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Die US-Wahl ist noch nicht gelaufen

Alexander Görlach
18. August 2020

Egal, was die Meinungsumfragen gegenwärtig sagen: Bis zum Wahltag in den USA kann noch viel passieren. Und schon vor vier Jahren haben sich die Demokraten zu früh gefreut, warnt Alexander Görlach.

Zitattafel Alexander Görlach

Wenige Monate vor den US-Präsidentschaftswahlen nehmen die Fragen im Freundeskreis zu: Wer wird gewinnen? Wird Donald Trump weitere vier Jahre im Amt bleiben oder kann es Joe Biden gelingen, den Amtsinhaber zu schlagen?

Die Umfragen sehen aktuell Biden vorne, aber für gesichert halten das die wenigsten der Fragesteller. Bei den Wahlen im Jahr 2016 sahen die Umfragen Hillary Clinton vorne, die dann zwar auch eine Mehrheit der Wählerstimmen, nicht aber eine Mehrheit im Electorial College für sich gewinnen konnte.

Wer kann seine Wählerbasis besser motivieren?

Diese Wahl wird der für sich entscheiden, dem es gelingt, seine Basis an die Wahlurne zu lotsen. Die Wahlbeteiligung lag vor vier Jahren bei nur 60 Prozent. Wer also seine Leute stärker mobilisieren kann, dem gehört das Weiße Haus.

Trump-Herausforderer Joe Biden und seine Kandidatin für das Amt der Vize-Präsidentin, Kamala HarrisBild: picture-alliance/dpa/C. Kaster

Die Politik von Donald Trump richtet sich schon seit Wochen ausschließlich nur noch an seine Anhängerschaft: Sei es das Brandmarken von Gesichtsmasken als un-amerikanischer Versuch der Demokraten, die freiheitsliebenden Bürger zu terrorisieren; das Posieren mit einer Bibel vor einer durch die Black Lives Matter-Demonstrationen beschädigten Kirche; die Drohung, dass unter Joe Biden die USA immer chinesischer würden und die Amerikaner unter der Knute Pekings zu leben lernen müssten.

Der Herausforderer Biden hat mit der Wahl seiner Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Senatorin Kamala Harris, seinerseits die demokratische Basis zu elektrisieren gesucht. Mit der Entscheidung für eine Frau, deren Eltern erst in die USA kamen, soll der jungen Generation eine Identifikationsfigur und zugleich eine potenzielle Nachfolgerin von Joe Biden vorgestellt werden.

Identitätspolitik als Zukunftshoffnung der Demokraten?

Junge Demokraten der Generation Y sind seit Jahren bemüht, mit solcher Identitätspolitik die Zukunft ihrer Partei zu prägen. Allein es tauchten vor vier Jahren nicht genügend von den derart Umworbenen an den Wahlurnen auf, um Hillary Clinton zu unterstützen. Und auch jetzt zeigen sich schon wieder Probleme: Einzelnen ist Kamala Harris nicht Minderheitsvertreterin genug. Ihre Kritik ist jedoch geeignet, das demokratische Lager ausreichend zu spalten und das Team Biden/Harris so um den Sieg zu bringen.

Dass das Thema Minderheiten den Wahlkampf bestimmen würde, liegt seit dem Tod des Afro-Amerikaners George Floyd durch weiße Polizisten im Mai auf der Polizeigewalt

Hand. Die Proteste, die danach in den USA und vielen Hauptstädten der westlichen Hemisphäre aufflammten, katapultierten die "Black Lives Matter"-Bewegung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Ganz gleich ob Rassismus oder Corona-Krise: US-Präsident Trump hat einen sehr eigenen Blick auf die WeltBild: pictrure-alliance/AP Photo/Detroit News/D. Mears

Selbst bei den Wählern der Republikaner gibt es mittlerweile eine hauchdünne Mehrheit, die Polizeigewalt gegen Schwarze für ein systematisches Problem hält. In Umfragen geben Angehörige der weißen Mittelschicht - viele davon 2016 Wähler von Donald Trump - an, dass ihnen missfällt, wie der Präsident mit dem Thema Rasse und Diskrimierung umgeht. Ob diese Stimmung gegen Trump bis zum Wahltag anhält, kann derzeit jedoch niemand voraussagen.

Der entscheidende Faktor Corona

Vor allem weitere Verlauf der COVID-19-Pandemie, die in den Vereinigten Staaten alles andere als ausgestanden ist, wird das Stimmverhalten am 3. November maßgeblich beeinflussen. Anders als in der Finanzkrise 2008 haben die Amerikaner von ihrer Regierung aktuell Hilfen erhalten, von denen sie unter Obama nur träumen konnten.

Wenn nun ein weiteres Hilfspaket verhindert, dass hunderttausende Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlieren, nachdem sie aufgrund der Pandemie ihre Miete oder Hypothek nicht mehr zahlen können, könnte das Donald Trump den nötigen Rückenwind verleihen, um im Januar 2021 erneut als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt zu werden.

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

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