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Literatur

Vatikan: "Enthüllungsbuch" sorgt für Schlagzeilen

12. Januar 2023

Vor einer Woche erst wurde der emeritierte Papst Benedikt XVI. bestattet. Jetzt enthüllen Memoiren seines langjährigen Privatsekretärs Georg Gänswein Spannungen zwischen den beiden Päpsten Benedikt und Franziskus.

Georg Gänswein kniet am Sarg des emerierten Papstes Benedikt XVI. nieder und küsst ihn
Abschiedskuss: Georg Gänswein am Sarg von Benedikt XVI.Bild: Vatican Media/AP/picture alliance

Das Timing war - je nach Standpunkt - miserabel oder optimal gewählt: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (1927-2022) war noch nicht bestattet, da tauchten in italienischen Medien schon die ersten Auszüge aus den Memoiren seines langjährigen Privatsekretärs Georg Gänswein auf.

Als "Georgs Angriff auf Bergoglio (der Geburtsname des amtierenden Papstes Franziskus, Anm. d. Red.)" wertete etwa die Zeitung "Il Messaggero" die Vorabveröffentlichungen. Gleich mehrere Kardinäle und Erzbischöfe mahnten daraufhin in Interviews, Gänswein solle "besser schweigen". Die italienische Originalversion des Buchs ist seit dem 12. Januar 2023 - gegen den Willen des Vatikans - erhältlich.

Georg Gänswein war mehr als 15 Jahre lang Privatsekretär von Papst Benedikt XVI.Bild: Stefano Spaziani/picture alliance

"Das Herz gebrochen"

Das Buch von Georg Gänswein bietet Einblicke in drei Phasen des Lebens des verstorbenen Pontifex: Seine Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation (1982-2005), als Papst (2005-2013) und - nach seinem überraschenden Rücktritt vom Papstamt als "Papa emeritus" (2013-2022). 

Im Mittelpunkt steht das Nebeneinander zweiter Päpste, des emeritierten Papstes Benedikt XVI. und des amtierenden Papstes Franziskus. Thematisiert werden vor allem politische, kirchenrechtliche und dogmatische Aspekte.

Gänswein, der mehr als 15 Jahre lang Privatsekretär von Benedikt XVI. war, behauptet unter anderem, dass Franziskus seinem Vorgänger "das Herz gebrochen" habe: Denn er habe die Verwendung der lateinischen Sprache, die Benedikt XVI. als Konservativer vorangetrieben hatte, wieder eingeschränkt.

Auf 336 Seiten geben die Memoiren einen tiefen Einblick in die Welt des Vatikans und offenbaren dabei einige brisante Enthüllungen. Bereits auf den ersten Seiten wird deutlich, dass Gänswein schon vor Jahren genau Notizen gemacht hat, um die Memoiren zu verfassen. Er berichtet beispielsweise von einem Glückwunsch des Chefs der größten italienischen Freimaurer-Loge nach der Papstwahl von Kardinal Jorge Bergoglio im März 2013, der sehr herzlich und beinahe überschwänglich ausfiel. Der Autor deutet an, dass der neue Papst von den "Feinden der Kirche", den Freimaurern, geliebt wurde, während der alte Papst nicht gemocht wurde. Er betrachtet dies als eine Art Gütesiegel für Benedikt XVI.

Auf 336 Seiten geben die Memoiren "Nichts als die Wahrheit" einen tiefen Einblick in die Welt des VatikansBild: IOS/ROPI/picture alliance

Gänswein kämpft an mehreren Fronten

Gänswein versucht einerseits traditionell-katholischen Ultras die Argumentationsgrundlage zu entziehen, dass der Rücktritt von Benedikt XVI. ungültig gewesen sei und die Wahl von Papst Franziskus somit nicht rechtsgültig. Konservative Hardliner bestreiten die Rechtmäßigkeit der aktuellen Kirchenführung und ihrer Beschlüsse. Gänswein schildert detailliert, wie es zu einigen kleinen Fehlern und Versprechern in der Rücktrittserklärung und der Abschiedsrede von Benedikt XVI. kam, die von diesen Gruppen gerne als Beweis für ihre Verschwörungstheorien herangezogen werden.

Andererseits versucht Gänswein, die Behauptung zu widerlegen, dass der Ex-Papst eine Art konservative Opposition gegenüber seinem Nachfolger betrieben habe. Akribisch schildert er die Ergebenheitsbekundungen des alten Papstes an den neuen, die herzlichen Begegnungen der beiden, den Austausch von Gastgeschenken und mehr. Er betont insbesondere, dass der alte Papst alle, die zu ihm kamen, um sich über den neuen Papst zu beschweren, aus seinem Wohnzimmer hinausgebeten habe.

Angespanntes Verhältnis zwischen den beiden Päpsten? Das jedenfalls beschreibt Gänswein in seinen MemoirenBild: abaca/picture alliance

So umstritten das Buch sein mag, es zeigt vor allem die Schwierigkeiten der Koexistenz zweier Päpste im Vatikan auf - ein Problem, das viele hochrangige Geistliche im Vatikan immer wieder betont haben. Der Kardinalstaatssekretär fasste das einmal in folgende Worte: Solange der "Papa emeritus" noch in der Lage ist zu sprechen oder zu schreiben, besteht die Gefahr, dass er von jenen ausgenutzt wird, die an seiner theologischen Linie festhalten und sich von der des neuen Papstes distanzieren.  

Vatikan setzte sich für einen Veröffentlichungsstopp ein 

Es gab Bemühungen seitens des Vatikans, die Veröffentlichung von Gänsweins Memoiren zu verhindern, aber die Einflussmöglichkeiten des Heiligen Stuhls auf eines der größten italienischen Verlagshäuser (Mondatori) erwiesen sich wohl als begrenzt. Das Buch hat im Vatikan viel Aufregung verursacht, da es die Spannungen und Konflikte innerhalb der Kirchenspitze offenlegt und das Potenzial hat, zu Polemiken und sogar Spaltungen zu führen. 

Georg Gänswein war immer mit dabei: Seine Memoiren bieten Einblicke in drei Phasen des Lebens des ehemaligen Pontifex.Bild: Ettore Ferrari/EPA/picture alliance

Außerdem gibt Gänswein viele bisher geheimgehaltene und persönliche Informationen preis - und das auch noch zu einem unpassenden Zeitpunkt.

Am Montag hat Papst Franziskus den früheren Privatsekretär im Vatikan empfangen. Obwohl der Vatikan keine Details zum Inhalt des Gesprächs veröffentlichte, wird vermutet, dass es um die berufliche Zukunft des 66-jährigen Gänswein ging.

kt/sd (mit KNA/dpa/AFP)