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PolitikAsien

Die Vielzahl der Krisen wird zum Problem

Alexander Görlach
27. Juli 2022

China leidet an einer Immobilien- und Bankenkrise, die von Tag zu Tag weiter ausufert und inzwischen sogar die Macht von Diktator Xi Jinping in Frage stellt, meint Alexander Görlach.

Blick auf eine riesige Hochhausgruppe mit Appartements in Huai'an
Lange galten Wohnungen in solchen Komplexen als sichere Wertanlage in China - das ändert sich geradeBild: Zhao Qirui/Costfoto/picture alliance

Die Ereignisse überschlagen sich in diesen Tagen: Hunderttausende Menschen haben aufgehört, die Raten für Wohnungen zu zahlen, die sie einmal beziehen wollten. In China ist es nicht unüblich, bereits eine Immobilie abzuzahlen, während sie noch gebaut wird. Doch durch die hohe Verschuldung etlicher Bauentwickler, die ihre Projekte über günstige Kredite finanziert haben, ist es derzeit fraglich, ob diese Wohnungen jemals fertig gebaut werden. Einer der größten Entwickler dieser Art, Evergrande, steckt schon seit Herbst vergangenen Jahres in der Krise und ist mittlerweile zahlungsunfähig. 

In der Provinz Henan wurden hunderttausende Sparer um ihre Einlagen betrogen: Vier Banken haben Menschen aus der ganzen Volksrepublik mit hohen Zinsen angelockt. In Wahrheit wurde das Geld risikoreich angelegt. Jetzt sind Einlagen im Wert von umgerechnet sechs Milliarden US-Dollar futsch - seit April wird nichts mehr ausgezahlt. Seit zwei Wochen demonstrieren die Sparer vor den Bankgebäuden in Henan. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Menschen vor, denn in China ist öffentlicher Protest verboten. Da half es auch nichts, dass die Demonstranten chinesische Fahnen trugen, um ihre patriotische Gesinnung zu zeigen. Denn gleichzeitig skandierten sie, dass die lokale Regierung für den Betrug verantwortlich sei.

Menschen sind aus weit entfernten Landesteilen angereist, um vor der Volksbank in Zhengzhou zu demonstrierenBild: REUTERS

Hat sich Peking übernommen?

Nun kommt eine weitere Hiobsbotschaft hinzu: Immer mehr Kredite, die Peking im Rahmen seiner Initiative Neue Seidenstraße vergeben hat, können nicht mehr bedient werden. Seit dem Jahr 2013 investierte China rund 840 Milliarden US-Dollar, um überall auf der Welt Straßen, Häfen, Staudämme und Kraftwerke zu bauen. Peking verfolgt mit diesem "Projekt des Jahrhunderts", wie es Chinas Machthaber Xi Jinping genannt hat, vor allem politische Ziele, keine ökonomischen. Viele Kredite wurden daher auch nach politischen Kriterien vergeben. Ein mehr als mutiges Programm angesichts der eingegangenen Risiken. Jetzt steht die Frage im Raum, ob sich Peking mit dieser weltweiten Initiative nicht verhoben hat. 

Die "Financial Times" berichtet, dass immer mehr Länder Peking darum bitten, ihre Kredite zu stunden, da sie sie nicht mehr zahlen können. In Asien, Afrika und Lateinamerika sind Volkswirtschaften durch die COVID-Misere um Jahre zurück geworfen. Auch das dürfte ein Grund dafür sein, dass in den Jahren 2020 und 2021 Kredite im Wert von rund 52 Milliarden neu verhandelt werden mussten, wohingegen es im Jahr 2019 deutlich weniger, 16 Milliarden US-Dollar gewesen sein sollen. Insgesamt, so sagt es eine Studie des New Yorker Research-Instituts Rhodium, stünden derzeit 118 Milliarden, 16 Prozent des Gesamtvolumens aller Kredite, auf der Kippe. 

