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"Furchtbares, aber auch Fruchtbares"

Das Gespräch führte Jan Bruck2. Dezember 2012

Das Leo Baeck Institut in New York hat die weltweit umfangreichste Sammlung zu deutsch-jüdischer Geschichte. Die ist auch eine von großen gemeinsamen Erfolgen, meint die Leiterin Carol Kahn Strauss.

Carol Kahn Strauss, Leiterin des Leo Baeck Instituts für deutsch-jüdische Geschichte in New York (Foto: DW/Jan Bruck)
Bild: DW/J.Bruck

Das Leo Baeck Institut wurde 1955 unter anderem von Hannah Arendt und Martin Buber gegründet. Es hat Niederlassungen in New York, London, Jerusalem und seit 2001 auch im Jüdischen Museum in Berlin. Es ist benannt nach dem Rabbiner Leo Baeck, der von der Weimarer Republik bis in die Nazi-Zeit ein hochrangiger Vertreter des Judentums in Deutschland war, später ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt wurde, den Holocaust überlebte und nach dem Krieg in die USA emigrierte. Die Einrichtung hat sich die Erforschung und Dokumentation der Geschichte deutschsprachiger Juden vom 17. Jahrhundert bis heute zur Aufgabe gemacht. Im Interview spricht Carol Kahn Strauss über das Verschwinden deutsch-jüdischer Kultur in den USA und ihre Relevanz für die deutsche Geschichte.

Deutsche Welle: Frau Kahn Strauss, während des Holocaust flohen über 100.000 deutsche Juden in die USA, viele davon nach New York. Es gab ein deutsch-jüdisches Viertel in Washington Heights, in dem sie bei deutschen Bäckereien und Metzgereien einkauften, in deutschsprachige Gottesdienste gingen und die deutsch-jüdische Zeitung "Aufbau" lasen. Was ist von dieser Kultur noch zu spüren?

Sie existiert nicht mehr. Von den deutschen Juden in New York ist nicht mehr viel übrig, wir sind alle Amerikaner. Den "Aufbau" gibt es nicht mehr, die meisten deutsch-jüdischen Geschäfte haben dicht gemacht. Washington Heights ist heute stark von dominikanischen Einwanderern geprägt. Nein, die deutsch-jüdische Kultur ist hier nicht mehr sichtbar. Historisch gesehen ist aber vieles aus der deutsch-jüdischen Kultur in den amerikanischen Mainstream eingegangen, sei es im Film, in der Musik oder in der Architektur. Wir sitzen hier einer Wand mit Porträts von deutsch-jüdischen Nobelpreisträgern gegenüber, die in Amerika gelebt und gearbeitet haben. Der Einfluss ist sehr weitreichend.

Was ist mit der zweiten und dritten Generation, den Kindern und Enkelkindern der deutsch-jüdischen Einwanderer? Haben die einen Bezug zu diesem Erbe?

Keinen, außer dass sie einen EU-Pass haben wollen, um in Europa zu studieren und zu arbeiten. Sie sind Amerikaner, that's it.

Was bedeutet diese Entwicklung für das Leo Baeck Institut. Ist New York noch der richtige Ort für Sie?

Ich denke, alles hat seine Zeit. Die amerikanische Phase des Leo Baeck Instituts, und das ist nur meine persönliche Meinung, ist vorbei. Ich glaube, dass unser Archiv und unsere Sammlungen irgendwann komplett im Jüdischen Museum in Berlin untergebracht werden sollten. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, uns daran zu erinnern, dass deutsche Juden bis zu den Nürnberger Gesetzen 1935 volle deutsche Staatsbürger waren. Sie sind ein Teil deutscher Geschichte, genau wie unsere Bestände.

4000 Wissenschaftler kommen pro Jahr, um im Archiv des Leo-Baeck-Instituts zu forschenBild: DW/J.Bruck

Ihr Institut finanziert sich zum großen Teil aus Spenden. Können Sie die jüngeren Generationen für Ihre Arbeit begeistern?

Geschichte verkauft sich nicht gut. Ohne die Unterstützung von großen Institutionen könnten wir mittlerweile gar nicht überleben. Die Leute spenden nicht für alte Bücher, da geht niemandem das Herz und das Portemonnaie auf. Wir müssen neue Wege der Finanzierung finden. Früher haben uns viele deutsche Juden in ihrem Testament berücksichtigt. Von denen gibt es aber immer weniger. Nachlässe sind keine verlässliche Budgetgröße.

Gibt es von Seiten der deutschen Regierung und der deutschen Öffentlichkeit Interesse an dem, was Sie tun?

Ja, und das Interesse wird größer. Die deutsche Bundesregierung hat uns immer sehr viel unterstützt. Ich reise oft zu Veranstaltungen nach Deutschland und ich weiß, dass das Interesse auch bei den Leuten sehr, sehr groß ist. Und es könnte noch größer sein, wenn wir besser auf uns aufmerksam machen würden. Wir müssen den Menschen klar machen, dass Juden von 1870 bis 1933 nirgendwo in Europa besser gelebt haben als in Deutschland. Die Erfolge in Wissenschaft, Musik, Literatur und vielen anderen Bereichen werden oft von den Gräueltaten der Folgezeit überschattet. Die Wahrheit aber ist, dass dieses Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte sehr positiv ist. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bei der Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin gesagt: "Man muss sich nicht nur an das Furchtbare erinnern, sondern auch an das Fruchtbare." Für mich trifft dieses Zitat den Kern unserer Arbeit am Leo-Baeck-Institut.

Welchen Herausforderungen sehen Sie sich in der Zukunft gegenüber? Was bleibt noch zu tun?

Es gibt so viele jüngere Menschen, die sich für unsere Themen interessieren. Wir müssen uns überlegen, wie wir deutsch-jüdische Geschichte sozusagen verpacken und vermarkten können. Wir sehen ja an den vielen Filmen, Büchern und Theaterstücken zu dem Thema, dass das Interesse immens ist. Wir sind seit über einem halben Jahrhundert die Experten für deutsch-jüdische Geschichte. Jetzt müssen wir sie den Menschen auch erzählen.

Carol Kahn Strauss ist seit 1994 geschäftsführende Direktorin des Leo Back Instituts. Die heute 62-Jährige wurde als Tochter deutsch-jüdischer Einwanderer in New York geboren. Sie studierte Politikwissenschaft an der Columbia University und hat einen Master in Internationale Beziehungen vom Hunter College. Kahn Strauss war lange Zeit Vorsitzende der deutsch-jüdisch geprägten Gemeinde Habonim in New York.

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