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Deutschland darf nicht von Ankara erpressbar sein

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
13. Oktober 2021

Angela Merkel lehnt sich bis zum letzten Tag im Amt nicht zurück: Das anstehende Treffen mit Präsident Erdogan in der Türkei wird geprägt sein von der langen Liste der Frustrationen, meint Alexander Görlach.

Merkel hat in den sechzehn Jahren im Amt die Transformation von Recep Tayyip Erdogan verfolgt, der von einem geläuterten, aus der Haft entlassenen Islamisten zu einem Vollblut-Autokraten mutiert ist, der die Menschenrechte missachtet, die Unabhängigkeit der Justiz abschaffen will und reihenweise Journalisten, Oppositionelle und Kritiker inhaftieren lässt.

Auf diesem fürchterlichen Weg, den die Menschen in der Türkei zu erdulden haben, musste Merkel und mit ihr die gesamte Union die Idee verwerfen, dass die Partei Erdogans, die AKP, eine Art wertkonservativer islamischer Wiedergänger der konservativen christlichen Parteien Europas sei. Aus der EU-Mitgliedschaft wird so nichts. Erdogan orientiert sich daher schon längst in Richtung Russland. Dort kauft sein Land Waffensysteme ein, ohne auf die systematische Rivalität zu achten, die zwischen der NATO, in der die Türkei Mitglied ist, und der unfreien Welt besteht. Das ist mehr als eine Petitesse. Denn Russland wirft der NATO vor, Präsident Wladimir Putin absetzen zu wollen. Russland betrachtet die EU, die das Land wegen der Inhaftierung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny heftig kritisiert, als "unzuverlässigen Partner."

Autokraten unter sich

Sich verstecken oder wegschauen ist keine Option für die nächste BundesregierungBild: picture-alliance/dpa/AP/T. Bozoglu

Dabei hat Merkel den Machthaber im Kreml noch stärker gemacht durch ihr Engagement für die Pipeline Nord Stream 2. Dieses Umgarnen Putins im Auftrag der deutschen Wirtschaft hat nicht nur zu einer Entfremdung mit der US-Regierung unter Joe Biden geführt, sondern auch den starken Mann am Bosporus in seiner Vorstellung bestärkt, dass man nur ein richtiger Player ist, wenn man knallhart auftritt wie Putin. 

Erdogan hat versucht, sein Land als eine neue geopolitische Kraft zu positionieren, an der keiner mehr vorbeikommt. Das hat ihm etliche Konflikte im Nahen Osten mit eben jenem Russland eingebracht, dessen Führer Putin er bei einem Treffen vor wenigen Wochen als guten Freund der Türkei pries. Im benachbarten Syrien stehen die Türkei und Russland auf unterschiedlichen Seiten des Konflikts. Putin kann dort den Druck auf Erdogan verstärken, der seinerseits dann den Druck auf die Europäische Union verstärkt: Flüchtlingsströme, durch das gemeinsame Handeln der Diktatoren Bashar al-Assad und Putin verursacht, bewerkstelligen das.

Es ist nicht klar, wie weit Erdogan versteht, dass er jederzeit von Moskau erpressbar ist: Wegen der Eskalation der Flüchtlingskrise, die Putin per Knopfdruck herbeiführen kann, wegen der Waffenlieferungen aus Moskau und wegen des russischen Gases, das die Türkei dringend benötigt. Bei dem Treffen der beiden Staatsführer im September im russischen Sotschi fehlte der Verweis Putins nicht, dass die Türkei, anders als Europa, im Moment von einem Versorgungsengpass verschont geblieben sei, da die russische Pipeline TurkStream das Land versorge. 

Deutschland hat alle Hände voll zu tun

Die Sicherheit und Stabilität der Europäischen Union wird von Diktatoren östlich von ihr bedroht. Erdogan hat mehrfach in Richtung EU gedroht, Flüchtlinge einfach passieren zu lassen, sollte man in Brüssel seinen Forderungen nicht nachkommen. Es muss allerdings dazu gesagt werden, dass die Türkei über vier Millionen Flüchtlinge beherbergt, die meisten davon aus Syrien, so dass das Land in der Tat die dauerhafte und nachhaltige finanzielle und logistische Unterstützung der Europäischen Union braucht und auch verdient. 

Das ist die Gemengelage, in die Merkel reisen wird. Ihr Nachfolger wird alle Hände voll zu tun haben, um das delikate Verhältnis zum NATO-Partner und autokratischen Rivalen auszubalancieren. Die nächste Bundesregierung muss alles daransetzen, nicht weiter von Ankara erpressbar zu sein

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009-2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin The European heraus.

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