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Politik

Zwei Siege der Demokratie

Alexander Görlach
25. Juni 2019

Klassische Eigentore der autoritär Regierenden kann man das nennen, was in diesen Tagen in Hongkong und Istanbul passiert ist. Wie diese mittelfristig reagieren werden, ist nicht absehbar, meint Alexander Görlach.

Zitattafel Alexander Görlach

Es ist der zweite Sieg für die Freunde der freien Weltordnung innerhalb weniger Tage: Zuerst haben die Massenproteste der Hongkonger Pekings Präsident Xi seine Grenzen aufgezeigt. Und jetzt - genau eine Woche später - haben die Istanbuler dem türkischen Machthaber Erdogan ebenfalls eine Lektion in Sachen Demokratie erteilt: Mit fast 800.000 Stimmen Vorsprung wurde der Kandidat der Opposition, Ekrem Imamoglu, zum neuen Oberbürgermeister der 15 Millionen-Metropole gewählt.

Recep Tayyip Erdogan war einst selbst Stadtoberhaupt am Bosporus. Mit dem Ergebnis der Wahl vom 31. März war der "Sultan", wie er von seinen Anhängern genannt wird, nicht zufrieden. Imamoglu hatte schon damals über den Kandidaten von Erdogans AKP gesiegt - mit knappen 20.000 Stimmen Vorsprung. Die AKP erzwang eine Wiederholung der Wahl. Es hagelte Kritik von überall aus der freien Welt, aber auch die Türken selbst ließen sich das nicht gefallen. Etliche zehntausend haben ihren Sommerurlaub unterbrochen und sind nach Istanbul zurückgekehrt, nur um wählen zu können. Der nunmehr immense Vorsprung von Imamoglu spricht Bände.

Zeitenwende für Erdogan

Für Präsident Erdogan, der Anfang des Jahrtausends als erfolgreicher Modernisierer der Türkei angetreten war, steht nunmehr eine Zeitenwende an. Nun ist klar, dass er die Machtfülle, die er mit Ämterrochaden und Verfassungsänderung zementieren wollte, nicht wird halten können. Bei den vergangenen Urnengängen, seien es die Wahl zum Präsidenten oder das Plebiszit zur Verfassungsänderung, haben in der laizistischen Türkei etwas mehr als die Hälfte der Bürger für Erdogan gestimmt - die Opposition konnte sich nicht gegen ihn durchsetzen. Gleichwohl ist die Opposition wach geblieben und hat nun ihren ersten großen Sieg errungen. Dass Ergebnis zeigt, dass die Zivilgesellschaft in der Türkei immer noch da ist.

Der neue Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, lässt sich von seinen Wählern feiernBild: Presseabteilung von Ekrem İmamoğlu

Die Angriffe auf diese Zivilgesellschaft begannen nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016. Seither wurden unliebsame Journalisten ohne Prozess ins Gefängnis gesteckt, Verleger eingeschüchtert, Beamte zu Tausenden entlassen, und die kritische Öffentlichkeit schikaniert. Es ist durchaus denkbar, dass der Erdogan-Gegner und Prediger Abdullah Gülen einen Putsch gegen den türkischen Präsidenten geplant haben könnte, wie dieser behauptet. Gleichwohl sind Erdogan und seine Regierung Beweise für diese Anschuldigung bislang schuldig geblieben. Und deshalb muss man es denen nachsehen, die die Maßnahmen der türkischen Regierung in erster Linie als eine Säuberung des gegnerischen Lagers deuten möchten.

Riss auch in der türkischen Gemeinde in Deutschland

Nicht nur in der Türkei selbst auch in Deutschland geht durch die türkische Gemeinde seitdem ein Riss, Gegner und Befürworter von Erdogan streiten sich heftig. Die Politik in Deutschland wiederum tut sich schwer damit, angemessen auf diesen Streit, in dem Präsident Erdogan kein neutraler Beobachter ist, zu reagieren. Eigentlich müsste sie den Arm der türkischen Religionsbehörde, die DITIB, schließen, da sie sich mehr um politische Propaganda in Sachen Erdogan, denn um das Heil der muslimischen Seelen verdient macht.

Erdogans Rhetorik in diesem Streit gleicht der von Chinas Präsident Xi: Man sei und bleibe immer Chinese oder Türke, egal welchen Pass man habe. Dass solche Behauptungen das Ziel haben, die internationale Ordnung nachhaltig zu stören, die auf der Kooperation von Nationalstaaten beruht, welche sich über ihre Staatsbürger definieren, liegt auf der Hand. Russlands Präsident Putin hat sich wenigstens noch die Mühe gemacht, russische Pässe an Menschen auf der Krim zu verteilen, um die Annexion fremden Territoriums als Schutzmaßnahme von russischen Staatsbürgern zu tarnen.

Rund eine Million Menschen waren in Hongkong an zwei Wochenenden hintereinander auf der StraßeBild: picture-alliance/AP Photo/V. Yu

Nicht mehr alles von den "Strongmen" gefallen lassen

In den vergangenen beiden Wochen aber hat sich gezeigt, dass die Menschen sich nicht mehr alles von den sogenannten "Strongmen", den starken Männern, wie sie sich gerne nennen, gefallen lassen. Das ist die gute und schöne Lehre aus den Ereignissen in Istanbul und Hongkong. Die Demokratie ist immer noch - anders als es Populisten überall auf der Welt glauben machen wollen - die gewünschte Staatsform der mit Abstand meisten Menschen. Demokratie bedeutet in diesem Zusammenhang auch eine auf der Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte gegründete staatliche Ordnung.

Allerdings wurde in beiden Ländern nur eine Schlacht gewonnen und nicht der Krieg, wie es das Sprichwort sagt. Denn wie die Präsidenten Xi und Erdogan auf den Sieg der Demokraten in Hongkong und Istanbul mittel- und langfristig reagieren werden, ist noch nicht abzusehen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

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