Furtwängler Preis an Zubin Mehta verliehen
12. September 2011 Zubin Mehta gilt als einer der weltweit bedeutendsten Künstler unserer Zeit. Der aus Bombay (Indien) stammende Dirigent leitet seit den 1960er-Jahre die wichtigsten internationalen Orchester, von Tel Aviv über München bis Los Angeles und arbeitet an den bedeutendsten Opernhäusern der Welt. Ganz besonders verbunden ist Zubin Mehta dem Israel Philharmonic Orchestra, das ihm die "Leitung auf Lebenszeit" übertragen hat. Bei allen musikalischen Erfolgen, hat Zubin Mehta nie sein soziales Engagament vergessen. Er kümmert sich um die Musikausbildung der Kinder in Indien und Israel, und gibt Benefizkonzerte, wie zuletzt für die Opfer der Atom-Katastrophe in Fukushima. Den Furtwängler-Preis erhält Zubin Mehta daher für "sein musikalisches wie gesellschaftliches Engagement", sagte Beethovenfest-Intendantin Ilona Schmiel. Mit der DW hat der Star-Dirigent Zubin Mehta über seine Wahlheimat Israel, seine Furtwängler-Affinität und über die jüngsten Vorfälle in London gesprochen, wo sein Konzert von pro-palästinischem Protest gestört wurde.
Deutsche Welle: Heute ist der 11. September. Ein Tag, an dem man sich nur eins wünscht: dass es friedlich bleibt und nichts passiert?
Ich bin kein Fatalist in dem Sinn. Ich denke nur positiv. Es wird nichts passieren. Heute werden tausende von Konzerten stattfinden ,überall in der Welt. Während der Dauer dieser Konzerte wird jeweils Frieden herrschen. Und so viele tausend mal Frieden zählt sehr viel. Man darf die Macht der Musik nie unterschätzen.
Ihnen wird heute der Furtwängler-Preis überreicht..
Das ist eine ganz große Ehre. Ich finde es völlig unnötig, dass man mich besonders auszeichnet. Ich bin ein Musiker, ich musiziere mit meinem Lieblingsorchester, und das ist mir genug. Jedes Konzert ist ein Preis und ein Geschenk für mich. Das genügt.
Was bedeutet für sie die Figur des Künstlers Furtwängler?
Mit Furtwängler und seinen Platten bin ich in Indien aufgewachsen. Mein Vater - er war ein Geiger und hat das Orchester in Bombay gegründet - hat einmal im Jahre 1953 eine Halle angemietet und eine Gesellschaft zusammengerufen. Keiner wusste, wieso und warum. Und dann haben wir den ganzen Abend die Aufnahme von "Tristan und Isolde" dirigiert von Furtwängler gehört. Wir hatten keine Ahnung, was "Tristan und Isolde" ist. Wir hatten keine Partitur, nie den Text gelesen. Aber wir haben zugehört und waren angetan - nur von der Musik, weil sonst haben wir nichts verstanden. Auch die Wagnersche Revolution haben wir nur gespürt - nicht verstanden.
In Ihrer Wahlheimat Israel wachsen seit vielen Jahren ganze Generationen auf, die Wagner auch nur von Aufnahmen her kennt...
Das stimmt nicht ganz. Das israelische Radio - und das ist ein staatliches Radio - hat immer Wagner gespielt. Und Wagner wird an den Hochschulen unterrichtet. Alles hat damit angefangen, dass ich 1981 gewagt habe, Wagner nach einem Konzert zu spielen, als Zugabe. Es ist mir damals nicht gelungen. Ich habe es zwar durchgespielt, das Orchester war tapfer genug, aber am nächsten Tag kamen die ganzen Gegner mit geballter Kraft.
Gerade hat ein anderes israelisches Orchester Wagner in Bayreuth gespielt. Dabei haben die Musiker auf israelischen Boden diese Musik nicht einmal geprobt, die Proben fanden in Bayreuth statt.
Ich bin damit nicht einverstanden. Das habe ich auch dem Dirigenten gesagt, meinem Freund Roberto Paternostro,: "Wenn du endlich Wagner machen willst, was ich sehr unterstütze, dann spiele ihn in Israel. Nicht heimlich außhalb. Das ist meiner Meinung nach scheinheilig.
Sie bezeichnen das Israel Philharmonic Orchestra als ihr "Lieblingsorchester". Sie arbeiten mit dem Orchester seit unglaublichen 50 Jahren zusammen und sind von dem Musikern zum "Chefdirigenten auf Lebzeit" ernannt worden. Wie kam es zu einer so großen Liebe?
