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PolitikAsien

Chinas Null-COVID-Strategie endet im Fiasko

Alexander Görlach
27. April 2022

Shanghai ist abgeriegelt, in Peking bahnt sich ein ähnliches Szenario an. Chinas Corona-Politik wird nicht nur für die Weltwirtschaft, sondern auch für Xi Jinping zunehmend zum Problem, meint Alexander Görlach.

BDTD l China Coronavirus l Lockdown in Shanghai
Kaum ist jemand positiv getestet, wird alles abgeriegelt - Wohnhaus in ShanghaiBild: Hector Retamal/AFP

Die kommunistische Führung Chinas ist völlig außer Rand und Band: Jetzt werden Türen versiegelt und ganze Wohnblocks eingezäunt, so dass die Einwohner sie nicht mehr verlassen können. Die "No COVID"-Strategie Pekings ist vor den Augen der Welt zu einem Fiasko geraten, für das die Menschen mit dem Entzug ihrer ohnehin schon sehr eingeschränkten Rechte bitter zahlen müssen. Hinzu kommt eine chaotische und unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten. 

All das wird die Pandemie nicht stoppen, denn das könnte nur ein wirksamer Impfstoff und den gibt es in Xi Pings Reich bisher nicht. Aber westliche Impfstoffe lehnt die Nomenklatura weiterhin kategorisch ab.

Hungrige Menschen verprügelt

Das Einsperren Bevölkerung von Shanghai ist eine weitere Entgleisung einer Diktatur, die jedes Maß verloren hat: Kleinkinder wurden von ihren Eltern getrennt und, in Bettchen zusammengepfercht, ihrem Schicksal überlassen. Fotos, die diese Scham dokumentieren, gingen um die Welt. Haustiere, die die Menschen vor die Tür geschickt haben, damit sie sich selbst etwas zu essen jagen können, wurden von der Führung getötet. Menschen, die es zu Hause vor Hunger nicht mehr aushielten und auf die Straße gingen, um nach Essen zu suchen, wurden von Schlägertrupps verprügelt, getreten und misshandelt. Die Regierung hatte sie losgeschickt.

DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Als die Stimmung in Shanghai bereits auf dem Tiefpunkt war, forderte die Kommunistische Partei allen Ernstes, dass die Menschen abends ihre Fenster öffnen und Propagandalieder auf ihren Präsidenten Xi Jinping und die Partei singen sollten. Die Leute öffneten zwar die Fenster, stießen allerdings Verwünschungen und Hungerschreie aus.

Auch in Peking wird nun zu Massentests gerufen, was die Menschen als Auftakt zu einem ähnlich üblen Lockdown wie in Shanghai begreifen. Es wird nicht bei diesen beiden Metropolen bleiben: In China haben selbst kleinere Städte, deren Namen im Rest der Welt so gut wie niemand kennt, bereits mehr als zehn Millionen Einwohner. Zum Vergleich: In der Londoner Metropolitan Region, der größten in Westeuropa, leben 14 Millionen Menschen.

Leere Regale in den Supermärkten

Die Parteipropaganda läuft derweil auf Hochtouren, denn es gilt, einen landesweiten Protest unbedingt zu vermeiden. Die von der Partei kontrollierten Medien zeigen Fotos mit Gemüse satt und verbreiten Optimismus. Doch die Realität sieht anders aus: Nach Hamsterkäufen sind die Regale in den Supermärkten leer gekauft. Auch werden verheerende Auswirkungen für chinesische Wirtschaft und Währung erwartet. Und weil seit Wochen der Betrieb im Shanghaier Hafen eingeschränkt ist, dürfte sich die fatale COVID-Politik Pekings auch negativ auf die gesamte Weltwirtschaft auswirken, deren Lieferketten nicht selten von China abhängen.

Weitgehend leere Regale in einem Supermarkt in ShanghaiBild: Hector Retamal/AFP/Getty Images

Pro Tag infizieren sich rund 20.000 Menschen in Shanghai neu mit dem Corona-Virus. Wer krank wird, der muss in eine staatliche Isolationsanstalt. Von den Zuständen dort berichten Überlebende Entsetzliches. Und wird in einem Wohnblock eine infizierte Person identifiziert, verlängert sich der Lockdown für alle Bewohner des Gebäudes um 14 Tage. Die Menschen posten Videos im Internet und lassen ihrem Unmut dort freien Lauf. Allerdings löscht die staatliche Zensur alles relativ zeitnah wieder. Deshalb wissen die Menschen im Rest der Volksrepublik nicht wirklich, was in Shanghai vor sich geht.

Eine Revolte liegt in der Luft

Für Xi Jinping und seinen Führungszirkel ist all' das ein Fiasko: Im Herbst tritt der 20. Parteitag der Kommunisten zusammen, der dem Staatspräsidenten eine bisher unübliche dritte Amtszeit als Generalsekretär der Partei bescheren soll. Um bis dahin nicht von den schlechten wirtschaftlichen Daten und der erbosten Bevölkerung heimgesucht zu werden, wird die Kommunistische Partei zu harten Bandagen greifen. Peking wird sich nicht von den Shanghaiern, die ihre Freiheit zurück wollen, herausfordern lassen. Dann wird es in der Hafenmetropole, deren Einwohnern ähnlich wie den Menschen in Hongkong eine eigene Identität und ein starkes Selbstbewusstsein nachgesagt wird, zum Showdown kommen. Eine Revolte liegt in der Luft. Doch ihr Ausgang wäre ungewiss. 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.

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