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Politik

Lehren aus der Deutschen Einheit

Alexander Görlach
12. November 2019

Auch wenn sich die Lage in Fernost heute grundlegend von der in Europa 1989/90 unterscheidet - drei grundlegende Regeln sollten für jeden staatlichen Vereinigungsprozess gelten, meint Alexander Görlach.

DW Zitattafel l Prof. Dr. Alexander Görlach

Die Erinnerung an den Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren ist aus Gründen, die sich den Deutschen nicht sofort erschließen mögen, auch im Fernost relevant. In der Volksrepublik China und in Südkorea wurde ich bei Besuchen dieser Tage dazu befragt. Was bedeute denn, so ein Kommentar am Rande einer Veranstaltung in Schanghai, die deutsche Wiedervereinigung für die Wiedervereinigung Chinas? Und in Seoul fragt man mich, welche Lehren, die die Deutschen aus dem Prozess der Wiedervereinigung gezogen haben, für die koreanische Wiedervereinigung relevant sein könnten.

Die Erinnerung an die Abläufe des 9. November 1989 hat uns noch einmal vor Augen geführt, dass sich seinerzeit die Ereignisse überschlugen und auch eine gute Portion Glück oder Schicksal zum Fall der Mauer in jener Schicksalsnacht geführt hat.

Es geht nur auf Augenhöhe

Für die chinesische Führung geht es bei der Frage der Wiedervereinigung um die Insel Taiwan, auf die sich 1949 als Konsequenz aus dem Bürgerkrieg die Regierung der Republik China zurückgezogen hat. In Korea geht es um die Frage der Vereinigung des kommunistischen Nordens mit der freiheitlich-demokratischen Republik des Südens. Taiwan ist heute de facto ein eigenständiges Land - mit eigenem Pass, eigener Währung, eigenem Militär. Südkorea und Nordkorea befinden sich offiziell noch im Krieg miteinander, ein vertraglicher Schlussstrich wurde jedenfalls seit dem Ende des gewaltsamen Konflikts 1953 nicht gezogen.

In Südkorea demonstrieren Studenten regelmäßig für eine Annäherung zwischen Süd- und NordkoreaBild: Reuters/J. Silva

Was können die Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht haben, hier, angesichts der großen Unterschiede, die in China und Korea vorherrschen, beitragen? Zum einen würde ich sagen: Dort, wo sich künftige Partner begegnen, muss unbedingt Augenhöhe herrschen. Das gilt zwischen dem reichen Süd- und dem verarmten Nordkorea, das gilt in gleicher Weise für das mächtige China und das kleine Taiwan. Machtgesten und das Einfordern von Ergebenheitsadressen helfen niemandem, sind auch nicht zielführend. Weil darauf in Deutschland nicht immer geachtet wurde, haben heute noch viele der Bürger aus der einstigen DDR den Eindruck, dass sie "übernommen" oder "zwangseingemeindet" wurden. Sicher war das sozialistische Deutschland pleite und ein Unrechtsstaat. Zur gleichen Zeit aber galt, dass dort unsere Landsleute lebten, die auch in Zeiten des Sozialismus versuchten ein gutes Leben zu führen und mit denen wir gemeinsam das neue und wiedervereinigte Deutschland aufbauen wollten.

Zum anderen ist Solidarität das wichtigste Zeichen dafür, dass es mit der Partnerschaftlichkeit ernst gemeint ist. Wenn zusammenwachsen soll, was zusammen gehört - ein Ausspruch des früheren Bundeskanzlers und Bürgermeisters von West-Berlin, Willy Brandt, angesichts der fallenden Berliner Mauer - verdienen beide Seiten Respekt, Empathie und Unterstützung, sprich Solidarität. Beide Seiten können voneinander lernen. Und beide müssen das behalten dürfen, was ihre Eigenart ausmacht. Am Ende kann es nicht nur darum gehen, einen neuen größeren Wirtschaftsblock zu errichten, sondern gemeinsam zu definieren, was das "bonum commune" ist, das, was die Gesellschaft zusammen anstreben möchte.

In Taiwan fürchten viele die Übernahme durch das große und mächtige Festlandchina und seine kommunistische RegierungBild: Getty Images/AFP/S. Yeh

Nichts geschieht im luftleeren Raum

Und am Ende finden solche Vereinigungen, von denen wir hier fiktiv sprechen, nicht im luftleeren Raum statt: Die Deutsche Einheit war an Forderungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und der Nachbarn Deutschlands geknüpft. Ein "Greater China" (oder wie auch immer eine solche solidarische Föderation von Gleichen, die sich in ihr zusammen schließen möchten, heißen mag) würde genauso wie ein wiedervereinigtes Korea auf seine Nachbarn zugehen und hören müssen, welche Hoffnungen und Befürchtungen diese angesichts eines neuen, großen und mächtigen Partners vor ihrer Haustür haben.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

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