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Worte ersetzen das Handeln nicht

Alexander Görlach
24. November 2021

Die Dramatik der jetzigen Corona-Lage müsste nicht sein, wenn die Politik rechtzeitig gehandelt hätte. Vor allem aber, wenn sich auch alle Bürgerinnen und Bürger klug verhalten hätten, meint Alexander Görlach.

Zitattafel zum Kommentar Görlach, Corona-Impfung

Was ist mit Deutschland los? Die Coronainfektionszahlen sind aktuell fast dreimal so hoch wie vor genau einem Jahr, auf dem Höhepunkt der zweiten Welle. Damals schockierte die Bundeskanzlerin mit der Aussage, dass es in Deutschland zu Weihnachten über 20.000 Neuinfektionen pro Tag geben könne, wenn nicht sofort gegen gesteuert werde. Umfassende Maßnahmen und ein Lockdown wurden verhängt, der bis zum April dieses Jahres andauerte.

Zum Weihnachtsfest kam dann die frohe Botschaft, dass bald mit dem Impfen begonnen werden könne. Von da an könne es nur noch bergauf gehen. Das machte Mut in den vielen dunklen Winterlockdownstunden.

Posterboy Söder für die devoten Deutschen

Mittlerweile müssen die Deutschen erkennen, dass sie es verbockt haben. Gemeinsam mit Österreich und der Schweiz ist die Bundesrepublik Schlusslicht in Westeuropa beim Impfen. Das Land, das viel auf seine Rationalität, seine Ingenieurskunst und sein Vertrauen in den Staat gibt, zeigt in der Coronakrise sich selbst und der Welt, dass es mit diesem Selbstbild nicht weit her ist.

Vielmehr tritt dieser Tage die Widersprüchlichkeit der Deutschen besonders vor Augen: Schon zu Beginn der Pandemie wurde Bayerns Ministerpräsident Markus Söder auf Grund seiner "Starken-Mann"-Rhetorik zum Posterboy der devoten, nach immer mehr Verboten lechzenden Deutschen. Und in diesen Tagen macht er sich zum Wortführer derer in der Politik, die nun eine Impfpflicht fordern, die inzwischen auch eine Mehrheit der Deutschen befürwortet. 

Markus Söder - immer gut für kernige Forderungen nach schärferen Regeln und neuen VerbotenBild: Matthias Balk/dpa/picture alliance

Doch ausgerechnet in Söders Freistaat kümmert das im Republikvergleich neben Sachsen und Thüringern die wenigsten. Sprüche, die die starke Hand markieren, werden also goutiert, danach gerichtet wird sich allerdings nicht. Da kann es noch so erwiesen sein, dass die Impfung der beste und auf lange Sicht einzige Weg aus der Corona-Pandemie ist.

Ein Terminus Technicus als Fetisch

Politische Kampfbegriffe wie "Epidemische Lage von nationaler Tragweite" passen in dieses Bild. Die Wortschöpfung ist zu einem Fetisch geriert, aber die Impfung für alle wird dennoch nicht zum Gebot der Stunde. Dass nun die Konservativen die Abschaffung dieses so lieb gewonnenen Terminus Technicus, der mehr Unklarheit brachte als Erkenntnis förderte, betrauern und öffentlich geißeln, kann nur Kopfschütteln auslösen. Denn Worte, und seien sie noch so scharf, ersetzen das Handeln nicht.

Was haben Markus Söder in Bayern und Reiner Haselhoff in Sachsen-Anhalt denn konkret getan, um die gegenwärtige Eskalation der Infektionszahlen wirklich, also in der Substanz und nicht nur rhetorisch, zu bremsen? Beide haben das Ende der "epidemischen Lage" heftig kritisiert, das steht ihnen natürlich frei. Allerdings: Nun läuft diese Notlage in dieser Woche aus. Doch was haben sie in den vergangenen Wochen getan, als die Corona-Situation nicht nur in Bayern und Sachsen-Anhalt immer prekärer wurde? Da hätte man doch noch mit ihr, so man es gewollt hätte, handeln und ein Brechen der fünften Welle in die Wege leiten können. Stattdessen wird nun die Kritik an der künftigen Bundesregierung zu politischem Handeln stilisiert. 

Zum Thema Impfen gibt es keine zwei Meinungen

Das Hauptproblem liegt allerdings weder bei den alten noch den neuen Koalitionsparteien. Das Problem sind die vielen Millionen Menschen, die sich nicht haben impfen lassen. Ihr Verhalten ist falsch und unsolidarisch. Zum Thema Impfen gibt es keine zwei Meinungen. Es ist keine Frage des Glaubens, ob eine Impfung etwas bewirkt oder nicht. Wer sich also nicht impfen lässt, weil er glaubt, die Regierung pflanze ihm auf diesem Wege einen Chip in den Oberarm, hat keine legitime Meinung, sondern ist schlicht verrückt.

Impfgegner sind rationalen Argumenten in den allermeisten Fällen nicht mehr zugänglichBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Es gibt zu viele dieser Verrückten in Deutschland und deshalb ist das Land in einer Misere sondergleichen. In einem Land, in dem alle per Gesetz zum Besuch einer Schule verpflichtet sind, dürfte es einen solchen Zustand im gesellschaftlichen Denken und Handeln eigentlich nicht geben. Wer für solche Menschen Politik machen muss, ist nicht zu beneiden - weder die alte noch die neue Bundesregierung.

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009 - 2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin 'The European' heraus.

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