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Politik

Die Wiederkehr von Tiananmen?

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
20. August 2019

Die Proteste in Hongkong werden immer mehr zu einem Stachel im Fleisch Chinas. Wie lange sieht die Staatsführung noch zu? Peking wird nicht allein nach rationalen Kriterien entscheiden, meint Alexander Görlach.

Der Konflikt zwischen Hongkong und der Volksrepublik China eskaliert weiter. Am Montag wurde bekannt, dass die Online-Plattformen Facebook und Twitter etliche Accounts aus China gelöscht haben, die falsche Informationen über die Proteste in Hongkong verbreiten. Behauptet wurde darin unter anderem, die Proteste seien aus dem Westen gesteuert. Die staatliche chinesische Propaganda-Maschine hat ihre Rechnung allerdings ohne die Online-Unternehmen gemacht, die aus dem Desaster der US-Wahl 2016, als russische Bots die Wahl durch polarisierende Nachrichten zugunsten von Donald Trump unterliefen, offenbar gelernt haben.

Die Panzer stehen bereit

Die zehnte Woche in Folge gingen am vergangenen Wochenende in Hongkong wieder Hunderttausende auf die Straßen, um für die Demokratie zu kämpfen, die ihnen 1997 von der Volksrepublik unter dem Schlagwort "Ein Land, zwei Systeme" zugesagt worden war. Noch können diese Demonstrationen stattfinden, aber hinter der Grenze zur Volksrepublik hat die kommunistische Führung inzwischen Panzer auffahren lassen, um den Hongkongern zu signalisieren, dass der Aufruhr, den sie in den Augen Pekings veranstalten, bald ein Ende haben könnte. Die Gelehrten streiten sich nun darum, ob China zu den Waffen greifen wird oder nicht. Was das Land zu gewinnen und was zu verlieren habe.

Auch am Sonntag war der Victoria-Park in Hongkong wieder voller DemonstrantenBild: AFP/I. Lawrence

Diese Bewertungen werden unter der Maßgabe von Rationalität vorgenommen, was ein entscheidender Fehler sein könnte. Unter rationalen Gesichtspunkten wäre es verheerend für China, wenn es 30 Jahre nachdem die Kommunisten die Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking mit Panzern niedergewalzt haben, wieder zu den Waffen greifen würde. Letztendlich hat aber Präsident Xi, besonders deutlich im Januar dieses Jahres, den Taiwanern unter dem Banner desselben "Ein Land, zwei Systeme" die Annexion angedroht, sollte sich das Land, das Peking als abtrünnige Provinz versteht, vom Rest der Welt aber mehrheitlich als unabhängig angesehen wird, weiter weigern, sich von Peking einverleiben zu lassen oder gar seine Unabhängigkeit zu erklären.

Xi Jinping lässt keinerlei Abspaltung zu

Auf dem Parteikongress im Herbst 2017 hat Xi Jinping bereits zum Ausdruck gebracht, dass er Abspaltungen jeder Art von China unterbinden werde. Damals war es in Hongkong relativ ruhig, die Massenproteste aus dem Jahr 2014 hatten sich verlaufen. Welche Wahl hat Präsident Xi denn nun, nachdem er sich rhetorisch so weit vorgewagt hat? Im Unterschied zu Taiwan liegt Hongkong allerdings de facto in China, auch wenn die Demonstranten skandieren "Hongkong ist nicht China". Peking müsste sich allerdings die Mühe machen, mit den Bürgerinnen und Bürgern der Sonderverwaltungszone Hongkong zu sprechen und sich mit ihren Forderungen auseinanderzusetzen.

Vor und in einem Stadion von Shenzhen vor den Toren Hongkongs wurden bereits bewaffnete Kräfte zusammengezogenBild: Reuters/T. Peter

"Ein Land, zwei Systeme" ist letztlich in Peking nie so verstanden worden wie im Westen, wo man glaubte, dass China sich entsprechend modernisieren und demokratisieren würde, je länger und intensiver es in internationale Institutionen wie die Welthandelsorganisation eingebunden sei. Heute sieht es eher so aus, dass Xi Jinping das Ende der Frist, die Hongkong zu etwas Speziellem macht, im Jahr 2047 gar nicht mehr abwarten kann. Hongkong soll je eher desto besser genau so wie China werden. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2012 hat der Präsident sein Land konsequent zurückversetzt in einen ideologischen Zustand, wie er vor der Entspannung herrschte, die Deng Xiaoping nach den Verheerungen der Mao-Jahre und der Kulturrevolution begonnen hat.

Der Westen ist nicht schuld

So ist auch zu verstehen, warum "der Westen” nun in den staatlichen Medien, nach bester verschwörungstheoretischer Manier, zum Schuldigen erklärt wird. Ein Schuh wird andersherum daraus: Überall da, wo man im "Einzugsgebiet" Chinas - auf Taiwan und in Hongkong - die Wahl hat zwischen Demokratie oder kommunistischer Diktatur, wählen die Menschen die Demokratie. Das sollte uns in der freien Welt Motivation sein, an der Demokratie und ihren Institutionen zu arbeiten und sie weiter zu verbessern.

Für den Moment kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Volksrepublik, allem Schaden zum Trotz, den sie dadurch wirtschaftlich erleiden würde, in Hongkong einmarschiert und damit das Sonderrecht erlischt, das die Stadt noch bis 2047 genießen dürfen sollte. Das wäre dann "Tiananmen reloaded", die Wiederkehr der Panzer, wie sie die Welt im Juni 1989 erleben musste.

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

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