Um Kreditlöcher ihrer Schuldner zu stopfen, vergibt die Volksrepublik nicht selten neue Hilfskredite, womit sie ihr eigenes Problem vergrößert. Steigende Zinsen weltweit machen es wahrscheinlicher, dass mehr und mehr Schuldner im ärmeren Süden der Welt zahlungsunfähig werden. Spätestens dann werden die Auswirkungen auch auf der Nordhalbkugel spürbar sein. Was die dreifache Krise aus Banken-, Immobilien-, und Kredit-Misere am Ende mit China selbst machen wird, malt man sich besser nicht aus. Sie wird die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Vorherrschaft der KP erschüttern.

Hausgemachte Krisen

Mag die Kreditkrise außen- und sicherheitspolitisch bedingt sein, so sind die anderen beiden hausgemacht: Chinas Immobilien- und Banken-Sektor waren bis vor kurzem gar nicht beziehungsweise schlecht reguliert, was zu den Kreditexzessen und Manipulationen geführt hat. Die Führung in Peking hat im vergangenen Jahr mit strengeren Regeln versucht, den Immobiliensektor zu konsolidieren, was jedoch eher in der Absicht geschah, die Vormachtstellung der Partei, die an den Unternehmen beteiligt ist, auszubauen, als die Menschen zu schützen.

DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Doch nun, da beide Krisen miteinander verschmolzen sind, bleibt Staatspräsident und Parteichef Xi Jinping nichts anderes übrig, als sich auch den um ihre Ersparnisse betrogenen Leuten zuzuwenden. Die 400.000 Sparer, die in Henan betrogen wurden, sollen eine Zahlung von umgerechnet 7400 US-Dollar erhalten. Doch diese drei Milliarden US-Dollar werden nicht ausreichen, um die Betrogenen zu beruhigen.

Für Xi Jinping und seine Nomenklatura sind die Proteste, die sich derzeit überall im Land Bahn brechen, ein Novum. Neu dran ist, dass die Menschen die Nachteile, die ihnen durch ihre Proteste entstehen, egal sind. Der Respekt vor der Regierung ist dahin, seit heraus kam, dass die Provinzregierung in Henan die Corona-Warn-App genutzt hat, um Menschen vom Protestieren abzuhalten.

Korruption und Misswirtschaft florieren weiter

Xi Jinping ist im Jahr 2013 mit dem Versprechen angetreten, die grassierende Korruption zu bekämpfen. Schon damals wurde ihm vorgeworfen, dass er seine Anti-Korruptionskampagne nur dazu genutzt habe, politische Gegner ins Gefängnis zu werfen. Zehn Jahre später zeigt sich, dass Korruption und Misswirtschaft immer noch florieren. Xis Bilanz nimmt sich im Moment so aus: Die Volksrepublik ächzt immer noch unter der Null-COVID-Strategie der Regierung. Lieferketten sind unterbrochen, ganze Industriegebiete geschlossen. Die Wirtschaftsdaten sind in den Keller gerauscht, die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 18,4 Prozent so hoch wie lange nicht mehr.

Der Wohnungsmarkt in China galt der Mittelschicht als natürlicher Anlagemarkt. Die Preise stiegen deswegen immer weiter an. Entwickler konnten sich so günstig finanzieren und auf Pump immer mehr Häuser bauen. Diese verlieren nun minütlich an Wert. Doch wo Vermögen vernichtet wird, Arbeitslosigkeit und Verarmung drohen, ist die Revolte nicht fern.

Im Moment scheint Xi entschlossen zu sein, alle Probleme mit Geld zu lösen. Angesichts des gigantischen Finanzvolumens, das die dreifache Krise Chinas verschlingen könnte, kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass es zu Gewaltanwendung gegen die eigene Bevölkerung kommt. Die Mittelschicht jedenfalls, deren soziale Sicherheit in Gefahr ist, könnte Proteste vom Zaun brechen, die das Land seit 1989 nicht mehr gesehen hat.

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.

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