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PolitikAsien

Chinas unheilvoller Einfluss auf die Mittelmächte

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
9. Mai 2023

Große Demokratien wie Indien oder Brasilien sind wirtschaftlich abhängig von Peking. Deswegen unterstützen sie nicht automatisch dessen totalitäre Politik. Das darf der Westen nicht übersehen, meint Alexander Görlach.

Aus Pekings Perspektive ein Idealbild: China rahmt selbst große Demokratien wie Brasilien einBild: Stephen Shaver/UPI/newscom/picture alliance

Für den weiteren Verlauf der Konfrontation zwischen freiheitlichen und totalitären Staaten, vornehmlich sichtbar in der Polarisierung zwischen den USA und der Volksrepublik China, werden die Länder des sogenannten "globalen Südens" eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind vor allem im Zuge der Sanktionen, die die demokratische Welt wegen des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine gegen Russland durchsetzen wollte, in den Fokus des Interesses gerückt.

Staaten wir Brasilien und Indien haben, obwohl sie nominell zu den größten Demokratien der Welt zählen, nicht eindeutig Position für das angegriffene Land bezogen. In erster Linie, um es sich nicht mit Russland und seinem mächtigsten Verbündeten, der Volksrepublik China, zu verscherzen.

Sorge vor einer Zweiteilung der Welt

Kritiker sehen darin vor allem einen Mangel an moralischer Qualität und fehlerhaftem demokratischen Kompass. In Wahrheit dürften differenzierte Gründe vorliegen: Eine Polarisierung der Welt mit dem Ziel Pekings und Washingtons, die Welt in zwei Sphären zu teilen, wird von Brasilia bis Neu-Delhi mit Argwohn betrachtet.

DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Sei es durch Handel, Investitionen oder durch Kreditvergabe: Die Volksrepublik ist heute mit Abstand der größte und damit bedeutendere Partner der Länder des globalen Südens, meistens gefolgt von den USA, Japan und der Europäischen Union. Die Festlegung auf eine der beiden Seiten des potenziellen neuen Kalten Krieges hätte von Chile bis Indonesien schwerwiegende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung, was ganz schnell auch zu einer politischen Destabilisierung dieser Staaten führen könnte.

Zudem ist in jenen Ländern die Erinnerung an westlichen Imperialismus und das Kolonialzeitalter noch frisch. Das heißt, man nimmt dem Westen nicht ab, heute für Werte zu stehen, die er Jahrhunderte lang selbst missachtet hat. Darüber hinaus hält man die USA und ihre Verbündeten für zynisch und scheinheilig: Mal werden Verletzungen der Menschenrechte angeprangert, in anderen Fällen komplett ignoriert. Den Völkerrechtsbruch, den Washington mit dem Einmarsch in den Irak begangen hat, die Folter-Gefängnisse, die im Zuge des "Krieges gegen den Terror" in Abu Ghraib und Guantanamo errichtet wurden, beschmutzen das Ansehen der USA noch auf Jahrzehnte. 

Peking erobert nicht die Herzen

Eine Positionierung Brasiliens, Indiens, Indonesiens oder Chiles als - wenn man es so nennen möchte - eigenständige Mittelmächte oder Elemente einer multi-polaren Weltordnung bedeutet nicht automatisch eine Sympathiebekundung für Peking oder Moskau. Das ist die gute Nachricht. Aber aufgrund der gegebenen Verflechtungen werden sich diese Länder, ebenso wie europäische Nationen oder Australien, deren Handelsdefizit mit China Jahr für Jahr zunimmt, dem Einfluss der Volksrepublik nicht entziehen können. Gleichzeitig suchen dieselben Nationen in westlich-freiheitlichen Allianzen, vornehmlich mit den USA, ihr sicherheitspolitisches Heil. 

Indiens Premier Modi hat seinen chinesischen Amtskollegen Xi bereits zu den Schätzen seines Landes geführtBild: Twitter/PTI/dpa/picture alliance

Es sind eben jene über Jahrzehnte gewachsenen und gefestigten Allianzen, die Washington in der gegenwärtigen Weltlage die Oberhand geben. Peking kann solche Bündnisse nicht vorweisen. Das Anerkennen ökonomischer Realitäten bedeutet noch lange nicht, dass die Volksrepublik unter ihrem Führer Xi Jinping die Herzen auf dem südlichen Globus erobert hätte. 

Sanktionen nach einem Angriff auf Taiwan?

Das, worauf Peking im Moment am ehesten hoffen kann, ist eine gewisse Neutralität der Länder des globalen Südens. Das bedeutet aber keineswegs deren Interesse, zugleich eine neue Weltordnung mittragen zu wollen, in der das totalitäre China den Ton angibt. Für Xi Jinping und seine Nomenklatura ist das allerdings schon ein riesiger Erfolg. Weitreichende internationale Sanktionen gegen sein Regime als Reaktion auf eine Attacke auf die Inselrepublik Taiwan beispielsweise wird es in dieser Situation gewiss nicht geben.

Es ist unbestreitbar, dass gerade ein Rückbau der von Freihandel und Gewinnmaximierung geprägten Phase der Globalisierung stattfindet. Stattdessen werden Sicherheitsfragen und geopolitische Interessen die Weltwirtschaft in ihrer nächsten Phase bestimmen. Hier müssen auch die Länder mitgenommen werden, die generell einer größeren Unabhängigkeit von einem zunehmend autoritären Volksrepublik zustimmen, aber gleichzeitig um ihre weitere positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung fürchten müssen. Andernfalls kann das "de-rsiking" oder "de-coupling" von China und seinen totalitären Vasallen nicht gelingen.

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.

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