1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Die gemeinsamen Interessen von China und den Taliban

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
17. August 2021

Nicht alle fliehen vor den neuen Machthabern am Hindukusch: Nur der Westen erlebt Tage der Schmach in Afghanistan, während Russen und Chinesen mit den Taliban bereits im Gespräch sind, meint Alexander Görlach.

Bild: DW

Während westliche Staaten in chaotischer Weise versuchen, ihr Botschaftspersonal und ihre Staatsbürger aus Afghanistan auszufliegen, bleiben die Botschaften Russlands und Chinas in dem Land offen. Mit der schnellen Rückeroberung des Landes haben die Taliban das Vakuum gefüllt, dass der Abzug der internationalen Truppen hinterlassen hat. Während Bundesaußenminister Heiko Maas nichts hat kommen sehen und in beschämender Weise keine entsprechenden Vorkehrungen getroffen und Ortskräften die Ausreise nach Deutschland ermöglicht hat, hat die Volksrepublik von längerer Hand vorgesorgt und mit den Taliban bereits ein Arrangement getroffen.

Naturgemäß stehen sich Gotteskrieger und Diktaturen nahe, sie eint der Hass auf Freiheit und Menschenrechte. Dass nun 20 Jahre Engagement für genau diese Werte ohne Gegenwehr zu Ende gehen, versetzt die Autokraten in Peking, Moskau und Kabul in Siegesstimmung.

Verkaufte muslimische Glaubensbrüder

Aber nichts kommt von nichts: Bereits vor einem Monat hat der chinesische Außenminister Wang Yi sich mit einer Delegation der Taliban getroffen und nannte die Terrorgruppe einen wichtigen Akteur in der Region. Die Volksrepublik erhofft sich vom Bleiben in dem Land eine befriedete Grenze zu ihrer westlichen Provinz Xinjiang - jene, in der über eine Million Muslime aufgrund ihres Glaubens und ihrer islamischen Kultur in Konzentrationslagern einsitzen und chinesische Umerziehung über sich ergehen lassen müssen.

Chinas Außenminister Wang Yi (re.) traf sich bereits mit Mullah Abdul Ghani Baradar von den TalibanBild: Li Ran/XinHua/dpa/picture alliance

Wie es allerdings aussieht, haben die Taliban ihre Glaubensbrüder verkauft: Die Volksrepublik hat den Taliban zugesichert, in das Land am Hindukusch zu investieren. Die Taliban haben im Gegenzug angekündigt, dass von ihrem Territorium aus niemand China den Krieg erklären dürfte. Wahrscheinlich meinten die Gotteskrieger damit jene Kämpfer, die sich für die geschundenen Uiguren in den Konzentrationslagern stark machen und die Volksrepublik durch Terror in der Region zur Abkehr von ihren Verbrechen, die der US-Kongress bereits als Genozid, als Völkermord, eingestuft hat, abzubringen.

Man kann den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben und von daher ist es mehr als fraglich, ob diese beiden radikalen Gruppen sich nicht letztlich in Gefechte miteinander verstricken, die am Ende die Grenzsicherheit Chinas doch beeinträchtigen können. Peking hat sich hier Zeit erkauft, kann abwarten und sehen, wie sich die Lage entwickelt.

Reiche Rohstoffvorkommen

Die Grenze, die die Volksrepublik und Afghanistan miteinander teilen, ist nur 76 Kilometer lang. Aber nicht allzu weit von dieser Grenze liegt ein wichtiger Korridor der chinesischen "Belt & Road"-Initiative, der sogenannten "Neuen Seidenstraße" - ein Finanzprogramm für Investitionen in die globale Infrastruktur, mit denen sich die Volksrepublik Zugang und Einfluss in den Ländern erkauft, die willig Kredite von Peking annehmen. Sollte dieser Korridor durch Instabilität in Afghanistan in Gefahr geraten, würde das die Interessen Chinas in Pakistan nachhaltig gefährden.

 

Peking hat aber auch wirtschaftliche Interessen in Afghanistan: Neben Ölfeldern, für die sich bereits chinesische Firmen die Bohrrechte sicherten, verfügt das Land über Seltene Erden - Material, das unter anderem für Smartphones, Tabletts, und LED-Bildschirme gebraucht wird. Wie der Name schon sagt, sind sie selten. Noch verfügt China nicht über das Know-how der Chip-Technologie, wie es die benachbarte Demokratien Taiwan und Südkorea haben. In Afghanistan sollen Seltene Erden mit einem Wert von bis zu einer Billion Dollar schlummern. Wer diese heben kann, der kann die Zukunft der globalen Chipproduktion massiv beeinflussen und die Käufer in den USA und Europa unter Druck setzen. 

Tage der Schmach

Diese Tage sind Tage der Schmach für die freie Welt, für ihr Engagement für Freiheit und Menschenrechte. Sie legen schonungslos das Versagen der Politik von Washington bis Berlin offen, welche die Menschen in Afghanistan nun schmachvoll im Stich lässt. Diese Tage sind auch ein Schlag ins Gesicht für die Familien derer, die am Hindukusch ihr Leben verloren haben.

In Peking und Moskau hingegen knallen die Sektkorken. Der Verlust Afghanistans, den manche für verschmerzbar halten mögen, verändert die geopolitische Architektonik zwischen freier und autokratischer Welt nachhaltig. Eins ist klar: Am Hindukusch werden jetzt die Interessen von Diktatoren verteidigt - nicht mehr unsere Freiheit.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009-2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin The European heraus.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen