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Politik

Krise der Demokratie?

Alexander Görlach
29. Oktober 2019

Der Protest gegen die bestehenden Verhältnisse, der sich aktuell in vielen Ländern der Welt zeigt, mag unterschiedliche Auslöser haben. Aber die Unzufriedenheit hat überall die gleiche Ursache, meint Alexander Görlach.

DW Zitattafel | Prof. Dr. Alexander Görlach

Die Globalisierung kennt viele Gewinner, sie kennt aber auch Verlierer. Und diese demonstrieren in diesen Tagen überall auf der Welt. Die Liste der Länder, in denen es zu Unruhen kommt, ist weltumspannend: Hongkong, Libanon, Frankreich, Chile und Ecuador. Die Gründe für die Proteste gleichen sich: Im Libanon geht es um eine Steuer, die auf die Nutzung sozialer Netzwerke erhoben werden sollte. In Hongkong ist der Wohnraum zu teuer. In Chile sollten die Bustickets teurer werden, in Frankreich das Benzin.

Für diejenigen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten zu Gewinnern der Globalisierung wurden, ist es nicht nachvollziehbar, dass die Erhöhung eines Ticketpreises um wenige Cent eine Million Menschen in Aufruhr versetzen kann. Das geschieht nicht aus mangelnder Empathie. Vielmehr haben sich die Welten, in denen wir heute leben, langsam, Schritt für Schritt, voneinander entfernt. Die politische Polarisierung - ebenfalls überall auf der Welt und entlang derselben genannten ökonomischen Probleme - gibt davon ein beredtes Zeugnis: Das Brexit-Votum wird ebenso wie die Wahl von Donald Trump weithin als Aufschrei und Protest derjenigen verstanden, die sich von den gesellschaftlichen Entwicklungen abgekoppelt fühlen. So kommt es zu einer Entfremdung im eigenen Land, das Gefühl der Zugehörigkeit schwindet.

Vielfältiger Protest und Demonstrationen erschüttern seit Monaten HongkongBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schiefelbein

Der Neoliberalismus als Ursache allen Übels?

Francis Fukuyama hat dies in seinem neuen Buch "Identität" als Gefühl der "Indignation", der Entwürdigung, beschrieben. Und in der Tat: Wie mag es sich anfühlen, wenn man sich das Ticket für die Fahrt zum Arbeitsplatz nicht mehr leisten kann, denn man aber unbedingt nehmen muss, weil es in der Stadt keinen bezahlbaren Wohnraum mehr gibt? Reflexartig sehen wir den Grund für solche Entwicklungen im Neoliberalismus. Das mag nicht ganz falsch sein, ist aber auch nur die halbe Wahrheit..

In unserer globalisierten Zeit, in der die Ressourcen der Erde dem Ende zugehen, kann keine auf Wachstum gründende Weltwirtschaft mehr auf Dauer Bestand haben. Das hat nicht wirklich etwas mit den Privatisierungen, für die der Begriff Neoliberalismus steht, zu tun. Entscheidender ist vielmehr: Da, wo es kein Wachstum mehr geben kann, gibt es auch keine Zinsen mehr. Deswegen ist auch in reichen Ländern wie Deutschland eine Altersversorgung, die auf bestimmte Zinserträge auf die Einlagen im Jahr setzt, nicht mehr zukunftsfähig. Pensionsfonds und Versicherungen investieren deswegen in das einzige, was noch als sicher gilt: Beton. Und so steigt die Nachfrage nach Immobilien überall auf der Welt, was zu steigenden Preisen führt. Etliche Beobachter sehen genau dies als einen Haupttreiber der Proteste in Hongkong.

Deshalb ist der Ruf nach einer Re-Nationalisierung der Wirtschaft auch in den USA, einem einstmals hoffnungsvollen, auf die Zukunft gerichteten Land, mehr als laut zu hören. Im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten sind mittlerweile ganze verödete Landstriche und die Verarmung großer Bevölkerungsteile Realität. Wo man vor einer Generation für einen neuen Job noch von Alaska nach Florida gezogen ist, zieht man heute wieder bei der Verwandtschaft ein, um nicht obdachlos auf der Straße zu landen.

Marktwirtschaft und Kapitalismus in der Sackgasse

Die Marktwirtschaft und der Kapitalismus, deren Fluidum - zumindest in den konstitutionellen Demokratien - die persönlichen Freiheiten sind, die zu Eigenständigkeit und über Bildung zu Prosperität führen sollen, sind so in eine Sackgasse geraten. Deshalb ist überall letztlich die Demokratie in Gefahr, weil politische Partizipation nicht mehr zu Wohlstand und finanzieller Sicherheit führt, wie das Versprechen der Demokratie bisher lautet. So lange das Problem nicht hier an seiner Wurzel angegangen wird, werden wir künftig mehr Proteste und Unruhen erleben und nicht weniger.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

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