Furcht vor Abriss von Atomkraftwerken
7. November 2012Zuletzt hat das Unternehmen Vattenfall als Betreiber des Kernkraftwerks Brunsbüttel beim Umweltministerium von Schleswig Holstein den Antrag zum Abriss gestellt. Der Reaktor wurde bereits im Jahr 2011 abgeschaltet. Kurz zuvor hatte sich die Bundesregierung entschlossen, aus der Atomkraft auszusteigen. Die gesamte Anlage soll nicht mit einem Beton-Sarg versiegelt, sondern komplett entsorgt werden.
Erfahrung mit dem Rückbau von Atomkraftwerken hat man in Deutschland schon gesammelt. Vollständig demontiert wurde in Bayern bereits das AKW Niederaichbach. Die Kernkraftanlage Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern gilt weltweit als das größte Stilllegungsprojekt. Abgeschaltet wurde Greifswald bereits 1990. Erst jetzt, 22 Jahre später, sollen die Abbrucharbeiten beendet werden. Rund 10.000 Mitarbeiter waren damit beschäftigt, radioaktive Teile abzubauen.
Im Jahr 2014 soll das AKW Würgassen in Nordrhein Westfalen beseitigt sein. Ein Jahr später wird nach Angaben des Betreibers E.ON das Kraftwerk Stade folgen. In zehn Jahren rechnet man mit dem Abschluss der Arbeiten beim AKW Obrigheim in Baden-Württemberg.
Abriss wird als Routinemaßnahme bezeichnet
"Die technischen Verfahren zum Abbau eines Atomkraftwerks sind entwickelt und sicher", erklärte der Präsident des Deutschen Atomforums, Dr. Ralf Güldner, gegenüber der Deutschen Welle. Das Atomforum ist die Interessenvertretung der deutschen Atomindustrie. Ralf Güldner beschreibt den Abriss eines Atommeilers als ganz normalen Routineprozess. Danach würden zuerst die nicht nuklearen Teile des Meilers abgebaut, ehe die leicht kontaminierten Anlagenteile des Kontrollbereichs, die Brennstäbe und zuletzt die Versorgungssysteme entfernt werden.
Jeder einzelne Schritt sei durch Genehmigungen abgedeckt und werde von Gutachtern technischer Überwachungsvereine und der Atomaufsicht überwacht. Tatsächlich schreibt das Strahlenschutzgesetz strenge Sicherheitsvorkehrungen während der Abrissarbeiten vor wie eine lückenlose Kontrolle der Luft und Abwassersysteme. Drei bis fünf Jahre sind alleine dem so genannten "Nachbetrieb“ zugesichert, damit die Brennstäbe, die Herzstücke eines jeden Reaktors, wirklich abkühlen können. Immerhin machen diese Brennstäbe 99 Prozent der gesamten Radioaktivität in einer Atomanlage aus.
Bauteile aus Atomkraftwerken dürfen wieder verwendet werden
Viele Anwohner sind skeptisch. Sie trauen den Sicherungsmaßnahmen nicht. In unmittelbarer Nähe der Atommeiler begleiten sie den Abriss in Bürgerinitiativen. Sie lassen sich Akten zeigen, kontrollieren ihrerseits Abbrucharbeiten und Transporte. So engagiert sich zum Beispiel Elke Sodemann-Müller, die mit ihren Nachbarn den Rückbau des AKW Mülheim-Kärlich bei Koblenz verfolgt. "Wir wollen vor allem vermeiden, dass in großen Mengen radioaktiv verstrahlte Teile aus einem Atomkraftwerk wieder in den normalen Stoffkreislauf kommen.“
Die Eigentümer der Kraftwerke dürfen ausrangierte Bauteile tatsächlich wieder verkaufen. Mehrere hundert Kilometer Kupferkabel und bis zu 300.000 Tonnen Stahl fallen beim Abriss eines Kernkraftwerks an. Weil der Abriss eines Atommeilers bis zu 500 Millionen Euro kostet, hat der Betreiber natürlich ein Interesse daran, möglichst viel zu verkaufen. Das räumt auch Ralf Güldner vom Deutschen Atomforum ein, sieht darin aber kein Problem, wenn alle Auflagen beachtet würden.
Bratpfannen aus radioaktiv verseuchtem Stahl ?
Das Strahlenschutzgesetz schreibt vor, dass alle Dinge, die ein Atomkraftwerk verlassen, einen bestimmten Strahlenwert nicht überschreiten dürfen. Bauteile einer Anlage werden deshalb aufwendig vor Ort auseinandergenommen und in speziellen "Waschanlagen“ von radioaktiven Partikeln auf den Oberflächen gereinigt. "Ständig werden die Strahlenwerte dabei gemessen“, so Ralf Güldner vom Atomforum. Bratpfannen aus radioaktivem Stahl seien bei allen Auflagen und Behördenkontrollen nicht vorstellbar.
Jan Becker, Sprecher der Initiative "Contratom“ kritisiert jedoch, dass später niemand mehr das zum Recycling frei gegebene Material kontrolliere, wenn die Betreiber beim Ausbau die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte festgestellt hätten: "Es ist medizinisch umstritten, ob nicht auch Niedrigstrahlung die Gesundheit stark gefährdet“, gibt Becker zu bedenken. Er vermutet: "Grenzwerte sollen Sicherheit nur suggerieren." Becker und seine Mitstreiter verweisen darauf, dass weltweit immer mehr radiaktiv verseuchter Stahl auftauche. Tatsächlich befasst sich die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien mit diesen Fällen. Viele Bewohner eines Hochhauses in Taiwan waren vor Jahren an Krebs erkrankt, weil radioaktiver Baustahl verwendet worden war. Obwohl dieser Stahl nur in niedrigen Werten strahlte, starben über 60 Menschen, wie ein Forscherteam der National Yang Ming Universität herausfand.
Bürgerbegleitung erfüllt wichtige Zusatzkontrolle
Die Verantwortlichen für den Abriss deutscher Kernkraftwerke verbitten sich solche Anspielungen und Vergleiche. Die angeführten Beispiele beträfen Stahl aus Indien und China. Die atomkritischen Aktivisten Jan Becker und Elke Sodemann-Müller können denn auch keine ähnlichen Fälle mit deutschem Stahl oder gefährliche Abriss-Pannen beweisen. Aber die internationalen Vorfälle zeigen auf, wie berechtigt eine wachsame Bürgerbegleitung ist.
"Wir wollen vermeiden, dass so etwas bei uns passiert“, und "die Betreiber sollen ruhig wissen, dass sie nicht einfach machen können, was sie wollen“ sind Sätze, die in den atomkritischen Gruppen zu hören sind. Mitglieder der Bürgerinitative in Mülheim-Kärlich seien vor Jahren noch als "Staatsfeinde" und sogar als "Terroristen" beschimpft worden. Inzwischen habe sich die Situation sehr geändert, berichtet Elke Sodemann-Müller. Man sei geachteter Gesprächspartner und werde auch zu Besuchen ins Kraftwerk eingeladen, um den Stand der Abbrucharbeiten zu besichtigen. Jüngst stimmte sogar der Umweltminister des Bundeslandes Niedersachsen den Kritikern zu, die argumentierten, dass die Zwischenlager schwach radioaktiver Materialien nicht terrorsicher seien. Gefordert wurden 16 Meter hohe Mauern rund um Spezialbehälter mit radioaktivem Schrott. Bis auf einige Bauanträge, die eingereicht wurden, ist aber bis heute nichts geschehen.