Ich bin eine Art Vaterfigur, sowohl musikalisch als auch nicht musikalisch. Weil ich mittlerweile 100% der Musiker auch selbst engagiert habe (natürlich, demokratisch, mit Orchesterrat). Egoistisch gesagt: das Orchester trägt meinen Stempel, ob man das liebt oder nicht.
Geboren in Bombay, ausgebildet in Wien, zur Zeit in Los Angeles und in Florenz zu Hause, sagen Sie, Sie sind von Israel adoptiert worden. Wo ist denn Ihre wahre Heimat?
Irgendwie überall, aber Heimat ist Indien, kein Zweifel. Wenn ich in Bombay lande, bin ich endlich wieder zuhause. Aber ich bin auch in Tel Aviv und in Los Angeles zuhause, überhaupt in Amerika, wo ich seit 30 Jahren musiziert und viel gelernt habe. Florenz hat mich auch vor über 25 Jahren adoptiert, und jetzt habe ich jeden Sommer noch ein Festival in Valencia. Es ist also ein Triangel zwischen Los Angeles, Israel und Florenz.
Sie bezeichnen das Israel Philharmonic als ein "tapferes Orchester". Mut muss das Orchester immer wieder beweisen: etwa gerade bei den Proms in London, wo das Konzert von protestierenden Pro-Palästinenser-Gruppen massiv gestört wurde und die Übertragung im britischen Radiosender BBC unterbrochen werden musste..
Ja, das war ziemlich schockierend. Aber wir sind würdig und stumm auf der Bühne geblieben. Wir haben das erste Stück durchgespielt, die "Passacaglia" von Webern - kein leichtes Stück zum Konzentrieren, aber wir haben nicht nachgegeben. Das Stück dauert 10 oder 12 Minuten. Aber als man die erste Gruppe rausgeschmissen hatte, waren andere Gruppen da, und die haben noch vier weitere Male angefangen zu stören! Sie haben alle Karten gekauft und haben es, von deren Punkt aus gesehen, sehr gut organisiert. Aber das Publikum in der Royal Albert Hall - und das sind sechs tausend Leute! - die haben zurückgeschrien. Auch wenn ich persönlich glaube, es solle ein Palästina geben: Das ist nicht die Art, es zu verlangen. Das ist "self defeating", das ist kontraproduktiv.
Sie haben 1961 zum ersten Mal Israel besucht und dieses Orchester dirigiert. Wenn Sie auf die vergangenen Jahre, immerhin ein halbes Jahrhundert, zurückblicken und vergleichen: Haben Sie jetzt mehr Hoffnung auf eine friedliche Lösung als damals? Oder eher weniger?
Damals war Israel seelisch und moralisch überall in der Welt in einer stärkeren Situation. Auch nach dem Sechs-Tage-Krieg und dem Jom-Kippur-Krieg - in diesen Kriegen wurde Israel von überall her attackiert! Jetzt herrscht in Israel ein gewisser Status Quo, jede Seite - palästinensische und israelische - wartet darauf, wer als erster nachgibt. Das ist "Macho-Gehabe", das viel mit Eitelkeiten zu tun hat. Man muss endlich reden, ohne Bedingungen zu stellen. Einfach an den Tisch kommen und reden, bis es eine Lösung gibt.
Glauben Sie, Frauen könnten da bessere Verhandlungspartnerinnen sein?
Warum nicht? Sie haben eine wunderbare Frau hier in Deutschland an der Spitze, wir haben Frau Ghandi gehabt. Das ist keine schlechte Idee!
Sie waren 8 Jahre lang, von 1998 bis 2006, Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Den Posten haben Sie mit der Begründung verlassen, mehr Freizeit haben zu wollen. Haben Sie nun mehr Freizeit?
Jetzt reden Sie wie meine Frau! Nein, habe ich nicht. Aber ich habe acht sehr glückliche Jahre an der Bayerischen Staatsoper verbracht, und übernächstes Jahr wird ein Traum von mir wahr: Ich gehe für drei Wochen nach München und dirigiere alle Orchester dort - das Bayerische Staatsorchester, die Münchener Philharmoniker und das Orchester des Bayerischen Rundfunks. Ich freue mich sehr, denn ich liebe die Stadt.
Interview: Anastassia Boutsko / mb
Redaktion: Rick Fulker