. Sie könnte bis zu 1200 Jahre alt sein, also vor der Zeit des Inkareiches vom 13. bis zum 16. Jahrhundert datieren.
Ein "ungewöhnlicher und einzigartiger" Fund, so der leitende Archäologe Pieter Van Dalen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Zum Todeszeitpunkt sei der Mann zwischen 18 bis 22 Jahre alt gewesen, teilten die Archäologen mit. Verschiedene andere Funde in der Grabkammer könnten darauf hinweisen, dass er ein bedeutender Mann - vielleicht ein Händler - gewesen sein könnte. Das Skelett eines Meerschweinchens und eines Hundes sowie Spuren von Mais und anderem Gemüse können Geschenke für den Toten gewesen sein.
Für europäische Augen befremdlich ist die embryonale Haltung: Der Leichnam ist in Stoffe eingewickelt und mit Seilen fixiert. Dies sei in der Zeit von 600 bis 1000 nach Christus in dieser Region aber eine durchaus übliche Praxis zum Begraben gewesen, so Prof. Dr. Markus Reindel vom Deutschen Archäologischen Institut. "Solche Mumienfunde sind nicht selten”, sagt Prof. Dr. Markus Reindel, der selbst viel zu dem etwa zeitgleich lebenden Volk der Nasca gearbeitet hat: "Aber eine gut erhaltene Mumie zu finden, bietet immer viele Möglichkeiten für neue Erkenntnisse.”
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Mumie ist nicht gleich Mumie
Allgemein gilt als Mumie, wer nach dem Tod von der Verwesung verschont bleibt; unterschieden wird dabei zwischen Mumifizierung und Mumifikation. Ersteres bezeichnet ein künstliches Verfahren, das zweite einen natürlichen Prozess. Entscheidend ist in beiden Fällen, die vor allem durch Bakterien bewirkte Zerstörung des Weichgewebes zu unterbinden.
Beim künstlichen Prozess werden die inneren Organe entfernt.Im Alten Ägypten stopfte man die leere Bauchhöhle anschließend mit Kräutern aus. Zur Einbalsamierung war Natron das Mittel der Wahl, weil es dem Körper Flüssigkeit entzog. Nachdem der Leichnam mit parfümierten Ölen eingerieben wurde, wickelte man ihn in Leinenbinden. In anderen Gegenden kamen auch Ziegenfelle zur Anwendung. Heute sind bei der Einbalsamierung Formalinlösungen gängig.
Kälte und Hitze halten Bakterien in Schach
Beim natürlichen Prozess mumifiziert sich der Körper quasi im Alleingang: Bei anhaltender Kälte oder trockener Hitze können die den Körper zersetzenden Bakterien nicht arbeiten, er bleibt also weitgehend erhalten. Das wohl bekannteste Beispiel einer Mumifikation ist die Eismumie Ötzi. Auch der neueste Fund in Peru ist durch die Mumifikation so gut erhalten: die extreme Trockenheit hat die Leiche im Sand konserviert.
Wie Ötzi seit 30 Jahren fasziniert
Vor 30 Jahren entdeckte ein Ehepaar die berühmteste Gletschermumie der Welt. Neben vielen Erkenntnissen hat Ötzi auch zu mancher Kuriosität beigetragen.
Bild: Picture-alliance/dpa/M. Rattini/Port au Prince Pictures
Sensationeller Fund
Am 19.09.1991 fanden die Eheleute Erika und Helmut Simon im Ötztal einen eingefrorenen Menschen. Nach Tagen stellte sich heraus, dass es sich um eine Sensation handelte, denn der Ötzi war kein verunglückter Wanderer, sondern ein Steinzeitmensch, der bereits seit 5300 Jahren tot war. Jürgen Vogel spielte ihn Jahre später im Film "Der Mann aus dem Eis" (Bild).
Bild: Picture-alliance/dpa/M. Rattini/Port au Prince Pictures
Finderlohn und Besucheransturm
175.000 Euro Finderlohn erhielt Erika Lemke nach jahrelangen Verhandlungen von der Provinz Südtirol. Ihr Mann lebte da schon nicht mehr, weil er bei einer Bergwanderung verunglückt war. Abergläubische sprachen sogleich von "Ötzis Fluch". Das Geld war indes gut angelegt, immerhin zählte das Archäologische Museum in Bozen vor Corona jährlich 300.000 Besucherinnen und Besucher, die für Ötzi kamen.
Bild: Robert Parigger/APA/dpa/picture alliance
Aufwendiger Aufenthalt
Ob sich Ötzi das Nachleben so vorgestellt hat? Im Museum wird er in einer Kühlkammer aufbewahrt, die Luftfeuchtigkeit beträgt dort 99 Prozent, regelmäßig wird er mit sterilem Wasser besprüht. Eine Präzisionswaage meldet, falls es Veränderungen gibt. Für weitere Untersuchungen aufgetaut wird die Mumie nur selten und so kurz wie möglich. So wie hier abgebildet soll Ötzi übrigens ausgesehen haben.
Bild: dapd
Streit zwischen Italien und Österreich
Sobald feststand, um welch einen Fund es sich handelte, brach Streit zwischen Österreich und Italien aus - beide erhoben Anspruch auf die Mumie: Lag der Fundort auf österreichischem oder italienischem Boden? Die Entscheidung war knapp: Eine neue Vermessung ergab, dass Ötzi 92,56 Meter hinter der Grenze auf italienischem Boden entdeckt wurde.
Bild: AP
Zufällig in der Gegend
Die Entscheidung pro Italien schrieb sich auch Bergsteiger Reinhold Messner auf die Fahne, der sich während des Ötzi-Fundes in der Gegend aufhielt und an der Vermessung mitwirkte. Messner ließ sich auch mit der Mumie fotografieren, als die noch halb im Eis feststeckte. Mit seiner fachkundigen Einschätzung, die Mumie sei mindestens 500 Jahre alt, lag er zwar richtig, aber gleichzeitig weit daneben.
Ötzi hatte 61 Tattoos - keine Bilder, wie wir sie heute kennen, sondern Kreuze und Striche. Der Steinzeittätowierer schnitt Ötzi in die Haut und füllte die Wunden später mit Steinkohle. Klingt schmerzhaft. Getötet wurde Ötzi allerdings durch einen Schuss in die Schulter. Ein Pfeil steckte noch in seinem Rücken.
Auch Oscar-Preisträger Brad Pitt ziert seinen Körper gerne mit Tattoos und lässt sich auf der Suche nach neuen Motiven offenbar überall inspirieren. Auf dem linken Unterarm trägt Pitt nämlich seit einigen Jahren die Silhouette von Ötzi. Ob er mit diesem Namen etwas anzufangen weiß, darf dagegen bezweifelt werden, in den USA ist die Feuchtmumie nämlich nur als "Frozen Fritz" bekannt.
Bild: Aurore Marechal/ABACA/picture alliance
Trittbrettfahrerinnen und Trittbrettfahrer
Manche Menschen kennen im Streben nach Aufmerksamkeit keine Grenzen. Eine Deutsche behauptete jahrelang, Ötzis Wiedergeburt zu sein. Selbst zu einem früheren offiziellen Fund-Jubiläum wurde ein angeblich genetisch mit Ötzi verwandter Schweizer vorgestellt. Auch der hier abgebildete Zeitgenosse profitierte von Ötzi, indem er sich für die eigene Bekanntheit den Namen des Steinzeitmenschen zulegte.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Düren
Detaillierte Forschung
Durch eine Untersuchung des Mageninhalts konnte man sogar herausfinden, was Ötzi kurz vor seinem Tot gegessen hatte. Seine letzte Mahlzeit war fettig und reichhaltig. Sie bestand unter anderem aus Einkorn, einem frühen Getreide, und aus Fleisch von einem Ziegenbock.
Bild: picture-alliance/dpa/EURAC/Marco Samadelli
Moderne Krankheiten
Ötzi hatte viele gesundheitliche Probleme, die auch heute noch Patientinnen und Patienten quälen. Er hatte Karies, eine Zeckenborreliose und musste sich mit Flöhen herumschlagen. Er war laktoseintolerant und hatte eine Raucherlunge durch zu viel Zeit am Lagerfeuer. Ötzi litt zudem an einer Heliobacter Mageninfektion und an Herz-Kreislaufproblemen.
Bild: picture alliance/dpa
Ötzi mal zwei
Die Steinzeitmumie war ein einmaliger Fund. Aber damit noch mehr Menschen etwas vom Ötzi haben, wurde er im April 2016 kopiert. Mithilfe eines 3D-Druckers stellten Forschende in Bozen einen zweiten Ötzi aus Harz her, der dann vom US-Paläokünstler Gary Staab (im Bild) perfektioniert wurde. Die Kopie ging an das DNA Learning Center des Cold Spring Harbor Labors im US-Bundesstaat New York.
Der Fundort Cajamarquilla war eine Siedlung mit 10.000 bis 20.000 Einwohnern, um 200 vor Christus entstanden und bis etwa 1500 bewohnt. "Die Entdeckung dieses Einwohners wirft neues Licht auf die Sitten und sozialen Beziehungen der prähispanischen Zeit", sagt Ausgrabungsleiter Pieter Van Dalen Luna gegenüber dem Nachrichtensender CNN. Für Archäologen in Lateinamerika birgt ein Mumienfund immer viel Potential, da für die vorspanische Zeit ansonsten keine schriftlichen Quellen zur Verfügung stehen.
Neben neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse faszinieren Mumienfunde die Menschen auch durch einen gewissen Gruselfaktor. Und "sie triggern wohl den Dreiklang von Mumie, Gold und Abenteuer”, meint Prof. Dr. Markus Reindel. Wissenschaftlich gesehen werde es aber erst jetzt nach dem Fund richtig spannend: "Mit modernen Mitteln analysiert, etwa mit DNA- und Isotopen-Analyse, kann das sehr interessant werden."