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PolitikEuropa

Die Ukraine - Vorbild für das Schicksal Taiwans?

Alexander Görlach
25. Februar 2022

Wladimir Putin und Xi Jinping sind Brüder im Geiste. Und deswegen schaut China derzeit sehr genau auf Putins Krieg gegen die Ukraine, obwohl zu Beginn Skepsis in Peking herrschte, meint Alexander Görlach.

Zitattafel Alexander Görlach

Wie nahe beieinander die finsteren Weltbilder des russischen Diktators Wladimir Putin und seines chinesischen Counterparts Xi Jinping sind, hat der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gezeigt. In einer erratischen Fernsehansprache sprach der Machthaber des Kreml von der Notwendigkeit, Russland mit der Ukraine zu vereinigen.

Das souveräne Nachbarland stellt für Putin kein eigenes Land dar, sondern einen angeblichen Teil Russlands. Putin spricht von der Ukraine wie Xi Jinping von Taiwan. Der chinesische Machthaber glaubt, dass Taiwan eine Provinz Chinas sei. Die Invasion Taiwans hat Xi bereits mehrfach angekündigt, sie gar zu seinem Lebensprojekt ausgerufen. Dabei hat die Volksrepublik niemals auf Taiwan Macht ausgeübt. Seit 1949 ist Taiwan ein eigenes Land, seit den frühen 1990er-Jahren eine Demokratie.

Träume von einer vergangenen Zeit

Auch die Menschen in der Ukraine haben 1991 entschieden, einen eigenen, von Russland losgelösten Weg einzuschlagen. Beide, die Ukraine und Taiwan, sind heute völlig neue und eigenständige Staaten. Beide, Xi und Putin, träumen jedoch immer noch von einer vergangenen Zeit, in der die Unterdrückung ganzer Völker mit einem Federstrich vom Thron herab angeordnet werden konnte. Das internationale Recht gilt beiden nichts, vielmehr setzt das Recht des Stärkeren die Geschicke der Welt.

Wladimir Putin bei Xi Jinping zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking Anfang FebruarBild: Li Tao/Xinhua/picture alliance

Nicht nur in seiner bizarren Rede zu Beginn seines Invasionskriegs hat Putin davon gesprochen, Russland seinen Platz in der Geschichte zurückgeben zu wollen. Den Untergang der UdSSR hat er als "größte geopolitische Katastrophe" bezeichnet. Auch Xi ruft die Geschichte als vermeintlichen Zeugen an: China solle dank ihm den Platz zurückerhalten, der dem Land historisch zustünde. Die alte, vergangene Größe, die der Westen zerstört habe, soll wieder erstehen. Auch Putin macht den Westen für den Untergang der Sowjetunion verantwortlich.

Beide Präsidenten eint der Hass auf Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Nichts von alledem wird in den finsteren Reichen der sinistren Führer gewährt. Ganz im Gegenteil: In Xis Reich sitzen eine Million Menschen aufgrund ihrer Religion und Kultur in Konzentrationslagern ein. Sie werden tagtäglich erniedrigt und überwacht, ihnen werden genetische Proben entnommen, Frauen sterilisiert. Der US-Kongress nennt das grausame Vorgehen der chinesischen Führung an den Uiguren in der Provinz Xinjiang zurecht einen Genozid. Auch die Tibeter werden seit Jahrzehnten von Peking unterdrückt, ihre Kulturdenkmäler zerstört und das Recht auf ein Leben in Freiheit mit Füßen getreten.

Ende für das freie Internet in Russland?

Putin möchte, dass Russland genauso wird wie China - mit einer Überwachungsmaschine, die wie geschmiert läuft. Allein am ersten Kriegstag wurden in Russland 1700 Menschen von der Polizei festgenommen und eingesperrt, weil sie gegen den völkerrechtswidrigen Krieg demonstriert haben, den der Kremldiktator begonnen hat.

Das Internet ist in Russland hingegen, anders als in China, noch weitgehend unkontrolliert. Doch Xi verkauft seine fürchterliche Überwachungstechnologie, die an den Uiguren zum Einsatz kommt, längst an Diktaturen in aller Welt. Noch unterstützt er Putin vor allem den Kauf von Erdgas. Aber das mag sich in der autoritären Zukunft, von der beide Herrscher träumen, vielleicht bald ändern: Das russische Internet wird womöglich das erste Opfer einer weiteren Welle der Gleichschaltung in Russland.

Die "Banalität des Bösen"

Peking unterstützt den Angriffskrieg Moskaus auf die Ukraine. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriumsweigerte sich, von einer Invasion zu sprechen. Vielmehr verunglimpfte sie die anwesenden Presse der freien Welt. Die solle sich nicht unter dem Vorwand von Menschenrechten und Demokratie in die internen Angelegenheiten anderer Länder einmischen. Für Xi ist der Völkermord an den Uiguren Privatsache.

Russische Truppen rücken in der Ukraine vorBild: Privat

Auch Putin hat allen schwerste Vergeltung angedroht, die sich Russland in der Ukraine in den Weg stellen. Wenn Xi und Putin ihre irren Positionen bieder in Anzug und Krawatte vortragen, fühlt man sich an die "Banalität des Bösen" erinnert, von der Hannah Arendt anlässlich des Prozesses gegen den Organisator des Holocausts, Adolf Eichmann, sprach.   

Die USA an zwei Fronten gefordert?

China hat sich zunächst schwer damit getan, den Schritt der Anerkennung der Separatistengebiete Donezk und Luhansk durch Putin mitzugehen. Zu sehr spielt die "Abspaltung" von ukrainischen Gebieten in den Augen Pekings auch Taiwan in die Hände. Nun aber, da Putin die gesamte Ukraine "heim in sein Reich" holt, kann Peking aufatmen. Das entspricht ganz dem Geist der "Wiedervereinigung" - der Begriff, mit dem Peking seinen geplanten Angriffskrieg gegen Taiwan etikettiert.

Sollten die USA nun längerfristig in Osteuropa gebunden werden, könnte für Xi der Moment kommen, nun seinerseits endlich nach Taiwan zu greifen. Für die freie Welt würde dies eine Auseinandersetzung mit Kriegstreibern an zwei Fronten gleichzeitig bedeuten, an deren Ende nicht nur die Landkarte Europas neu aussehen würde. Dazu darf es unter keinen Umständen kommen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009 bis 2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin "The European" heraus.

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