Südkoreas Präsident Yoon Suk Yoel ist nach wochenlangem Ringen vorläufig festgenommen worden. Ihm wird vorgeworfen, einen Staatsstreich geplant zu haben. Am 3. Dezember des vergangenen Jahres hatte Yoon überraschend den Notstand ausgerufen und das Kriegsrecht über das demokratische Land verhängt. Die Streitkräfte versuchten darauf hin, das Parlament zu stürmen und die Abgeordneten festzunehmen.
Doch Yoons Coup-Versuch hatte keinen Erfolg. Nicht zuletzt, weil die Südkoreaner zu Tausenden auf die Straßen strömten und unter anderem die bewaffneten Soldaten unter Einsatz ihres Lebens daran hinderten, in die Parlamentskammer einzudringen.
Noch in der vergangenen Woche versuchte sich Yoon dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Es kam zu einer Konfrontation zwischen seinen Leibwächtern und der Polizei. Es waren Szenen zu sehen, die man bisher allein aus koreanischen Serien kannte, in denen es von korrupten Politikern, Polizisten, Militärs und käuflichen Journalisten nur so wimmelt. Die Ereignisse legten den Verdacht nahe: Was im Fernsehen als Fiktion verpackt daherkommt, könnte in Wirklichkeit doch zur koreanischen Gesellschaft gehören? Zumindest diesen Eindruck kann Yoons Festnahme ein Stück weit entkräften.
Ein "starker Mann" à la Trump?
Yoon Suk Yoel hält sich für einen "starken Mann" vom Schlage Donald Trumps. Der Südkoreaner mag sich in die Vorstellung verstiegen haben, er stehe über dem Gesetz und könne sich einem Zugriff durch die Justiz entziehen. Nun wird ein Gericht in den kommenden Wochen prüfen, ob diese Amtsenthebung rechtswirksam bleibt. Die Geschäfte des Präsidenten führt ein anderer Politiker derweil kommissarisch.
Im Zuge der Festnahme wurde eine Videobotschaft verbreitet. Darin sagt Yoon, er habe sich den Strafverfolgungsbehörden überantwortet, um einen "blutigen Zusammenstoß" zwischen seinen Leibwächtern und der Polizei zu verhindern. Diese Aussage belegt, wie wenig der ehemalige Präsident seine Lage einschätzen kann oder will. Auch hat er in diesem Video behauptet, der Strafbefehl gegen ihn sei illegal. Dabei haben sich die Ereignisse, die zu seiner Festnahme geführt haben, vor den Augen des koreanischen Volkes und der gesamten Welt abgespielt.
Den Kriegszustand hatte der Präsident ohne jeden Beleg mit der Begründung ausgerufen, die liberale Partei im Parlament plane zusammen mit dem kommunistischen Norden einen Staatsstreich. Yoon Suk Yoel kann nun zwei Tage lang von den Ermittlern befragt werden. Sollte sich der Anfangsverdacht gegen ihn bestätigen, kann ein gerichtlicher Haftbefehl folgen.
Yoon sorgte für weitere Spaltung der Gesellschaft
Mit seinem Verhalten stachelt der Konservative die Spaltung der südkoreanischen Gesellschaft weiter an. Der hochumstrittene Politiker ist in der Gesamtbevölkerung äußert unbeliebt - was Zustimmungswerte vor seinem Coup-Versuch von unter 20 Prozent belegen. Dennoch verfügt er über eine kleine, lautstarke und aggressive Fan-Basis. Etliche dieser Personen haben in den vergangenen Wochen vor der Residenz kampiert, um für "ihren" Präsidenten zu demonstrieren.
Südkorea gerät zur Unzeit in eine Krise, die letztlich auf die Eitelkeit eines einzelnen Mannes zurückzuführen ist. Nachbar Nordkorea mit der Steinzeit-Diktatur Kim Jong-uns droht dem demokratischen Süden unverhohlen mit Auslöschung, worauf die Regierung in Seoul eine Antwort formulieren muss. Eine Möglichkeit, die eine wachsende Zustimmung in der Bevölkerung erhält, wäre die atomare Aufrüstung des Südens. Doch um diesen Schritt anzugehen, braucht es eine stabile Regierung - und darüber hinaus auch eine parteiübergreifende Übereinkunft, die zu bilden Yoon niemals wirklich geplant hat.
Keine Garantie für künftigen Schutz durch USA
Mit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus werden die Allianzen der Vereinigten Staaten auf den Prüfstand gestellt werden, auch Washingtons Sicherheitsgarantie für Südkorea. Um mit dem Mann im Oval Office angemessen ringen zu können, ist ein stabiler, verlässlicher Konsens im Parlament und in der Gesellschaft vonnöten.
Doch Südkorea ist derzeit wegen Yoon Suk Yeol ohne Führung und ohne Aussicht auf Versöhnung zwischen den politischen Lagern. Über eine solche Lage werden sich letztlich nur die Feinde Südkoreas in Pjöngjang und Moskau freuen. Für die Menschen in Südkorea bedeutet dies eine Gefahr für ihre Sicherheit.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.