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PolitikChina

Görlach global: Chinas kolonialistische Siedlungspolitik

Alexander Görlach
13. August 2024

China soll an seinen Grenzen im Westen und Süden zahlreiche neue Siedlungen errichten. Damit könnte Peking versuchen, entlang der dortigen umstrittenen Grenzverläufe Tatsachen zu schaffen, vermutet Alexander Görlach.

Stacheldrahtzaun vor einer chinesischen Flagge zeigt die Grenze zwischen China und Myanmar
Die Grenze zwischen China und Myanmar ist mit Stacheldraht abgeschottetBild: NOEL CELIS/AFP/Getty Images

Die New York Times berichtet, dass die Volksrepublik China entlang ihrer tausende Kilometer langen Grenzen mit den Nachbarländern Kasachstan, Kirgisistan, Indien, Nepal, Bhutan, Myanmar, Vietnam und Laos neue Siedlungen in umstrittenen Grenzgebieten errichtet. Die Zeitung zeigt Satellitenbilder, die die Existenz der neuen Ortschaften belegen.

Mit Geldgeschenken und Lobpreisungen wird die Bevölkerung in die abgelegenen, bergigen Gebiete gelockt. Chinas Machthaber Xi Jinping nennt diese Landsleute "Patrioten” und "Hüter der Grenzen”. 

Seit Xi Jinping im Jahr 2013 an die Macht gekommen ist, hat er bestehende Konflikte mit Chinas Nachbarn verstärkt und neue vom Zaun gebrochen. Sein Ziel ist es, Chinas Staatsgebiet zu vergrößern und jene Regionen, die bereits in der Vergangenheit erobert wurden, so wie Tibet und Xinjiang, weiter zu "sinisieren", das heißt, durch ethnische Han-Chinesen besiedeln zu lassen.

Selbst die einstmals semi-autonome Handelsmetropole Hongkong soll durch das Ansiedeln von peking-treuen Personen ideologisch unterwandert werden. Und sollte der Tag kommen, an dem Xis Armee die demokratische Inselnation Taiwan angreift und einnimmmt, werden auch dorthin zivile Festland-Chinesen transportiert werden. 

Konzept des europäischen Kolonialzeitalters

DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Privat

Die Idee Xis ist es, durch den Siedlungsvorstoß "leere Räume" zu besetzen. Das ist ein Konzept, das aus dem europäischen Kolonialzeitalter stammt. So sahen unter anderem britische Eroberer im nordamerikanischen Kontinent einen leeren Raum, den zu besiedeln ihnen zufalle.

Den Menschen, die dort schon seit Jahrhunderten lebten, wurde schlichtweg jedes Recht aberkannt, weil sie nicht-weißer Hautfarbe und keine Christen waren. Dass Xi Jinping sich der Logik des Siedlerkolonialismus europäischer Herkunft verschreibt, legt eine Bigotterie offen, da er sich doch selbst zum Anführer der ehemals kolonialisierten Länder des globalen Südens aufgeschwungen hat.

Ideen wie Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, so der Diktator, seien in Wahrheit keine universellen Werte, sondern neue Tricks des Westens, Menschen zu kolonialisieren. Mit dieser Rhetorik will Xi Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in den Orbit Pekings locken.

Bislang mit geringem Erfolg: Viele der so angesprochenen Länder suchen zwar eine wirtschaftliche Nähe zu China, wollen aber zur selben Zeit nicht in einer neuen globalen Konfliktstellung zwischen der autoritären Welt, die Xi Jinping anführt, und der freien, demokratischen Welt, die von den Vereinigten Staaten von Amerika geleitet wird, zerrieben werden.  

Chinas Siedlerkolonialismus könnte vor allem mit Indien eskalieren. Im Jahr 2020 gab es schon Scharmützel mit der indischen Armee, bei der Soldaten auf beiden Seiten starben.

Indische Soldaten bewachen die umstrittene Grenze zu China in Arunachal PradeshBild: Anupam Nath/AP/picture alliance

Indiens Premierminister Narendra Modi ist ebenfalls glühender Nationalist. Für ihn ist Indien kein demokratischer, sondern ein hinduistischer Staat. Deshalb werden unter seiner Ägide die 200 Millionen Muslime im Land drangsaliert und diskriminiert. Sollte sich der Konflikt zwischen den beiden Ländern ausweiten, wird keiner der beiden klein beigeben. 

Zivil oder militärisch?

Derzeit handelt es sich bei den Siedlungen um zivile Orte, allerdings kann die Infrastruktur jederzeit von Peking militärisch umfunktioniert werden. Diese Möglichkeit steht Xi Jinping auch über weite Strecken der "Neuen Seidenstraße” offen, offiziell ein globales Investitionsprojekt, aus dessen Mitteln Straßen, Häfen, Flughafen und Kraftwerke gebaut werden.

Das und die nukleare und konventionelle Aufrüstung der Volksrepublik muss in den Hauptstädten der freien Welt für Beunruhigung sorgen. Die Volksrepublik mag vielleicht Frieden wollen, aber nur und ausschließlich zu Xis Bedingungen und innerhalb der Grenzen, die er steckt. 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.

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